#Corona-Krise

Tracing-App: Wie frei ist eigentlich »freiwillig«?

Medien kommt insbesondere in »Krisenzeiten« eine wichtige Rolle als Vermittler politischer Entscheidungen zu.

von and , 14.5.20

Freiwillige Installation auf dem Smartphone mit Datenschutz: das sind die Verheißungen, unter denen der Einsatz der Tracing-Apps zur Eindämmung der Covid-19-Pandemie beworben wird. Die Gegenreaktionen ließen nicht lange auf sich warten: Brandbriefe an das Gesundheitsministerium warnten vor Missbrauchspotenzial und überzogenen Erwartungen. Bereits seit Beginn der »Corona-Krise« verlaufen die Gräben zwischen Datenschützer*innen und denen, die Datenschutz als überflüssig für mündige Bürger*innen ansehen, noch tiefer als zuvor; auf Twitter kursierte der Hashtag #DatenschutzTötet. Die Debatte schlägt auch deshalb so hohe Wellen, da  staatliche Stellen den Einsatz solcher Apps als einen der Wege zurück in eine gesellschaftliche »Normalität« bzw. als notwendige Unterstützung einer »verantwortungsvollen« Lockerung der Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen vorschlagen, sich aber auch einmal mehr die große gesellschaftliche Abhängigkeit von marktbeherrschenden Unternehmen wie Apple, Google und Co. offenbart. Gleichzeitig steigt der Druck auf die Politik, den Weg in eine gesellschaftliche »Normalität« zu ebnen – soweit es eben angesichts einer Erkrankung möglich ist, über die man bisher nur wenig weiß und zu der es (noch) kein Medikament gibt. 

Unabhängig von der umstrittenen konkreten technischen Ausgestaltung und Datenschutzkonformität von Corona-Tracing-Apps, die sich im Kern um eine zentrale oder dezentrale Speicherung von Daten dreht, setzen alle bisherigen Vorschläge auf ein gleiches Konzept: das der Einwilligung. Die Installation und Nutzung einer Tracing-App soll gänzlich in die Hände der Bürger*innen gelegt werden, also freiwillig sein.

Im bisher unvergleichbaren rechtlichen, gesellschaftlichen und ökonomischen »Ausnahmezustand« wirft die Einwilligung als juristisches Regelungsinstrument jedoch einige Fragen auf: Wie frei ist die Freiwilligkeit, mit der Corona-Tracing-Apps installiert und genutzt werden sollen? Inwiefern handelt es sich neben einer rechtlichen auch um eine faktische Freiwilligkeit? Welche Rolle spielen politische Kommunikation einerseits bzw. individuelle und soziale Voraussetzungen der (potentiell) Nutzenden andererseits? Inwiefern besteht auch Missbrauchsgefahr durch staatliche und private Akteur*innen? x

Doch zunächst: Was bedeutet Einwilligung aus juristischer Perspektive? Die rechtliche Einwilligung ist eine individuelle Erklärung. Allgemein muss die Einwilligung im Datenschutzrecht freiwillig, unmissverständlich, informiert und für einen bestimmten Zweck abgegeben werden (vgl. Art. 4 Nr. 11 DSGVO). Die Willensbekundung ist dann freiwillig, wenn die betroffene Person eine echte oder freie Wahl hat und in der Lage ist, die Einwilligung ohne Nachteile zu verweigern oder zurückzuziehen (vgl. 45. Erwägungsgrund zur DSGVO). Einer freiwilligen Einwilligung kann eine Asymmetrie der beteiligten Akteur*innen entgegenstehen, die eine faktische Zwangswirkung erzeugt (vgl. 43. Erwägungsgrund zur DSGVO, der als Beispiel auch das Bürger*innen und Behörden nennt). Dabei entbindet auch eine rechtlich wirksame Einwilligung – die stets widerrufbar ist – nicht von den weiteren datenschutzrechtlichen Anforderungen, die Rechte der Dateninhaber*innen bleiben bestehen.

Jedoch auch ohne explizite rechtliche Verpflichtung, kann die Nutzung von Tracing-Apps als Zwang empfunden werden. Ein wichtiger Faktor dafür ist die Kommunikation staatlicher Repräsentant*innen: Die Debatte über den Einsatz von Tracing-Apps an sich und ihre verschiedenen (datenschutzrechtlichen) Ausgestaltungs- und Einsatzmöglichkeiten wird offen geführt; Informationen werden durch erkennbare politische Personen und Institutionen (z.B. der Bundesregierung: Die Corona-App ist ein Projekt der Bundesregierung) medial kommuniziert. Dies bleibt jedoch nicht ohne Wirkung. Gewisse Formen hoheitlichen Handelns – hier die Kommunikation der politischen Akteur*innen – können, wenn auch nicht zwingend rechtlich, aber immerhin faktisch fremdbestimmend wirken. Je nachdem wie kommuniziert wird, können Nutzer*innen von der Notwendigkeit einer solchen App inhaltlich überzeugt werden, sie können aber auch sozialen Druck – und damit Zwang – zur Nutzung verspüren.

Die Wirksamkeit von Kommunikation, ist zudem von unterschiedlichen individuellen und sozialen Faktoren auf Seiten der Empfänger*innen abhängig. So ist politische Kommunikation eher überzeugend und damit in der Lage Einstellungen und Verhalten zu beeinflussen, wenn ihre Inhalte weitgehend mit den politischen Einstellungen der Empfänger*innen in Einklang stehen und Vertrauen in staatliche Kommunikation besteht. Zwang dagegen entsteht vor allem dann, wenn die eigene Meinung gefühlt von der Mehrheitsmeinung abweicht und Gegenmeinungen unter Druck oder gar nicht erlaubt zu sein scheinen. Dadurch kann zwar ebenso Verhalten angestoßen werden, Überzeugung von Notwendigkeit oder Sinn einer Sache findet nicht statt. 

Eine Breitenwirkung ist jedoch Voraussetzung für die Effektivität von Tracing-Apps. Das Konzept funktioniert nur, wenn die Mehrheit der Bevölkerung diese installiert und nutzt. Damit steigt der soziale Druck: Aus individueller Sicht begründete Bedenken, die App zu installieren, stehen der mehrheitlich als Lösungsmöglichkeit kommunizierten Einsatz zur Eindämmung der Pandemie gegenüber. Die Entscheidung für die Installation von Tracing-Apps kann zudem dadurch begünstigt werden, dass Bürger*innen den Eindruck gewinnen könnten, durch eine flächendeckende App-Nutzung würden andere Beschränkungen zur Pandemiebekämpfung aufgehoben. Angesichts der nun nach und nach erfolgenden Lockerungen erscheint dies als ein folgerichtiger Schluss. 

Daran schließen sich weitere Faktoren an, die die Freiwilligkeit beeinflussen können: An die App-Nutzung könnten rechtliche oder tatsächliche Privilegien geknüpft werden, Arbeitgeber*innen könnten sie zur Voraussetzung für eine Weiterbeschäftigung machen, sie könnte als »Eintrittskarte« für verschiedene Bereiche fungieren. Dazu kommen Befürchtungen einer öffentlichen Sichtbarkeit und potenzieller Stigmatisierung. Solche Szenarien sind sowohl Ausdruck eines Missbrauchspotenzials als auch der individuellen Situation der Nutzer*innen. 

Anders als z.B. bei der ebenfalls umstrittenen Vorratsdatenspeicherung als Mittel gegen Terrorismus und organisierte Kriminalität, über die derzeit der Europäische Gerichtshof entscheidet, ist die Gefahrenlage im Fall der Corona-Apps viel konkreter und sichtbarer. Die Diskussion um die Vorratsdatenspeicherung hat sich auch deshalb von einer gesamtgesellschaftlichen zu einer primär rechtlichen Debatte gewandelt, was aufgrund der unmittelbaren Betroffenheit aller Bürger*innen bei staatlichen Maßnahmen gegen Corona kurzfristig nicht zu erwarten ist. 

Alle diese Erwägungen führen nicht zwingend dazu, dass eine Einwilligung rechtlich unwirksam ist. Die Voraussetzungen der Einwilligung sind aber auch nicht so offensichtlich gegeben, wie es zunächst anhand der Entscheidung für eine App-Nutzung durch informierte Bürger*innen scheint. Vor diesem Hintergrund leiten sich daher einige Überlegungen ab, die zu berücksichtigen sind: 

Es sind verfahrensrechtliche Sicherungen zu treffen, dass die App-Nutzung so frei wie möglich erfolgen kann. Dazu muss die Zweckentfremdung von App und Daten sichergestellt sein. Die politischen Akteur*innen müssen ferner widerspruchsfrei und vor allem einfach und nachvollziehbar kommunizieren, welche Szenarien daraus folgen können, wenn genug oder zu wenig Menschen eine Tracing-App nutzen. In diesem Zusammenhang sollte eine solche App in den Kanon der weiteren Maßnahmen zur Pandemie-Bekämpfung eingeordnet werden. Es muss darüber hinaus verdeutlicht werden, dass sie als mögliche technische Lösung – zunächst unabhängig von ihrer konkreten datenschutzrechtlichen Ausgestaltung – nur ein Baustein im Rahmen der Überwindung der Pandemie sein kann. Umfassende Transparenz über die rechtlichen und technischen Vorgaben derartiger Apps sowie die Beantwortung der Frage, welche Rolle Konzerne wie Apple und Google dabei spielen, sind darüber hinaus notwendig. 

Politische Kommunikation muss hierbei vor allem auch im Blick haben, dass Bürger*innen nicht grundsätzlich frei von Zweifeln gegenüber politischen Entscheidungen und Maßnahmen sind. Bedenken und Einwände sollten daher zu berücksichtigt und ernst genommen werden. Auch wenn die bisherigen Maßnahmen zur Eindämmung der Covid-19-Pandemie von der Mehrheit der Bevölkerung getragen worden sind, beobachten sinkt das Vertrauen der Menschen in politische Institutionen seit einigen Jahren. Darüber hinaus befördert die Corona-Pandemie die Verbreitung von Verschwörungsglauben unterschiedlicher Art. Eine Tracing-App, zu deren Installation und Nutzung staatliche Einrichtungen aufrufen, mögen Überzeugungen von staatlicher Kontrolle und Zwang in gewissen Kreisen verstärken.

Den Medien kommt insbesondere in »Krisenzeiten« eine wichtige Rolle als Vermittler politischer Entscheidungen zu. Durch die Art und Weise der Berichterstattung können sie einerseits sachlich, ausgewogen und neutral für das Verständnis und die Einhaltung politischer Maßnahmen werben. Andererseits können sie aber etwa durch verkürzte und emotionalisierte Berichterstattung gesellschaftliche Polarisierungstendenzen verstärken. Insbesondere letzteres kann durch soziale Medien gefördert werden – Orte an denen insbesondere rechtspopulistische oder rechtsextreme Akteur*innen entsprechende Diskurse bestimmen.

Über die kurzfristige Einordnung der Situation hinaus sind mittel- und langfristige gesellschaftliche Folgekosten zu beachten, deren konkretes Ausmaß sich nur schwer beziffern lässt. Neben den genannten faktisch zwingenden Aspekten ist es vielen schlicht nicht möglich, ihre Einwilligung zur Installation und Nutzung der App problemlos umzusetzen. Das betrifft insbesondere ältere Bevölkerungsgruppen, die in den vergangenen Wochen als »Risikogruppe« für Covid-19 identifiziert wurden. In Anbetracht der demographischen Struktur unseres Landes stellen diese einen erheblichen Teil der Bevölkerung. Personen, die nicht über die geeignete technische Ausstattung oder technischen und digitalen Kompetenzen verfügen, werden somit von einem weiteren Bereich »digitaler Teilhabe« ausgeschlossen. Folgen könnten Gefühle von Hilflosigkeit, Isolation und Abgehängtsein sein. Empfindungen, die letztlich wieder in einen Vertrauensverlust in staatliche Institutionen münden können, da »der Staat« Maßnahmen als erforderlich für die Eindämmung der Pandemie diskutiert, sie aber nicht allen gleichermaßen ermöglicht. 

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