#US-Demokratie

Breaking sad #7: Red Mirage und Blue Shift. Über die Demokratie in Amerika

Die globale Anteilnahme an den Ereignissen rund um den »election day« hat deutlich vor Augen geführt, dass die USA immer noch als Leitbild für die Organisation politischer Prozesse und Strukturen wirken können.

von and , 10.11.20

Es ist noch einmal gut gegangen: Während sich der abgewählte Präsident wieder einmal hinter »alternativen Fakten« verschanzt, atmet das Land und mit ihm die halbe Welt befreit auf. Die amerikanische Demokratie hat Trumps Angriffen standgehalten.

Gewählt wird in den USA am Dienstag immer nach dem ersten Montag im November – auch in diesem Jahr so. Gezählt wurde allerdings länger, sehr viel länger. Erst im Laufe des Freitags gibt es etwas Klarheit. Ein president-elect wurde jedoch von den Zahlen- und Datenjournalisten zunächst nicht ausgerufen. Denn in den bis zum Ende der Woche unklaren Bundesstaaten Arizona, Georgia, Nevada und Pennsylvania kristallisierte sich erst allmählich heraus, dass Joe Biden und Kamala Harris auf dem demokratischen Ticket ihren Weg ins Weiße Haus gefunden hatten. Zugleich verschanzte sich der Amtsinhaber und wandte sich mit gelegentlichen Zwischenrufen an das Land, das ihm langsam entglitt. In den Tagen nach der Wahl hat sich ein Tableau der Demokratie in Amerika entfaltet, das kraftvoll und dynamisch – und doch zugleich angespannt und verletzlich wirkt.

Multimodales Wählen

Eine nie dagewesene Zahl von early votes hatte den Auszählungsprozess zu einem wochenfüllenden Ereignis werden lassen – das war alles andere als eine Überraschung. Denn die Frage, wie unter Pandemie-Bedingungen eine möglichst sichere Stimmabgabe organisiert werden könne, war monatelang debattiert worden. Auch die Wahlkämpfer hatten das aufgegriffen und ihre Haltung zum Wahlverfahren in Covid-Zeiten in ihren Kampagnen deutlich gemacht: Während Joe Biden und die demokratische Partei offensiv zur Nutzung der Optionen für eine vorzeitige Stimmabgabe aufgefordert hatten, zog Donald Trump genau das immer wieder in Zweifel und schürte Unsicherheit über die Integrität der Wahl. Der Erfolg dieser Interventionen hielt sich indes in Grenzen: Mehr als 100 Millionen Stimmen sind im Verlauf des early voting eingegangen; am election day selbst waren es dagegen »nur« etwas mehr als die Hälfte davon. Aus dieser Grundverteilung der Stimmen folgte, was man erwartet hatte – Demokraten wählten häufiger vorab, Republikaner viel wahrscheinlicher am Wahltag selbst – und daraus entstand eine für den Verlauf der Woche unklare, belastende Situation.

Die »multimodale Stimmabgabe« ist keineswegs neu. Doch der Mix aus postalisch versendeten mail-in ballots, vor dem Wahltermin in ballot drop boxes deponierter Stimmzettel und dem klassischen Gang ins Wahllokal hat in diesem Jahr eine neue Dimension erreicht – mindestens für US-amerikanische Verhältnisse. (Allerdings: wie sähe es wohl in Deutschland aus, wenn zu Pandemiezeiten die Hälfte der Wahllokale geschlossen blieben und zwei Drittel aller Stimmen per Briefwahl eingeliefert würden?) Die sicherlich auch durch die Pandemie-Situation verstärkte Differenzierung der Stimmabgabe führte im Verbund mit den Regeln der Wahlorganisation, die in den Bundesstaaten alles andere als einheitlich gestaltet sind, zu einem sehr sprunghaften Auszählungsgeschehen. Wie sich nach dem Schließen der Wahllokale rasch zeigte, machte es für die Ermittlung der Ergebnisse einen eklatanten Unterschied, ob zunächst nur die am Wahltag abgegebenen Stimmen oder zeitgleich die vorab abgegebenen Stimmzettel ausgezählt wurden. Die zeitliche »Entzerrung« der Stimmabgabe auf demokratischer Seite in Kombination mit der Wahltags-Option, die die Republikaner favorisierten, führte zum so genannten red mirage: einem trügerisch guten Wahlergebnis für den Amtsinhaber, der in vielen Staaten vorne lag – und zwar in solchen Staaten, die vorher als wahlentscheidend galten. Mit zunehmender Auszähldauer passierte jedoch genau das, was praktisch alle Wahlbeobachter und -forscher vorausgesagt hatten: Das in der überwältigenden Mehrheit demokratisch geneigte early vote verkleinerte den Trump-Vorsprung oder fraß ihn gänzlich auf, bis hin zur Umkehrung des Resultats inklusive der Blaufärbung der Landkarte: dem blue shift.

Allerdings konnte Donald Trump auch einige tatsächlich gute Ergebnisse vorweisen, zum Beispiel den recht sicheren Sieg in Florida (51,2 zu 47,8 Prozent). Dort hatte Trump insbesondere im hispanic vote gut abgeschnitten und Biden gleich zu Beginn des Abends eine schmerzliche Niederlage bereitet. Für den weiteren Verlauf der Wahlwoche war dieser Ausgang wichtig: Denn bei einem flip durch die Demokraten hätten sich die Chancen für den Amtsinhaber radikal verschlechtert. Entsprechend schnell war klar, dass es keinen landslide geben würde, keinen demokratischen Durchmarsch in das Weiße Haus und keinen Spaziergang zu einer doppelten Mehrheit im Kongress. Auch das durfte nicht wirklich überraschen: Hier bildete sich ziemlich präzise das Muster jener akkuraten Zweiteilung des Landes ab, die sich während der Legislaturperiode in den approval rates des Präsidenten gezeigt hatte: Die Zustimmung zur Amtsführung von Donald Trump war nicht überschwänglich, fiel aber auch nie ins Bodenlose. Die am Tag vor der Wahl gemessenen 44,6 Prozent gelten als grober Indikator für das popular vote, die Gesamtverteilung aller abgegebenen Stimmen – mit etwa 47 Prozent liegt Trump aktuell etwas darüber. Die Gegenprobe: die Zustimmung für Biden lag am Tag vor der Wahl bei 52,6 Prozent, sein Stimmenanteil pendelt sich knapp unter 51 Prozent ein. Der schärfere Blick auf die Bundesstaaten machte deutlich, dass Donald Trump gewiss kein schlechtes Ergebnis eingefahren hat – vielerorts hat er deutlich mehr Stimmen erhalten als seine republikanischen Vorgänger oder er selbst 2016.

Landkartenberichterstattung

»It´s all about the map« war einer der häufigeren Sätze in der Wahlberichterstattung, und ja, die electoral map – die blau-rote Abbildung der amerikanischen Wahlgeographie – ist in Bewegung. Der Auftritt einer Trump-treuen lateinamerikanischen Community in Florida war nur ein Aspekt der soziodemografischen Verschiebungen, die an vielen Stellen sichtbar wurden. Anders als in den Vorjahren haben Staaten politische wie mediale Aufmerksamkeit erhalten, die in den letzten election cycles nicht einmal für Nebenrollen nominiert waren. Texas etwa; seit den 1980er Jahren war der der Lone Star State fest in der Hand der Republikaner, in diesem Jahr waren die 38 Stimmen im electoral college seit langer Zeit wieder einmal umstritten. Etwas weiter westlich verwandelte sich Arizona, historisch sogar noch stärker republikanisch geprägt, zu einem flipped state – zu einem jener strategisch wichtigen Gebiete, die »umgedreht« werden konnten und so für einen Stimmenzuwachs im electoral college sorgten. In diese Liste konnte sich dann auch Georgia eintragen als Teil des südöstlichen bible belt. Auch hier dominierten über Jahrzehnte die Republikaner; in diesem Jahr wird der Empire State of the South zum »Münzwurf-Staat« (toss-up state) mit einem äußerst knappen Rennen. Der Unterschied zwischen den Parteien ist derart gering (Biden führt nur mit wenigen Tausend Stimmen), so dass eine automatische Neuauszählung notwendig wird. Und auch die Senate races sind umstritten: Beide Sitze werden erst im Januar durch Nachwahlen entschieden und können den Demokraten tatsächlich noch eine Pattsituation bescheren. Die Gründe für diese Entwicklung sind in den Staaten nicht einheitlich, aber sie können doch zusammengefasst werden: Die demografische Gestalt der Wählerschaft hat sich verändert, die Bürger*innen werden jünger, gehören häufiger einer ethnischen Minderheit an und die zahlenmäßige Verteilung zwischen ländlichem und urbanem Raum verschiebt sich zugunsten der Städte. Solche in Deutschland unter der Rubrik »Modernisierungseffekte« zusammengefassten Entwicklungen spielen auf längere Sicht wohl den Demokraten in die Hände, die hier eher politische und personelle »Angebote« liefern können.

Von roten und blauen Medien

Doch nicht allein die sozialen und politischen Eckdaten der Wahl haben ihren Beitrag für eine ereignisreiche Wahlwoche geleistet. Auch der Zustand der politischen Öffentlichkeit spielt eine wichtige Rolle. Und damit geraten die zentralen Akteure der US-amerikanischen Medienlandschaft in den Blick, die gerade durch die Form ihrer Berichterstattung rund um den election day hierzulande große Aufmerksamkeit erhalten. Ungewohnt und überraschend erscheint vielen die nach parteipolitischer Präferenz strukturierte Zweiteilung – die Republikaner verfügen mit Fox News und One America Network über zwei treue Gefolgssender, während die Demokraten sich auf eher wohlwollende Kommentare durch MSNBC und CNN verlassen dürfen.

Anhand zweier Ereignisse lässt sich die besondere Verwobenheit von politischer und medialer Sphäre gut illustrieren. Hatte schon Trumps Ansprache aus der Wahlnacht die Sender auf eine harte Probe gestellt, so brachte sein zweiter Auftritt am Donnerstag das Fass zum Überlaufen. Die Aneinanderreihung von Andeutungen, Vermutungen, Spekulationen und Lügen war nach Ansicht des CNN-Journalisten Daniel Dale »die unehrlichste Rede« der gesamten Präsidentschaft. Und das will schon was heißen. Gleich mehrere Networks klinkten sich noch während der Ansprache aus dem Live-Bild aus oder korrigierten den Präsidenten live per Voice-over. Als schließlich am Samstagnachmittag die Auszählungsergebnisse aus Pennsylvania dazu führten, dass die ersten Sender und Nachrichtenagenturen Joe Biden als president-elect ausriefen, folgte ein zweiter Schlüsselmoment am Bildschirm. Van Jones – ebenfalls bei CNN unter Vertrag, vormals auch als Berater der Obama-Administration tätig – wurde um eine Einschätzung der Situation gebeten. Er rang nach Worten, brach in Tränen aus und schilderte dann sehr emotional die politische Bedeutung des Wahlausgangs aus der Sicht der schwarzen Bevölkerung. Das mehrere Minuten lange Video ist längst viral im Netz unterwegs und verdeutlicht die enorme Anspannung, unter der viele Amerikaner leben müssen.

Flashback?

Denn dass nicht nur die professionellen Beobachter an den Rand der Belastungsgrenze geraten waren, zeigte sich überall: Hupkonzerte, ausgelassene Straßenfeste, Musik und Tanz im öffentlichen wie privaten Raum durchzogen als Signal der kollektiven Erleichterung das ganze Land (das Bildmaterial dazu wurde verlässlich in den vielen timelines bei Facebook, Twitter oder Instagram abgespeichert). Die vielleicht eindrücklichste visuelle Signatur der Stimmungslage bot die St. John´s Episcopal Church am Lafayette Square in Washington, D.C.: Dort hatte Donald Trump am 1. Juni auf dem Höhepunkt der Black Lives Matter-Proteste mit einer Bibel in der Hand für Fotografen (und Evangelikale) posiert – nachdem der Platz gewaltsam geräumt worden war. Fünf Monate später bildete just an dieser Stelle eine ausgelassene Menschenmenge das Hintergrundbild für die TV-Berichterstattung zu den Reaktionen auf das frisch verkündete Auszählungsergebnis. (Als fulminante Fußnote der Geschichte war der Präsident zu eben jener Zeit in eine Runde Golf in Virgina geflüchtet.)

Alles andere als Zufall also, dass die Reaktionen der Medienschaffenden ein guter Gradmesser waren für den Zustand des ganzen Landes (und darüber hinaus eines großen Teils der Weltöffentlichkeit). Wie kein anderer Präsident zuvor hat Donald Trump seine Präsidentschaft als medienöffentliches Geschäft betrieben, in den traditionellen Medien genau so wie in den digitalen. Seine Präsenz in TV-Netzwerken wie Fox News und One America Network, auf stramm konservativen Online-Plattformen wie Breitbart oder in den radikalen Winkeln des talk radio führte dazu, dass er in vielen Wohnzimmern zum household name geworden ist – ähnlich wie vielleicht nur die lead characters der großen US-amerikanischen TV-Serien. (Und hier reden wir von GilliganFonzieColumboJerry SeinfeldHomer SimpsonWalter White oder Sheldon Cooper, die sich auch weit jenseits ihres medialen Habitats in die populäre Kultur eingeschrieben haben.) 

Die digitale Selbstentblößung, die er schon lange vor seinem Amtsantritt als @realDonaldTrump auf Twitter betrieben hat, »verfeinerte« sein öffentliches Erscheinungsbild zusätzlich und sorgte auch für die Erschließung non-linearer Zielgruppen. Was irritierend klingt, zeigt sich aber zum Beispiel bei jungen TikTok-Nutzer*innen, die sich nach der Wahlniederlage beim Zusammenlegen ihrer Trump-Fahnen filmten. Der deutsche Journalist Cordt Schnibben notierte auf seinem Facebook-Profil sehr treffend (und spricht vielen »Atlantikern« aus der Seele): »Warum bewegt mich dieses Wahlergebnis so wie keins vorher? Warum feiern die Leute in den Straßen der US-Städte so, als sei nicht eine Wahl, sondern ein Krieg gewonnen? Es geht nicht um links und rechts, es geht darum, dass mancher in den letzten vier Jahren den Glauben an die Menschheit verlieren konnte, den Glauben daran, dass der Mensch letztendlich ein vernünftiges Wesen ist, das Argumenten zugänglich ist, das überzeugt werden kann von Werten, Moral und Respekt.« 

Nicht vergessen darf man an dieser Stelle, dass die vielen Jubelszenen, die auch in den deutschen Medien die Berichterstattung dominiert haben, natürlich ihre Gegenbilder haben – nur sind die ländlichen Regionen mit republikanischen Mehrheiten längst nicht so sichtbar im globalen Mediendorf. Vielleicht ist die Ausgelassenheit der Sieger so etwas wie das blue mirage nach der Wahl – das Trugbild einer Einheit im Siegestaumel, dem noch reichlich Ernüchterung während einer schwierigen transition to power bis zur Inauguration im Januar folgen kann.

Unklarer Machttransfer

Und die Ernüchterung ist schon da: Trump verweigert hartnäckig eine concession speech – im klassischen Protokoll Anerkennung der Wahlniederlage und rhetorische Übergabe der Amtsgeschäfte an die nächste Regierung. Aber wer hätte das eigentlich noch von Trump erwartet? Vielleicht ist das sogar nur der Vorgeschmack, denn noch ist das legal team unterwegs, wenn auch manchmal auf seltsamen Pfaden auf dem staubigen Parkplatz eines Gartencenters. In mehreren Staaten wollen Trumps Anwälte die Wahlergebnisse anfechten und drängen auf eine juristische Überprüfung. Allein, bisher wurden keine stichhaltigen Beweise für einen Wahlbetrug präsentiert – es blieb meist beim vagen, unklaren wie eigentlich selbstverständlichen Geraune über illegal votes, die von den legalen zu trennen seien. Angesichts des sich immer weiter klärenden Auszählungsergebnisses scheint dieser Weg nicht sonderlich Erfolg versprechend zu sein. Bidens bisher bestätigte 290 electoral votes wirken schon solide, die Kontroll-Zählung in Georgia könnte 16 weitere Stimmen ergänzen.

Doch es droht noch weitere Gefahr. Ähnlich wie schon vor vier Jahren entfaltet sich aktuell eine Diskussion um die so genannten unfaithful electors, die »untreuen Wahlleute«, die im electoral college einfach nicht so abstimmen, wie es ihnen die Wähler*innen nahegelegt haben. Diese Situation kann tatsächlich entstehen – 2016 wurde die Abweichung vom Wählervotum sogar von demokratischen Juristen als letzte Fluchtmöglichkeit vor einer Trump-Regierung diskutiert. Im Fall Chiafalo v. Washington hatte Lawrence Lessig noch im Mai diesen Jahres vor dem Supreme Court auf die besondere Rolle der Wahlleute im demokratischen Prozess hingewiesen. Die Klage wurde am obersten Gerichtshof abgewiesen – und nun ist sie möglicherweise ein hilfreiches Werkzeug im zweifellos anstehenden juristischen Nachspiel. Denn wenn sich die Wahlleute in dem einen Fall an das Wählervotum halten sollten – warum sollen sie es in dem anderen Fall nicht tun? Für Donald Trump scheint das nichts weiter als eine Art workaround für ein irgendwie unpassendes Wahlergebnis zu sein. Was nicht passt, wird passend gemacht. Wäre es nicht die Wirklichkeit, so ließe sich daraus ein Netflix-taugliches Gerichtsspektakel basteln. Obwohl, das mag ja noch kommen.

Es bleibt dabei: Was macht Trump?

Es stehen also noch ereignisreiche Monate bevor. Die Übergangs-Website buildbackbetter.com des dynamischen Duos Biden/Harris ist bereits am Start, ebenso der zugehörige Twitter-Account @Transition46. Doch ob diese digitalen Vorboten der Erneuerung wirklich der »Wiederherstellung amerikanischer Führungskraft« (O-Ton buildbackbetter.com) dienen können, muss sich erst noch zeigen. Bislang sind solche Parolen nicht viel mehr als der Versuch, dem medialen Wirken des widerspenstigen, aber gekündigten Hausherrn von 1600 Pennsylvania Avenue etwas entgegenzusetzen. Derweil verwandelt Trump seinen Amtssitz zusehends in eine traurige Version einer »Festung der Einsamkeit«. Folgt man den Medienberichten, dringt auch sein engster Berater- und Familienkreis nicht bis zu ihm durch – Schwiegersohn Jared Kushner soll jedenfalls schon gescheitert sein mit dem Hinweis, sich doch besser auf einen Auszug aus dem Weißen Haus vorzubereiten. Beinahe noch wichtiger erscheinen jedoch die Reaktionen aus den Führungsetagen der republikanischen Partei. Denn hier sitzen die Personen, die den Einfluss von Donald Trump auf die Zukunft der US-amerikanischen Politik am ehesten einhegen könnten. Könnten – denn dazu müssten sich einstige Partei-Granden offensiv von »ihrem« Präsidenten lossagen. Die Gelegenheiten dazu haben am Wochenende die Grahams, McConnells, Cruz´ oder McDaniels verstreichen lassen.

Und dabei wäre ein möglichst normaler Übergang zwischen den Regierungen in so fordernden Zeiten wie der Corona-Pandemie sicherlich wünschenswert. Es stimmt dann doch hoffnungsvoll, dass sich Joe Biden und Kamala Harris trotz aller Siegeseuphorie bisher vergleichsweise zurückhaltend gegeben haben und das Staatstragende ihrer Mission in den Vordergrund stellen – eine rapid response auf die Pandemie-Situation auf die Beine stellen zu wollen, statt sich offensiv mit dem renitenten Hausbesetzer zu befassen, zeigt in die richtige Richtung. Allerdings: es ist noch nicht in Sicht, wie sich in der aktuellen Situation ein Plan für die Wiedervereinigten Staaten von Amerika entwickeln ließe. Solch ein plot for america verlangt nach exotischen Zutaten, die nicht zuletzt einen Umbau des politischen Systems einschließen würden.

Wie kann es nun einer neuen presidency gelingen, die Kluft zwischen den beiden Lagern zu verkleinern und den Boden für parteiübergreifende Entscheidungen zu bereiten, die das Land in Zukunft braucht? Denn das demokratische Ticket war ja im Wesentlichen über die Mobilisierung des liberalen Amerikas erfolgreich – nicht durch die Persuasion der Republikaner. Welche Veränderungen braucht es im Mediensystem, damit keine Echokammern mit ideologisch kohärenten Teil-Publika entstehen? Und wie können digitale Plattformen als verantwortungsvolle Akteure in eine politische Öffentlichkeit eingebunden werden? Schließlich: Wie sieht ein reformiertes Wahlsystem aus, das künftig eine bessere und gerechtere Bestimmung des*der Präsident*in gewährleistet? Verfahrensvorschläge gibt es längst, aber können sie auch implementiert werden?

Das sind alles andere als triviale Fragen. Doch wenn man sich mit dem aktuellen Zustand der Vereinigten Staaten beschäftigt, ist kaum ein anderer Ansatz möglich. Die globale Anteilnahme an den Ereignissen rund um den election day hat ja erneut deutlich vor Augen geführt, dass die USA immer noch als Leitbild für die Organisation politischer Prozesse und Strukturen wirken können. Und genau deshalb wäre es fatal, wenn der Wahlkampf 2020 so etwas wie der last dance der Demokratie in Amerika gewesen wäre, gar ein dancing in the dark.




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Breaking sad #5: Fortysomething – Der Präsident und seine treue Basis
Breaking sad #6: Digitale Plattformen im US-Wahlkampf

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