#Abrechnungsmodell

Das GEMA-Elend: Wehrt Euch endlich

von , 19.10.12

Als 1903 die Gema-Vorgängerin Afma von den berühmten Komponisten Engelbert Humperdinck, Georg Schumann und Richard Strauss aus der Taufe gehoben wurde, war die Intention ehrenwerter Natur: Niemand wollte es den Komponisten verwehren, Gewinnbeteiligungen für die Aufführung ihrer Werke zu fordern. So kannte die Zeitrechnung vor Schellack und Volksempfänger nur den Verkauf von Musiknoten als Geschäftsmodell für Kompositionen.

Der Notendruck mag sicher einträglicher gewesen sein als heutzutage, nicht zuletzt, weil häusliche Konzertaufführungen des Bürgertums hoch im Kurs standen. Doch verglichen mit dem Publikumserfolg der großen Musikbühnen, auf denen Humperdincks Opern und Singspiele höchst erfolgreich waren, fielen diese Lizenzgebühren eher gering aus. Mit der Forderung der Komponisten nach einem Zins von den Eintrittsgeldern zur Vergütung ihrer urheberischen Leistung begann die grundlegende Verbindung des Urheber- und des Wahrnehmungsrechts.

Heute kennt die lückenlose, nach Sparten getrennte Auswertung sämtlicher Nutzungsarten keine Grenzen. Es fallen Gema-Gebühren im Rundfunk, Fernsehen und Kino, bei der Herstellung von Tonträgern, der digitalen Distribution, bei Livekonzerten, für die Privatkopie und die Vermietung, im Kino und in der Sexkabine, auf Trauungen und Beerdigungen, für jeden USB-Stick, für Smartphone, Computer, Drucker, Scanner und jede nur denkbare Musiknutzung an.
 

Noch nie wurde mehr Geld gesammelt

Würde man das stetige Wachstum der Gema-Umsätze als Indikator für die Musikbranche heranziehen – im Jahr 2000 waren es 801 Millionen Euro, 2010 gar 863 Millionen Euro -, müsste man nicht nur die Musikindustrie Lügen strafen, sondern auch ihrem ständigen Wehklagen und Getöse um Kontrolle und Sanktionen von Kopien eine überzogene Selbstinszenierung attestieren. Dennoch: Noch nie wurde im Namen der Urheber und ihrer Rechte mehr Geld von der Gema eingesammelt als heute.

Doch halt: Die Verwerter selbst sollten der Ursprungsidee nach weder an den Urheberrechtstantiemen, noch an den verwandten Schutzrechten (Leistungsschutzrechten) beteiligt werden. Diese werden von der GVL (Gesellschaft für Vervielfältigungs- und Leistungsschutzrechte) erhoben und kommissarisch von der Gema eingesammelt. In der Tat hat sich so im Lauf der Zeit jede Berufsgruppe der Kreativindustrie selbst ein Stück der allumfassenden Verwertungserlöse gesichert. Besonders die Verleger haben als eigene Berufsgruppe innerhalb der Gema klammheimlich die Satzung und Verteilungsstrukturen mitbestimmt.
 

„Musik ist uns etwas wert“

Jene Verleger, denen einst nur die Vermarktung von Musiknoten oblag, haben sich ein lukratives Tätigkeitsfeld zwischen Repertoirepflege, Talentscouting, Promotion und Gewinnmaximierung eröffnet. Sie lassen sich das häufig mit fürstlichen vierzig Prozent der Gema-Einnahmen honorieren und verdienen dabei mehr als der einzelne Komponist. Das Motto der Gema, „Musik ist uns etwas wert“, bekommt eine bittere Note, denn die Höhe der Einnahmen eines „ordentlichen“ Verlegers verleiht ihm durchaus ein überragendes Stimmgewicht gegenüber dem „angeschlossenen“ Urheber, der seine Songs am Rand des Prekariats komponiert und dichtet.

Der besagte Verlagskaufmann gehört damit nur wegen seiner höheren Umsätze zu jener Minderheit der fünf Prozent „ordentlicher“ Mitglieder, die in nichtöffentlichen Sitzungen die Gema von innen regieren, ihre Satzung verändern, Verteilungsschlüssel bestimmen und sich neue Tarife für neue Nutzungsarten ausdenken.

Das Urheberrechtswahrnehmungsgesetz (UrhWG) erlaubt der Gema, Tarife für verschiedene Nutzungsarten  jederzeit zu novellieren. Im Fall einer Ablehnung durch den Musiknutzer – Konzertveranstalter, Diskothekenbesitzer, Hersteller von Geräten – wird eine Einigung vor dem Schiedsgericht des Patent- und Markenamts verhandelt. In der Zwischenzeit ist der Musiknutzer verpflichtet, die Differenz zwischen dem neuen und dem alten Tarif auf einem Konto zugunsten der Gema zu hinterlegen. Schiedsgerichtliche Einigungen führen häufig über Jahre durch den Irrgarten der Instanzen. Die Beträge addieren sich zu gigantischen Summen und bedeuten für den im Vergleich zur Gema wirtschaftlich meistens unterlegenen Musiknutzer unkalkulierbare Mehrausgaben.
 

Kosumenten suchen neue Anbieter

Dieses Prozedere ist auch wesentlich für die verspätete Einführung neuer digitaler Geschäftsmodelle verantwortlich, denn die Gema forderte jahrelang Tarife für den Handel mit MP3s, die denen von physischen Tonträgern entsprachen. Für die Preisgestaltung digitaler Angebote unrentabel, wurde somit der Einzug eines revolutionären Musikangebotes in den Neunzigern verhindert, und dem Monopolisten Apple danach der Markt überlassen.

Der damalige Gema-Präsident Reinhold Kreile kämpfte in der digitalen Domäne seinen „Kampf gegen unsinnigen Wettbewerb“, während die junge Generation der „digital natives“ in den lizenzfreien, zumeist ausländischen Hostingangeboten ihre musikalische Kinderstube hatte. Auch heute treibt die nicht enden wollende Schlacht zwischen Youtube und Gema die Konsumenten zu neuen Anbietern, Sie schadet damit auch jener Urheberschaft, die in Youtube ein modernes Gratiswerbemedium gefunden hat.
 

Mehr Anmeldungen, mehr Gebühren

Nischenkultur und ihre Aufgliederung in Subgenres hat in den letzten zwei Jahrzehnten zu einer wachsenden Vielfalt geführt, in der ein Urheber nominell einen mikroskopischen Anteil des Musikmarkts ausmacht. Aus konventioneller Sicht erscheinen seine Werke unrentabel, in der Summe aller Künstler in allen Nischen haben sie die Gesamtumsätze der Mainstreammärkte längst eingeholt. Diesen Effekt beschrieb 2004 der damalige „Wired“-Chefredakteur Chris Anderson in seinem Buch „The Long Tail“ als Chance der Kulturgütermärkte mit dem „Less of More“. Bereits in den frühen Neunzigern löste die simultane Demokratisierung von günstigen Produktionsmitteln und offenen Vertriebswegen einen Goldrausch der kleinen Konzertagenturen und Plattenfirmen aus und damit auch den Boom der Independent- und Alternativkultur.

Die Zahl der selbstorganisierten Konzertveranstaltungen stieg, und damit die Anmeldungen von Konzerten bei der Gema, die eine dem Eintrittspreis und der Raumgröße entsprechende Gebühr für die Nutzung der von ihren Mitgliedern komponierten Titel berechnet. Ein Gema-Formular zur freiwilligen Dokumentation des aufgeführten Repertoires steht den Interpreten zwar zur Verfügung, wird aber sehr häufig von den Veranstaltern gar nicht bei der Gema eingereicht. Die Gema fordert diese Musikfolgen ihrerseits weder aktiv bei den auftretenden Bands noch bei den Veranstaltern ein.
 

Nur Bruchteile der Erlöse

In den Neunzigern hatte die Gema das Pro-Verteilungsverfahren unter Reinhold Kreile eingeführt. Dieses Umverteilungsmodell maß den Standardwerken und Gassenhauern der „ordentlichen“ Mitglieder besonderes Gewicht zu. Es verlieh zusätzliche regionale Wertungspunkte für die häufigere Aufführung, die dann durch Multiplikation einen ungerechtfertigt höheren Anteil der eingesammelten Gelder für die Inhaber dieser Werke garantierte. Kleine Independent-Bands mit eigenem Repertoire, die häufig als Veranstalter auch die Gema-Gebühr bezahlen mussten, bekamen durch das Pro-Verfahren nur Bruchteile der ihnen zustehenden Erlöse und der selbst bezahlten Beträge vergütet.

Trotz stetigen Protests von Musikerverbänden und Petenten vor dem Bundestag wurde dieser Abrechnungsschlüssel erst auf der diesjährigen Mitgliederversammlung durch ein neues Abrechnungsverfahren ersetzt, das den Beweis einer höheren Verteilungsgerechtigkeit in der nächsten Abrechnungsperiode antreten kann.

Bis heute bestreitet die Gema die technische Machbarkeit einer Einzelverrechnung in Diskotheken, obwohl es mit Shazam und DJ-Monitor Lösungsansätze für eine lückenlose Dokumentation der aufgeführten Musiktitel gibt. Bis vor kurzem verteilte die Gema alle Einnahmen aus Diskotheken, Kneipen, Hotels, Stadtfesten und Vereinen nach einem Schlüssel, der die Anzahl hergestellter Tonträger heranzog, und enteignete damit im Handstreich die Komponisten von Szenemusik, die selten außerhalb von Clubs wahrgenommen werden.
 

Willkür beim Verteilen der Gelder

Erst der stetige Druck einflussreicher „ordentlicher“ Clubmusik-Komponisten führte zu der Einführung eines Stichprobensystems, welches die gespielten Titel in die Verteilung einfließen lässt. Die hierzu getarnt installierte Black-Box zeichnet pro Woche gerade mal eine einstündige Stichprobe auf, die dann durch Media Control zur statistischen Berechnung der Verteilung aller Gelder herangezogen wird. Zu einer fairen Honorierung führt dieses Verfahren nicht. Damit nicht genug: Die Nutzung von Musik auf Stadtfesten, in Vereinen und auf Märkten wird überhaupt nicht protokolliert. Die Verteilung dieser Gelder ist Willkür.

Der letzte Höhepunkt im Gema-Tarifpoker für Clubs, Diskotheken, Musikkneipen, Stadtfeste und Märkte sollte eine Tariflinearisierung mit sich bringen, die aber gerade durch die massiven Aufschläge auf die Basistarife die Clubkultur und das Vereinsleben existenziell bedrohen. Sowohl die Flächenberechnung, als auch die Vervielfältigungs- und Zeitzuschläge entbehren jeder Nachvollziehbarkeit und dokumentieren die mangelhafte Beschäftigung der Gema mit den Realitäten der Clubkultur. Diese Zuschläge führen teilweise zu vierstelligen prozentualen Erhöhungen der bisher gültigen Tarife.
 

Keine Pseudonyme

Ein Relikt, das die Gema ständig zur Gewinnmaximierung missbraucht, ist die Gema-Vermutung. Diese Regelung aus dem UrhWG mag in Zeiten weniger Content-Oligopole als probates Mittel zur unkomplizierten Berechnung von Lizenz-Abgaben gedient haben. Angesichts aufgegliederter Märkte mit freien und alternativen Lizenzmodellen erwirtschaftet die Gema mit Hilfe dieser Vermutung Gebühren, die ihr nicht zustehen. Sobald Musiknutzer Gema-freies Repertoire anmelden, müssen sie für jeden einzelnen Titel die Nichtmitgliedschaft des Songtexters und des Komponisten nachweisen.

Nicht selten erklärt die Gema die so gemeldeten Titel wegen Namensgleichheit trotzdem zu zahlungspflichtigem Repertoire und fordert dann die Angabe der Adresse der Autoren. Pseudonyme akzeptiert die Gema von vornherein nicht, da sich hinter der Anonymisierung ein Gema-Mitglied verstecken könnte – so die Gema-Vermutung. Wer dann als politisch verfolgter Künstler in Deutschland nur unter Pseudonym reüssiert, wird von der Gema doppelt bestraft, denn er oder seine Plattenfirma müssen dann unweigerlich bezahlen.

Häufig zahlen Plattenfirmen und Veranstalter die von der Gema veranschlagten Gebühren sogar ungeprüft, denn der Aufwand für das Recherchieren aller genutzten Titel ist kompliziert.
 

Kein Unterschied zwischen privater und geschäftlicher Nutzung

In der gerade in Revision gegangenen Gerichtsverhandlung zwischen der Gema und den Machern einer Creative-Commons-CD-Compilation ließen es die beteiligten Musikpiraten darauf ankommen. Sie verweigerten die von der Gema geforderte Bezahlung einer Lizenz für einen pseudonymen Urheber. Da dieser unter Creative-Commons-Lizenz veröffentlicht, beansprucht er auch, kein Gema-Mitglied zu sein. Das akzeptiert die Gema nicht und fordert eine letztinstanzliche Prüfung. Sorge, die so einträgliche Gema-Vermutung zu verlieren, hat man offenbar nicht und verlässt sich dabei auf das Urheberrechtswahrnehmungsgesetz.

Bisher versteckte sich die Gema hinter dem semidemokratischen Votum ihrer wenigen stimmberechtigten „ordentlichen“ Mitglieder und überging dabei auch europäische Leitlinien, wie zuletzt das Padawan-Urteil. Es hält die Verwertungsgesellschaften dazu an, bei der Leermedienabgabe zwischen privater und geschäftlicher Nutzung zu unterscheiden. Wer einen PC für sein Unternehmen kauft, zahlt bisher die gleichen Abgaben für die gesetzliche Privatkopie wie ein privater Nutzer, der diesen sicher häufiger zum Kopieren von Musik verwendet. Die ZPÜ vertritt hierfür die Rechte der Gema und hat die Tarife für USB-Sticks und Flashmedien ab 1. Juli um über 1500 Prozent angehoben. Studien, die von der ZPÜ in Auftrag gegeben wurden, werden als Begründung für die Erhöhung angeführt, aber gleichzeitig der Öffentlichkeit vorenthalten.
 

Grundlegende Reformfähigkeit?

Ihre Verwaltung lässt sich die Gema gut bezahlen, denn fünfzehn Prozent der eingesammelten Beträge – das waren im Jahr 2011 120 Millionen Euro – werden großzügig auf Altersversorgung, Sozial- und Rentenfonds, fürstliche Bezüge für Vorstände und eine repräsentative Infrastruktur verteilt. Dabei gibt sich die Gema wenig auskunftsfreudig. Gerade die Verteilung für soziale Härtefälle und Förderungen wird nach kaum nachvollziehbaren Kriterien entschieden, die Bestimmungen hierfür sind in der Satzung nur wolkig formuliert.

So stellt sich die Frage nach der grundlegenden Reformfähigkeit der Gema. Gerade die zunehmend trägerlose Vermittlung diversifizierter Angebote zwischen Nische und Massenmarkt verlangt von Verwertungsgesellschaften ein Umdenken. Wahrscheinlich kann erst die Kombination aus Novellierung des Urheberrechtswahrnehmungsgesetzes und der Neuausrichtung der Verwertungsgesellschaften den Auftrag der Verteilung im Großen wie im Kleinen demokratisch und transparent bewältigen.
 

Die eigene Stimme

Neben den vielen vereinsrechtlichen Fragen zur Verteilungsgerechtigkeit und der Forderung nach einem jährlichen Transparenzreport gilt es, neben den kaum nachvollziehbaren Tarif- und Verteilschlüsseln auch die Harmonisierung innerhalb Europas voranzutreiben. Vielleicht hilft dabei auch ein Wettbewerb unter Verwertungsgesellschaften. Vielversprechende Neugründungen wie die C3S, die sich der Creative-Commons-Lizenzen annehmen möchte, wecken Hoffnungen in dieser Hinsicht.

Wer an die große Chance einer Reform nicht glaubt, die sich nun im Widerhall der immer lauter werdenden Proteste eröffnet, sei daran erinnert, dass alle Medienmonopole im Zuge technologischer und gesellschaftlicher Entwicklungen hinterfragt und manchmal auch mit der Kraft des Gesetzes zerschlagen wurden. Wer hätte sich in den Siebzigern vorstellen können, dass eines Tages das Post- und Telekommunikationsmonopol fallen würde?

Dabei sind es nicht nur die Mittel des Gesetzgebers und die Proteste der Musiknutzer und Fans, die Bewegung in die veralteten Verwertungsstrukturen bringen können. Alle musikalischen Urheber, ob Gema-Mitglied oder nicht, müssen ihre eigene Stimme im Streit um die Urheberlizenzen zu Gehör bringen. Wer nicht an die eigene Macht glaubt, lasse es sich noch einmal sagen: Es waren auch im Jahr 1903 die Komponisten, die Verteilungsgerechtigkeit einforderten.
 

Crosspost von Bruno Kramm
 

 

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