#Amazon

Das böse, böse Amazon

von , 18.6.14

In der Feuilleton-Redaktion der Süddeutschen Zeitung hat man offenbar eine Schwäche für das gedruckte und in traditionellen Buchhandlungen vertriebene Buch. Das ist okay. Jeder kann seine Bücher kaufen, wo er will, und manche Menschen, wie ich, tun das sowohl im Internet als auch in der kleinen Dorfbuchhandlung um die Ecke. Kein Gegensatz, kein Kulturkampf, keine Story.

Um eine reißerisch-dramatische Story über Amazon auf Seite 1 des Feuilletons zu bringen, muss man schon ein paar schwere Geschütze auffahren: Es herrsche “Krieg” zwischen Amazon einerseits und Autoren, Verlagen und Lesern andererseits.

Grundlage für diese steile These ist die Auseinandersetzung zwischen Amazon und Verlagen um Konditionen. Amazon versucht bessere Konditionen durchzusetzen, indem die Titel mancher Verlage verzögert angeboten oder ausgeliefert werden. Und selbst mit globalen Medienkonzernen sucht Amazon die Auseinandersetzung und nimmt Filme von Time Warner (etwa Lego Movie) aus dem US-Shop, um Druck aufzubauen.

 

Amazon, der Wladimir Putin der Buchbranche

Die deutsche Buchhandelsbranche  reagiert erwartungsgemäß empört und ruft den großen Skandal aus: Erpressung sei das! Der Goliath Amazon nutze seine Marktmacht aus! Und wenn schon Kriegsrhetorik, dann richtig: Amazons Verhalten erinnere an die Drohgebärden Wladimir Putins in der Ukraine.

In Wahrheit ist das, was Amazon macht, natürlich völlig normal.

Glaubt wirklich jemand, dass die Verhandlungen zwischen Automobilkonzernen und Zulieferern kuscheliger ablaufen? Oder bleiben wir ruhig in der Branche: Glaubt wirklich jemand, dass die Verlage nicht aus einer Position der Stärke heraus agieren, wenn sie mit ihren Autoren Verträge aushandeln und ihnen Konditionen diktieren? Wollen wir mal über den Umgang von Verlagen mit freien Autoren reden?

Wer sich in diesem Kontext über Amazon aufregt, konnte sich schon vor Jahren über die Einkaufs- und Präsentationspolitik der großen Buchhandelsketten wie Thalia und Hugendubel aufregen – oder glaubt wirklich jemand, dass diese Ketten ihre Marktmacht nicht zur Durchsetzung günstiger Konditionen genutzt haben?

Apropos Marktmacht: Natürlich rufen die beleidigten Buchlobbyisten so lautstark und voller Weltschmerz nach der Kartellbehörde, wie ein italienischer Fußballspieler nach dem Schiedsrichter, wenn er sich formvollendet im Strafraum hat fallen lassen. Aber die Behörde verweigert die Schützenhilfe gegen den unliebsamen Konkurrenten Amazon – und das völlig zu Recht.

Rund 10 Milliarden Euro Umsatz macht der deutsche Buchhandel pro Jahr, rund 1,6 bis 1,8 Milliarden Euro davon entfallen auf Amazon. Mit anderen Worten: Über 80 Prozent des Umsatzes landen woanders. Vor diesem Hintergrund ist die Empörung um Bücher und Filme, die man bei Amazon vorübergehend nicht kaufen kann oder die verzögert ausgeliefert werden, schlicht lächerlich. Die Kunden haben mehr als genug Alternativen, um diese Produkte zu beziehen.

 

Jahrelang wurde Amazon unterschätzt

An diesem Punkt lohnt es, kurz innezuhalten und sich zu vergegenwärtigen, wie Amazon es schaffen konnte, zum führenden Internet-Buchhändler in Deutschland mit 20 Prozent Umsatzanteil zu werden.

Hatten böse, finstere Kräfte ihre Hände im Spiel? Hat Amazon sich seine Position mit fragwürdigen Methoden ergaunert? Hatte der deutsche Buchhandel keine Chance?

Nichts von alldem. Vor gut 15 Jahren habe ich selbst in einem Buchverlag gearbeitet und kann mich gut erinnern, wie die Themen Internet-Buchhandel und Amazon damals behandelt wurde: abschätzig. Kaum jemand hat Amazon ernst genommen, es war ein Buchhändler unter vielen, und überhaupt, ein Buch müsse man doch in die Hand nehmen, die Beratung vor Ort sei wichtig, das Internet werde überschätzt, und so weiter und so fort.

Dass sich Amazon nicht nur die neuen Technologien zunutze gemacht hat, sondern sein Geschäft auch kompromisslos und konsequent am Kunden ausgerichtet hat, ist den Denkern und Lenkern in Verlagen und Buchhandlungen damals entgangen.

Wer heute lautstark über den Konkurrenten Amazon jammert, hat ihn also vor 15 Jahren nicht ernst genug genommen, die disruptive Kraft des Internets verkannt und versäumt, eine zukunftsfähige Strategie zu entwickeln. So einfach ist das.

 

Amazons wahres Gesicht

Dass die Buchhandelsbranche und deren Lobbyisten in Deutschland das nicht wahrhaben wollen, ist nachvollziehbar. Dass ein großes deutsches Feuilleton sich zum Lautsprecher dieser Branche macht, schon weniger. Und dafür wird dann tief in die Klischeekiste gegriffen.

Denn nicht nur bezüglich der Konditionsverhandlungen redet SZ-Redakteur Jörg Häntzschel den Lobbyisten nach dem Mund. Er sieht auch aus anderen Gründen Amazons wegen finstere Zeiten auf uns zukommen und droht:
 

“Der Tag muss kommen, da Amazon seine Macht einsetzen wird, um Geld zu verdienen; der Tag, da hinter den lächelnden Pappschachteln Amazons wahres Gesicht zum Vorschein kommt.”

 
Himmel hilf! Rette sich, wer kann, vor einem Unternehmen, das Geld verdienen will!

Und wie wird Amazon das wohl tun?
 

“Den tief im Amazon-System verstrickten Kunden, von denen die Firma jede Suche, jeden Kauf, jede Adresse kennt, wird es dann schwerfallen, anderswo zu kaufen.”

 
Dass Amazon eine Kooperation mit Google eingegangen ist, um über all meine Suchanfragen informiert zu sein, ist mir entgangen. Und warum ich mich bis in alle Ewigkeit in Konsum-Sklaverei an Amazon kette, nur, weil ich zurzeit bei Amazon einkaufe, entzieht sich meiner Kenntnis – und wird natürlich auch nicht begründet, sondern nur behauptet.

 

Das Ende von Verlagen und Buchhandel

Es kommt aber noch schlimmer.
 

“Letztlich will Amazon nicht nur den Buchhandel, sondern auch die Verlage aus dem Feld räumen, vom Händler zum Produzenten werden und die gesamte Wertschöpfungskette kontrollieren.”

 
Aha. Und noch viel schlimmer: Amazon könnte bei der Buchproduktion die Daten seiner Kunden berücksichtigen und Erkenntnisse, die es bei deren E-Book-Lektüre gewonnen hat. “Schreiben, Verkaufen, Lesen, alles wäre kurzgeschlossen in einer einzigen Feedbackschleife – ein Alptraum.”

Für die einen ein Alptraum, für die anderen eine interessante Innovation.

Wie immer, hilft bei der Bewertung ein Blick über den Tellerrand, zum Beispiel in die Bewegtbild-Branche nebenan. Dort macht Netflix nichts anderes: das Verhalten seiner Kunden auswerten und analysieren, in die Fernseh-Serienproduktion einfließen lassen, und das Ergebnis – übrigens ein qualitativ herausragendes Ergebnis, wie die Serie House of Cards – dann über den eigenen Kanal distribuieren.

Der Untergang des Abendlandes? Das Ende kultureller Vielfalt? Nein, sondern allenthalben gelobt als Ausbruch aus verkrusteten Strukturen, die von herkömmlichen, unbeweglichen Medienkonzernen definiert und dominiert wurden.

“Wenn der Wind der Veränderung weht, bauen die einen Mauern und die anderen Windmühlen”, sagt ein gutes altes Sprichwort. Der Buchhandel in Deutschland hat sich, beklatscht vom Feuilleton so mancher Zeitung, jedenfalls gründlich eingemauert. Und während es innerhalb der Mauern langsam eng und stickig wird (schließlich tummeln sich da noch mehr Innovations-Gegner und -Möchtegern-Verhinderer, von der Musikindustrie bis zu den Taxizentralen), drehen sich draußen die Mühlen und wandeln Wind in Erträge um.

Dass ich Amazon nicht für die Ausgeburt des Bösen halte, bedeutet nicht, dass ich Amazon uneingeschränkt gut finde. Ich habe keine Lust auf diese langweilige Schwarz-Weiß-Malerei. Amazon bringt seinen Kunden viele Vorteile, dennoch wünsche ich mir mehr Vielfalt und belebende Konkurrenz. Mehr Windmühlen, wenn ich bitten darf. Und weniger beleidigte Klausur hinter Mauern.
 

Crosspost von Christian Buggischs Blog

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