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Das Facebookariat übernimmt: Demokratie jenseits der Parteien?

von , 17.3.16

Nicht wegen, sondern trotz seiner Partei hat Kretschmann im Südwesten gewonnen. In Grenzen gilt für Malu Dreyers Erfolg wohl dasselbe. Viel deutet daraufhin, dass Parteien im alten Sinn ausgedient haben, auch das Ergebnis der AfD. Sie laden nicht zur Beteiligung ein. Sie wirken hermetisch und verschlossen. Als Organisationsform sind sie altertümlich im Vergleich zu dem, was wir von sozialen Netzwerken her mittlerweile gewohnt sind.

Die Effekte des Wandels lassen sich in nahezu allen westlichen Demokratien beobachten, am deutlichsten derzeit bei den US-Vorwahlen. Dort entfalten einzelne Figuren wie Sanders oder auch Trump eine weit größere Wirkung als die Parteien, unter deren Dach sie formell kandidieren. Sie nutzen die Partei noch als Plattform, agieren aber auch gegen das innerparteiliche Establishment. Nun funktionieren US-Parteien sehr anders als deutsche, aber einige Parallelen lassen sich doch ziehen.

Im Ganzen haben Parteien die jüngsten Wahlen in Deutschland verloren – insgesamt, als politische Organisationsformen. In allen drei Ländern haben traditionelle Parteien weniger als die Hälfte aller Wahlberechtigen anlocken können. Der Rest stimmt entweder für Bewegungen, für einzelne charismatische Köpfe oder für gar nichts.

Die AfD ist keine normale Partei. Wie sie ihre Unterstützter in sozialen Netzwerken organisiert, hat Malte Henk in einem großartigen Text beschrieben. Sie ist ein Facebook- und Social Media-Cluster, der sich für Wahlen die Parteiform überstülpt. Voraussetzung dafür war der Schritt, die alten Vertreter des Parteientums – Lucke und Henkel – rauszuschmeißen. Damit konnte das Facebookariat übernehmen. Der Weg für eine aus den sozialen Medien wachsende Bewegung war frei. Das Programm spielt offenbar bei einem großen Teil der Wählern eine untergeordnete Rolle. Hauptsache es geht gegen die existierenden Parteien – wie man der von jung und naiv auf Facebook dankenswerterweise nachgereichten ZDF-Grafik entnehmen kann.

Dummerweise wirken rassistische, nationalistische und rechte Thesen in der Online-Politiklandschaft Deutschland derzeit besonders attraktiv. Hass, Untergangsphantasien und Angst vor Fremden haben hierzulande noch immer die Kläffer hinterm Sofa hervor gelockt.

Warum es in Deutschland keine vergleichbare linke Bewegung gibt, lässt sich leicht erklären. Das Thema wäre noch einmal einen eigenen Artikel wert, aber machen wir es an dieser Stelle kurz: „Die Linke“ als Partei bildet das beste Bollwerk gegen jede linke Bewegung. Sie besetzt die politischen Themen, entradikalisiert sie und blockiert mit ihrer Partei-Organisation genau den Raum, den eine Bewegung bräuchte. Die traditionelle Zerstrittenheit, ein Mangel an Utopien, rückwärtsgewandter Marx-Dogmatismus und ein latentes Misstrauen gegen neue Technologien tun ihr übriges, um eine linke Bewegung vorerst unmöglich zu machen.

Wenn die Presse nun geschlossen über die AfD herfällt und vor dem neuen Rassismus warnt, ist das ungefähr so zielführend wie Trolle zu füttern. Die Reaktion übersieht die tieferen Gründe der Bewegung. Die Bestürzung der Anderen kann die Wähler der AfD nur im Stolz über ihren Erfolg bestärken. Erklären lässt sich der Effekt recht einfach, wenn man Netzwerk-Prozesse und die zugehörigen Theorien berücksichtigt. Netzwerke fördern zwei scheinbar gegenläufige Tendenzen. Zum einen verbinden sich rasch viele Leute sehr eng und aktiv miteinander. Gleichzeitig bilden die Cluster abgeschottete Kommunikationszirkel. Der Kampfbegriff „Lügenpresse“ drückt die aktive Selbstbezüglichkeit und Abschottung aus. Aber das ist nur die eine Hälfte. Tatsächlich ist die Mitmach-Kommunikation in Netzwerken tausend mal attraktiver als die etablierte Presse mit ihrem oberlehrerhaften Qualitäts-Anspruch.

 

Social Media-Bewegungen drohen auf der einen und charismatische Köpfe auf der anderen Seite. Den Parteien selbst gelingt es nicht mehr, politische Zustimmung oder gar Begeisterung zu bündeln. (…) Manchmal geben sie noch die formale Hülle für eine neue Bewegung ab. Andernfalls gehen sie langsam unter, oder auch schnell.

 

Wer die neuen Bewegungen nun allesamt als populistisch zu beschimpft, bestätigt die klare Frontlinie. Hier geht es nicht um Politik, sondern um neue Plattformen der Kommunikation und die entsprechenden politischen Organisationsformen. Überhaupt zeigt das Schimpfwort „Populismus“ in erster Linie auf das eigene Versagen. Weil die alten Parteien, genau so wie die alte Presse, das Volk zusehends schlechter erreichen, gelten Populisten plötzlich als übel, gleich welche Meinung sie äußern. Gerade so als gehöre es sich in einer Demokratie nicht, die Ansichten breiter Bevölkerungsschichten zu vertreten – eine einigermaßen absurde Verdrehung der Ausgangslage. Das Problem liegt eher darin, dass in Deutschland diese Art von Populismus derzeit leider nur am rechten und rassistischen Rand stattfindet. Das sieht in anderen Ländern anders aus.

In Europa gibt es eine ganze Reihe fortschrittlicher Bewegungen, um nur Podemos in Spanien oder Syriza in Griechenland zu nennen. Die 5Stelle in Italien gehört dazu wahrscheinlich nicht, wobei noch offen ist welche Richtung sie nun einschlägt, nachdem Grillo von dem alleinigen Führungsanspruch scheinbar ein wenig abrückt. Sollte sie sich allerdings zu einer normalen Partei wandeln, wird sie den Charakter einer Bewegung verlieren, und damit auch deren Anziehungskraft. Dieses Schicksal bedroht jede Bewegung, sobald der Höhepunkt überschritten ist und Wachstum in Konsolidierung übergeht. Es besteht Grund zu der Hoffnung, dass das auch die AfD betreffen wird. Die Piraten haben ja seinerzeit eindrucksvoll vorgeführt, wie gut soziale Netzwerke sich zur Selbstzerstörung eignen. Ein Haufen zorniger Wutbürger sollte da mithalten können.

Die klassischen Partien werden heute von zwei verschiedenen Seiten zerlegt, bisweilen von beiden gleichzeitig. Social Media-Bewegungen drohen auf der einen und charismatische Köpfe auf der anderen Seite. Den Parteien selbst gelingt es nicht mehr, politische Zustimmung oder gar Begeisterung zu bündeln. Sie wirken wie „Shell Institutions“ im Sinn von Anthony Giddens. Formell bestehen sie zwar noch weiter, ohne aber ihre eigentliche Aufgabe erfüllen zu können. Manchmal geben sie noch die formale Hülle für eine neue Bewegung ab. Andernfalls gehen sie langsam unter, oder auch schnell.

Wir können eine kleine Grammatik der neuen politischen Lage nachzeichnen. Es gibt Bewegungen und Parteien. Mit oder ohne charismatische Figur. Die Unterscheidung zwischen links und rechts macht keinen wirklichen Sinn mehr. Bezeichnenderweise gibt es keine Bewegung, die dieses Begriffspaar noch in Anspruch nimmt. Neue politische Unterscheidungen lauten eher: mit oder gegen das Establishment, für oder gegen den neoliberalen Konsens, rassistisch oder nicht.

Ihre wenigen Erfolge verdanken Parteien heute vorwiegend den charismatischen Köpfen. Voraussetzung dafür ist, dass es diesen Figuren gelingt, die inhaltlich schon entleerten Parteien auch personell ruhig zu stellen. Der Fall Merkel gibt dafür eine hervorragendes Beispiel. Wie kaum einem anderen Parteivorsitzenden ist es ihr gelungen, Alpha-Kläffer und Karrieristen aus der CDU zu vertreiben oder zumindest zum Schwiegen zu bringen. Für Kretschmann bei den Südwest-Grünen gilt dasselbe.

Leider gibt es in Deutschland kaum Mischformen zwischen Bewegung und Partei, wie sie etwa Jeremy Corbyn in Großbritannien und Bernie Sanders in den USA darstellen. Bis einem gewissen Grad auch Trump. Die US-Vorwahlen zeigen derzeit sehr deutlich, wo die Konflikte zwischen neuer Bewegung und etablierter Parteiorganisation verlaufen, jedenfalls in den lockerer geknüpften angelsächsischen Parteien. Im straffer organisierten Parteiensystem Kontinentaleuropas entstehen die Bewegungen eher gegen die Parteien, meistens um einen charismatischen Kopf, wie etwa Pablo Iglesias und Podemos, Tsipras und Syriza, Bepe Grillo und 5Stelle.

Auch hierzulande kommen die Parteien nicht darum herum, auf die neuen Bewegungen zu reagieren. Nicht nur politisch, sondern auch in ihrer Organisation und Kommunikation. Das angelsächsische Modell kann dabei durchaus ein Vorbild sein. Es würde voraussetzen, die eigene Organisation zu lockern und innerparteiliche Beweglichkeit zuzulassen. Der Umbau ginge mit einem erheblichen internen Macht- und Kontrollverlust einher. Von daher wird es kaum eine Partei geben, die ihn freiwillig auf sich nimmt. Die Öffnung hin zum Modell einer aus sozialen Medien wachsenden Bewegung scheint ein Weg zu sein, vielleicht der einzige, um das Überleben unter Netz-Bedingungen zu sichern. Die Partei würde sich in einen lockeren Organisationsrahmen verwandeln, der politische Bewegungen mit ihrer Energie der Motivation und Beteiligung nicht abweist, sondern zu begrüßt und aufnimmt.

 


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