von Jonas Kahl, 9.2.14
In der vergangenen Woche hat der Bundestag einem Autor des Blogs netzpiloten.de den Zugang zu einer Ausschusssitzung verwehrt. Und auch netzpolitik.org hat Schwierigkeiten mit der Akkreditierung beim Bundestag. Hintergrund sind die Akkreditierungsbedingungen für den Zugang von Journalisten zu Sitzungen des Deutschen Bundestages.
Der Bundestag setzt für die Akkreditierung von Journalisten die Vorlage eines Presseausweises voraus. Bloggern und nebenberuflichen Journalisten, die über einen solchen nicht verfügen, wird der Zugang zu Sitzungen neuerdings verwehrt. Diese Praxis steht im Widerspruch zur Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts Düsseldorf und der fehlenden alleinigen Legitimationsfunktion eines Presseausweises.
Die Akkreditierungsbedingungen des Bundestages
So schildert der Blogger Tobias Schwarz, dass ihm die Akkreditierung zu einer Ausschusssitzung verweigert worden sei, da er keinen Presseausweis habe vorlegen können. Die bisher übliche Vorlage eines Schreibens der Carta-Redaktion habe als Bestätigung seiner journalistischen Tätigkeit nicht mehr ausgereicht. Als Begründung für das zwingende Erfordernis eines Presseausweises wurde ihm mitgeteilt: “Zu viele Blogger haben versucht, sich zu akkreditieren“.
Die Pressestelle des Bundestages hat auf Nachfrage mitgeteilt, dass die Akkreditierungsbedingungen keineswegs neu seien und auf die Zugangsbedingungen in der Geschäftsordnung verwiesen, welche auch die Hausordnung umfasst. In § 2 Abs. 3 der Hausordnung ist zwar der Zugang für Journalisten geregelt, vom der Erfordernis eines Presseausweises ist dort allerdings nicht die Rede.
Darüber hinaus verweist sie auf das Akkreditierungsformular (PDF) für Tagesjournalisten, welches den Satz enthält: „Zur Ausstellung des Ausweises muss der Presse- und Personalausweis (Pass) vorgelegt werden”. Demnach ist eine Akkreditierung derzeit nur mit Presseausweis möglich. Zweck dessen sei, dass die Pressevertreter ihre hauptberufliche journalistische Tätigkeit nachweisen. Eine Redaktionsbestätigung oder ein Verweis auf ein Blog reicht nicht aus. Nach Auskunft der Pressestelle hätten Blogger, „wie alle Besucher des Bundestages, folgende Möglichkeiten des Zutritts: über einen Termin mit einem Abgeordneten, über den Besucherdienst, durch Anmeldung zu öffentlichen Ausschusssitzungen beim entsprechenden Ausschusssekretariat”.
Pressefreiheit schützt auch Blogger
Beurteilt man die Rechtmäßigkeit dieser Zugangsbedingungen, ist zunächst klarzustellen, dass auch Blogger Journalisten sind und der Pressefreiheit aus Art. 5 GG unterliegen. Daraus folgen für sie neben diversen Pflichten vor allem auch Rechte und Garantien des Staates. Zu diesen zählt auch das Recht auf Zugang zu Informationen.
Für Journalisten ist es bei der Ausübung ihrer Tätigkeit von existenzieller Bedeutung, möglichst uneingeschränkten Zugang zu allen Informationsquellen und Veranstaltungen, wie beispielsweise öffentlichen Ausschusssitzungen des Bundestages, zu haben.
Gerade staatliche Institutionen haben bei der Zugangsgewährung darauf zu achten, dass der Neutralitätsgrundsatz gegenüber Pressevertretern gewahrt bleibt und es zu keinen Ungleichbehandlungen kommt. Zwar kann es im Einzelfall auf Grund von Kapazitätsengpässen zu Differenzierungen anhand von vorher festgelegten Kriterien kommen. Ein solcher Fall liegt hier aber nicht vor. Ein Presseausweis wird grundsätzlich gefordert, nicht nur im Einzelfall. Und selbst in einem solchen wäre die Inhaberschaft eines Presseausweises wohl ein unzulässiges Differenzierungskriterium.
Geschichte des Presseausweises
Die Legitimationsfunktion, die der Bundestag einem Presseausweis zuschreibt, hat er nämlich schon längst nicht mehr. Um das deutlich zu machen, muss man sich vor Augen führen, was die Inhaberschaft eines Presseausweises eigentlich bedeutet und welche Rechte aus ihm heute noch folgen. Dazu bedarf es eines kurzen Rückblicks:
Runderlass der Innenministerkonferenz
Das Verfahren der Ausstellung von Presseausweisen ist und war noch nie gesetzlich geregelt. Lange Zeit war das Vergabeverfahren für Presseausweise durch einen Runderlass des Innenministeriums des Landes Nordrhein-Westfalen vom 25. November 1993 normiert, der auf einer Vereinbarung der Innenminister der Länder basierte. Dieser sah vor, dass die fünf großen Journalisten- und Verlegerverbände (DJV, dju, DAG, VDZ, BDZV) in Absprache mit den Innenministerien der Länder „in eigener Verantwortung“ für die Vergabe der Presseausweise zuständig sein sollen. Bedingung dafür war, dass die Presseausweise nur an „hauptberufliche Journalisten” ausgegeben werden sollten. Also an solche, die ihren Lebensunterhalt mit journalistischer Tätigkeit verdienen.
Zwar war auch dieser Runderlass seiner Natur nach nur eine Verwaltungsvorschrift ohne jede Außenwirkung. Dennoch diente er viele Jahre als anerkannte Grundlage für das Vergabeverfahren. Die damit einhergehende Begrenzung auf hauptberuflich Tätige hatte zur Folge, dass allen anderen, wie nebenberuflichen Journalisten, ehrenamtlich Tätigen, Bloggern und Bürgerjournalisten, der Zugang zu einem Presseausweis verwehrt war.
Urteil des Verwaltungsgerichts Düsseldorf
Dieses Procedere führte im Jahr 2004 zu einem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht Düsseldorf (Urteil v. 17. September 2004 – 1 K 1651/01, NJW-RR 2005, 1353 ff.). Geklagt hatte ein Verein von Fotojournalisten, der festgestellt haben wollte, dass auch er berechtigt sei, eigene Presseausweise auszustellen und diese ebenso behandelt werden müssten, wie jene der fünf großen Verbände.
Dieses Recht wurde der Fotojournalisten-Vereinigung vom Verwaltungsgericht im Ergebnis zuerkannt. Zur Begründung zog das Gericht ausgerechnet die Anweisung des Runderlasses selbst heran. Nach der sollten auch solche „Journalisten, die keinen Presseausweis besitzen (z.B. nebenberufliche Journalisten), nach Maßgabe des Landespressegesetzes den gleichen Zugang zu Informationen fordern können wie Inhaber von Presseausweisen, wenn sie sich auf andere Weise als Vertreter der Presse legitimieren können”.
Hierin sah das Verwaltungsgericht eine explizite Bestätigung der Annahme, dass ein Presseausweis, der von einem im Runderlass genannten Verband ausgestellt wurde, die Legitimation als Pressevertreter lediglich erleichtert – aber keine öffentlich-rechtliche Tatbestandswirkung habe. Daraus folge, dass auch andere Organisationen eigene Presseausweise ausstellen dürften, soweit sie ihre Zugehörigkeit zur Presse anhand nachvollziehbarer Kriterien nachweisen können. Die konkrete Ausformung dieser Kriterien sah das Gericht zwar nicht als seine Aufgabe an, gab aber gleichwohl etwa eine nicht unbeachtliche Mitgliederzahl des Verbandes oder einen längeren Zeitraum seiner Existenz als Beispielkriterien vor.
Folgen des Urteils
Für die Vergabepraxis von Presseausweisen bedeutete dieses Urteil eine Zäsur. Im Mai 2006 befasste die Innenministerkonferenz der Länder mit dem Urteil und zog erste Konsequenzen: So wurde vor allem das Merkmal das „Hauptberuflichkeit” neu interpretiert. Dieses sollte künftig nur noch das „Leitbild“ darstellen. Daneben sollte aber auch sachgerecht sein, solchen „Journalisten den Ausweis zu geben, die nicht hauptberuflich, aber quantitativ und qualitativ vergleichbar regelmäßig und dauerhaft journalistisch tätig sind“. Ebenso forderte die Konferenz, dass es auch einer Ausweitung des Kreises der ausstellungsberechtigten Verbände bedürfe, und übernahm dazu die beispielhaften Kriterien des Verwaltungsgerichts.
Allerdings waren die fünf großen Verbände nicht bereit, mit den neuen Verbänden zu verhandeln und eine die Rechtsprechung berücksichtigende Verfahrensweise zu finden. Als nach mehreren Versuchen eine Einigung scheiterte, hob die Innenministerkonferenz den bis dahin 15 Jahre geltenden Runderlass mit Wirkung zum 31. Dezember 2008 vollständig auf.
Heutige Bedeutung des Presseausweises
Diese Aufhebung des Runderlasses hat zur Folge, dass seit Ende 2008 von staatlicher Seite gar kein Einfluss mehr auf die Ausstellung von Presseausweisen besteht. Die Vergabepraxis wird nur noch von den Verbänden selbst geregelt. War sie zuletzt allein den fünf großen Verbänden vorbehalten, steht es heute jedem beliebigen Verband frei, eigene Presseausweise auszustellen. So können nun auch Ausweise für nebenberufliche Journalisten, Blogger und Bürgerjournalisten ausgestellt werden. Die fünf großen Verbände halten hingegen immer noch an ihrer altbewährten Praxis fest und vergeben Presseausweise weiterhin nur an hauptberufliche Journalisten.
Zum anderen ist die „staatliche Legitimationswirkung” mit dem Beschluss der Kultusministerkonferenz seit 2008 weggefallen. Soweit dem Presseausweis heute immer noch eine große Legitimationsfunktion zugerechnet wird, basiert diese in weiten Teilen auf jahrelanger Gewohnheit und Vertrauen im Umgang mit den Ausweisen der großen Verbände in früheren Jahren.
Von entscheidender Bedeutung für den vorliegenden Fall ist zudem, dass das Verwaltungsgericht in seinem Urteil ausdrücklich klargestellt hat, dass aus dem Gleichbehandlungsgrundsatz und der Pressefreiheit zu folgen habe, dass Presseausweisen keine alleinige Legitimationsfunktion zukomme und auch Journalisten ohne einen solchen gleich zu behandeln seien. Eine strukturelle Benachteiligung von Journalisten ohne Ausweise dürfe es nicht geben, wenn diese sich auf andere Art ausweisen können.
Akkreditierungsbedingungen unzulässig
Insofern sind die Akkreditierungsbedingungen des Bundestages unzulässig. Nur solche Journalisten in den Bundestag zu lassen, die einen Presseausweis vorlegen können, ist eine Ungleichbehandlung von Journalisten ohne Presseausweis. Einen Presseausweis als alleiniges Kriterium dafür heranziehen zu wollen, ob jemand „Presse“ ist oder nicht, stellt ein willkürliches Differenzierungsmerkmal dar. Ein Presseausweis kann lediglich dazu dienen, den Nachweis einer journalistischen Tätigkeit zu vereinfachen. Er hat aber keine andere Kriterien ausschließende Wirkung.
Soweit der Deutsche Bundestag damit versucht, eine Trennung zwischen hauptberuflichen Journalisten und Bloggern vorzunehmen und letztere von Sitzungen auszuschließen, stellt dies zudem eine Verletzung der staatlichen Neutralitätspflicht gegenüber der Presse dar. Blogs sind keine Presse zweiter Klasse. Blogger sind genauso wie hauptberufliche Journalisten durch die Pressefreiheit geschützt. Unterschiede können nur einzelfallbezogen gemacht werden, nicht aber generell.
Außerdem ist fraglich, ob die Akkreditierungs-Bestimmungen überhaupt praxistauglich sind. Da sich mittlerweile jede Person einen Presseausweis ausstellen lassen kann, ist ein solcher nicht einmal mehr ein Beleg für eine journalistische Tätigkeit überhaupt. Eine Differenzierung des Bundestages zwischen Ausweisen unterschiedlicher Verbände stünde hingegen ebenfalls im Widerspruch zum Urteil des Verwaltungsgerichts Düsseldorf.
Dr. Jonas Kahl, LL.M. ist Rechtsreferendar am Kammergericht Berlin. Er hat seine Dissertation zum Thema „Elektronische Presse und Bürgerjournalismus – Presserechtliche Rechte und Pflichten von Wortmedien im Internet” verfasst. Crosspost von Telemedicus