#US-Demokratie

Breaking sad #5: Fortysomething – Der Präsident und seine treue Basis

Ein ausgleichender, die Lage beruhigender Präsident würde inzwischen eher unglaubwürdig wirken. (...) Traditionelle Gatekeeper, die korrigierend eingreifen könnten, werden nicht länger einkalkuliert.

von and , 26.10.20

Die politischen Lager in den USA stehen sich feindlich wie nie zuvor gegenüber. Argumente zählen wenig, Beobachter sprechen von einem »kalten Bürgerkrieg«.

Was spricht eigentlich für Donald Trump? Warum ist eine weitere Amtsperiode immer noch in Reichweite? Die Fragen mögen erlaubt sein, denn wenige Wochen vor der Wahl hält sich die Zustimmung für den Präsidenten bei rund 40 Prozent. Sogar etwas darüber. Beachtlich stabil, so aus der Ferne beobachtet: Was The Donald seinem Land bislang zugemutet hat, ist erstaunlich genug. Und erinnerungswürdig, aber für seine Anhänger offenbar nicht sonderlich »problematisch«. Trump im Amt – das ist nicht nur eine lange Reihe voller Aufregungen und die Etablierung eines neuen, nun ja, präsidentiellen »Stils«. Das ist auch ein – in Zahlen ausgedrückt – ungebrochener Rückhalt. Da mag er machen, was er will. 

Ein wirklich kurzer Rückblick: Donald Trump ist ein notorischer Narzisst und Märchenerzähler. Die USA kennen dafür das schöne, aber etwas unfeine Wort des bullshitting. Die bislang überwiegend bildhaft oder rhetorisch gemeinte Sprache von »Parallelwelten« gewinnt in der Präsidentschaft von Trump wörtlichen Sinn. Das macht nicht Halt vor den fatalen Folgen einer Pandemie, einer manifesten Ignoranz gegenüber Wissenschaft und Expertise, auch nicht vor Behauptungen über einen vermeintlich anstehenden Wahlbetrug. Mutmaßungen, die immerhin ein zentrales Moment der Demokratie diskreditieren. Lassen wir die Feinheiten der Twitter-Presidency einmal außen vor und damit tausende Attacken auf all jene, die an seinem Gang und Weg etwas auszusetzen haben, ebenso die Rekordmarke von zwanzigtausend Lügen, die die Washington Post im Juni für Trumps Amtszeit dokumentierte. Seine rallies sind für Außenstehende oder Demokraten schwer verdauliche Collagen aus Ressentiments, Diffamierungen und Feindbildkommunikation, in denen u. a. »augenzwinkernd« von Übergriffen auf Journalisten und Medien fabuliert wird. Oder offen eine Art »Widerstand« eingefordert wird, gegen eine marodierende »Antifa«, die eben dabei sei, die amerikanischen Klein- und Vorstädte in Schutt und Asche zu legen.

Präsidial? Donald Trump ist anders: Er gießt täglich Öl ins Feuer der inzwischen so unfassbar unvereinigten Staaten. Ein Land, in dem das eine Lager dem anderen so ziemlich alles zutraut – geführt von einer Person mit besonderem Talent zum Zündeln. Deren Hang zur Spaltung gewinnt im Wahlkampf an Schärfe in Form von Law and Order und der Aufforderung an bewaffnete White Supremacy-Gruppen, »sich bereit zu halten«Sein »America First« schließt nur einen bestimmten Teil der Staaten ein, rechts bis weit rechts von der politischen Mitte und vor allem ethnisch-nationalistisch gestimmt. Und außenpolitisch markiert der Slogan ein »America Alone« – die Isolierung der USA von (früheren) westlichen Partnern, mit denen er allerlei Handelskonflikte angezettelt hat. Trumps offene Bewunderung autoritärer Herrscher (und deren Möglichkeiten) hätten wir hier fast vergessen. Auch, dass er entgegen der Expertise aller 21 Geheimdienste der USA dem russischen Präsidenten Putin eine Nicht-Einmischung in den Wahlkampf 2016 attestierte. Müssen wir da noch vom Impeachment reden? Von Charlottesville? Von Belästigungen und Übergriffen? Von der Deep State-Verschwörungstheorie? Sie treibt gerade im Wahlkampf neue Blüten – so ziemlich jeder seiner politischen Gegner, Joe Biden und Barack Obama eingeschlossen, wird mit Verfolgung bedroht (fast schon stilbildend im Taktikbuch des Trump-Campaigning). 

Das ist natürlich längst nicht alles. Wahrscheinlich könnte man für jeden einzelnen Tag seiner Präsidentschaft etwas anführen, das in jedem anderen demokratischen Land (und zu anderen Zeiten auch in den USA selbst) handfest skandalisiert worden wäre und eine politische Karriere in Gefahr gebracht hätte. Damit sind noch nicht einmal Trumps »Unkorrektheiten« gemeint. Die findet die Basis womöglich sogar »pfiffig«, einschließlich seiner Steuervermeidungspraktiken. Und nüchtern betrachtet wird es auch hinsichtlich seiner politischen Bilanz schwierig; Trumps Präsidentschaft ist da ambivalent zu bewerten. Kaum Wunder, nebenbei bemerkt, dass sein Wahlkampf im Wesentlichen ein negative campaigning ist und Angst vor einer demokratisch verantworteten Zukunft schürt: Das Land ginge ziemlich sicher den Bach hinunter, sollten Biden und Harris und damit die radical left erfolgreich sein.

Eine ambivalente Bilanz

Andererseits sollte man im Auge behalten, dass Trump »liefert« – wenngleich in der Bilanz doch eher durchwachsen. Aber es gibt eben durchaus Gründe und Argumente, die aus der Sicht seiner Anhänger für ihn sprechen könnten. Entgegen seines Standards gilt das aber nur bedingt als promise made – promise kept

Eines seiner zentralen Wahlkampfversprechen – den Bau einer Grenzmauer zu Mexiko – konnte in Teilen umgesetzt werden; allerdings fehlen noch hunderte Meilen (jedenfalls mehr, als tatsächlich gebaut wurden). Und dass Mexiko die Kosten für die bisherigen Abschnitte übernehme, davon ist nichts bekannt. Doch mit der Stärkung der US-Einwanderungsbehörde ICE und verschärften Restriktionen des so genannten Dreamer-Programms können seine Anhänger sicher gut leben; ob das auch für die Trennung von Immigrantenfamilien an der Grenze gilt, ist dagegen nicht so klar. 

Ein zweites zentrales Vorhaben, die Abschaffung von Obama-Care, ist ebenfalls nur in Teilen umgesetzt worden: mit der Aushebelung des individual mandate, der allgemeinen Versicherungspflicht. Andere Initiativen konnte das Weiße Haus bislang nicht durch den Kongress bringen; eine Klage ist vor dem Supreme Court anhängig. Was bislang fehlt – und dem Weißen Haus jetzt in der Covid-Krise quasi um die Ohren fliegt – ist tatsächlich so etwas wie der ebenfalls versprochene Gegenentwurf, ein Plan, ein Programm, ein Ersatz, um den Millionen, die nun in einer kritischen Situation ohne Versicherung auskommen müssen, Aussicht auf Rückhalt zu geben. 

Was Trump tatsächlich gelungen ist, ist eine größere Steuerreform, nicht nur bei der Unternehmens- und Einkommenssteuer, sondern auch bei den unteren Einkommensklassen. Damit einher geht allerdings – und zwar vor der aktuellen Wirtschaftskrise – die Verdoppelung des amerikanischen Haushaltsdefizits. Entgegen seiner Wahlkampfreden, in denen von einem Ausgleich der Bilanz zu hören war. Dazu beigetragen hat sicher die Erhöhung der Militärausgaben, was wiederum im konservativen Amerika gut aufgenommen wurde. 

Richtig gut angekommen dort ist die massive Neubesetzung von Bundesrichtern und natürlich insbesondere die Perspektive auf die nun dritte Einsetzung eines Richters oder einer Richterin im Supreme Court. Die Aussicht auf eine langfristige republikanische Dominanz in den obersten Gerichten hatte viele Wähler*innen von Trump in den Umfragen 2016 als Motiv für diese Entscheidung genannt. Sie dürften sich hier bestätigt finden. 

Ambivalent wirkt dagegen wiederum seine De-Regulierungspolitik. Tatsächlich dürfte die Abschaffung von Regulierungsmaßnahmen der Obama-Regierung durch das Mittel der Executive Order ein zentrales Moment der Präsidentschaft Trump sein; und aus rein wirtschaftlicher Perspektive kann man das positiv framen. Das kommt aber nicht ohne Preis – denn dabei ging es häufig genug eben nicht um die Verschlankung der Bürokratie, sondern die Schwächung des Umweltschutzes. Dass die Amerikaner sich mit dem Austritt aus dem Pariser Klimaschutzabkommen auf diesem Gebiet international isoliert haben, sei nur nebenbei erwähnt. Auch die Neuverhandlung von NAFTA und seine protektionistische Handelspolitik haben Handwerk und Industrie in den USA nicht derart gestärkt, wie 2016 in den Staaten der nördlichen Industrieregion versprochen. 

Ein weiteres Thema, an das hier nur kurz erinnert sei, wäre die »Trockenlegung des Sumpfes« – Drain the Swamp schallte es immerhin bei Trumps Wahlkampfauftritten. Davon ist tatsächlich keine Spur. Eher hat sich diesbezüglich im Trump International Hotel, Pennsylvania Avenue 1100 in Washington, so etwas wie ein neuer Hotspot des Hinterbühnen-Lobbyismus aufgemacht. Trump Swamp.

Approval Ratings

Man könnte also annehmen, im Laufe der Zeit würde die Unterstützung von Trump zumindest schwanken. Unbesehen jeglicher politischen Haltung gegenüber diesem ungewöhnlichen Präsidenten: Es sind derart viele kleinere und größere Aufregungen zu verzeichnen, dass wir eigentlich mit sichtbaren Ausschlägen in seinen Umfragewerten rechnen dürften. Und offen gestanden: wir würden vermuten, im Laufe der letzten nunmehr dreieinhalb Jahre seien seine Umfragewerte zurück gegangen. Doch das stimmt nicht: Trumps Präsidentschaft erfährt recht beständig Unterstützung; rund 40 Prozent der Amerikaner*innen zeigen sich einigermaßen konstant zufrieden mit seiner Amtsführung. Es werden nicht viel mehr; es werden aber auch nicht viel weniger. Offenbar finden Trumps Anhänger genügend Gründe, ihm nicht von der Fahne zu gehen. Zumindest deuten das die Zustimmungsraten an.

In den USA sind die Spitzenpolitiker*innen gewohnt, beständig »vermessen« zu werden. Insbesondere die approval ratings sind nicht nur für das Weiße Haus selbst ein Hinweis, wie groß der aktuelle Rückhalt in der Bevölkerung ist (für den Präsidenten wie auch mit Blick auf konkrete Vorhaben); solche Umfragen sind, da sie zum Standard der presidential coverage gehören, ein wichtiges Element der politischen Öffentlichkeit – dem »Selbstgespräch der Gesellschaft« (Niklas Luhmann). 

Den größten Ausschlag in der Geschichte der approvals verzeichnete George W. Bush – nach dem 11. September und in der Folge eines ralley around the flag-Effektes. Seine bis dahin rund 50-prozentige Zustimmungsrate stieg in der Folge der Anschläge innerhalb weniger Tage auf über 80 Prozent. Bill Clinton verlor nach seinem Freispruch im Impeachment im Februar 1999 rund 10 Prozent (erhielt aber immer noch rund 55 Prozent Unterstützung). Richard Nixon stürzte im Zuge der Watergate-Affäre nachgerade ab: von knapp 70 Prozent auf etwa 25 Prozent. John F. Kennedy verlor immerhin von seinen überragenden 80 Prozent in der Folge des Schweinebucht-Desasters 8 Prozentpunkte. Das sind natürlich größere, historische Umstände. Aber selbst, wenn man in die Niederungen der politischen Aufregungen hinabsteigt, also zu »kleineren« Problemlagen, so finden sich Ausschläge, die als »Reaktion« gewertet werden dürfen. Jedenfalls bei den Präsidenten zuvor: Dass Trump derart stabil (wenngleich auf niedrigem Niveau) seine approval ratings hält, ist bemerkenswert.

Das Standing des Präsidenten

Trump startete noch relativ gut in seine Amtszeit. Wie bei jedem anderen Präsidenten überwiegen verständlicherweise zunächst die Zustimmungswerte – allerdings begann Trump bei gerade einmal knapp 46 Prozent (Obama z. B. lag bei seiner Amtsübernahme bei rund 65 Prozent). Für Trump entwickelten sich die Zahlen jedoch sofort in einer leichten Abwärtsbewegung auf rund 38 Prozent im Juni, als er erstmals sein komplettes Kabinett vorstellen konnte. Bis in den Winter 2017 pendelten sich dann die Zustimmungsraten bei etwa 40 Prozent ein, mal wenige Punkte darunter, mal ein wenig darüber. Danach – bis heute in den Wahlkampf hinein – bleiben bei allem, was da kommt, die Werte einigermaßen stabil. Im Lager Trump, man mag es kaum glauben, ist es umfragetechnisch ausnehmend ruhig.

Selbst das Impeachment, bestimmt kein Kleinkaliber des US-Polit-Theaters, änderte daran wenig. Die Amerikaner*innen zeigten sich zwar einerseits interessiert, andererseits aber nicht sonderlich »bewegt«. So erzeugte zunächst die Veröffentlichung des Untersuchungsberichts von Sonderermittler Robert Mueller zur so genannten Russland-Affäre am 18. April 2019 einen leichten Abschwung der approvals, die Werte beruhigten sich aber bald wieder; auch die spektakuläre Anhörung von Mueller im Kongress im Mai änderte daran wenig. Und das setzte sich während des mindestens ebenso spektakulären Impeachments und den Anhörungen im Repräsentantenhaus fort – obwohl dort immer offenkundiger wurde, dass Trump sein Amt tatsächlich missbraucht hatte. Es war im Grunde wie an der Börse. Trump, als Präsident, war mit all seinen kleineren und größeren Skandalen bei seiner Basis (und darüber dann bei der Senatsmehrheit der Republikaner) »eingepreist«. So etwas hatte man wohl erwartet.

Diesen Gedanken einmal weiter verfolgt: Was ist, wenn sich in den Umfragen gar nicht so sehr unmittelbare Reaktionen auf Trumps aktives politisches Handeln abbilden, sondern stattdessen die Verfestigung der Lager sichtbar wird? Die Fieberkurven der approval ratings weisen ja auch so gut wie keine Ausschläge nach oben auf, obwohl es doch immer mal wieder politische Erfolge zu vermelden gab – mal ein Friedensabkommen in Nahost, mal neue Verfassungsrichter oder tatsächlich auch mal gute Börsenwerte. Sind die ratings dann überhaupt noch »Trumps« Zustimmungswerte, die aus einer Bewertung seines tatsächlichen Regierungshandelns resultieren? Oder sind sie nicht eher eine generalisierte Anzeige der Treuebekundungen innerhalb des republikanischen Lagers, für das es per se kein »disapproval« geben kann, weil eine demokratische Alternative konsequent ausgeblendet wird?

Polarisiert – die Vereinigten Staaten im »kalten Bürgerkrieg«

Gibt man dieser Überlegung etwas Raum, dann illustrieren die approval ratings die fortschreitende, geradezu zementierte Polarisierung der Vereinigten Staaten – also die politisch, sozial und kulturell wirksame Kluft zwischen republikanischem und demokratischem Lager. Prägend für Trumps Präsidentschaft ist eben (auch), dass diese Gegnerschaft nicht nur offenkundig wird, sondern sich eher verstärkt, ja »bedingungslos« wird: Durch eine ausgleichende, ruhige, staatsmännische Politikgestaltung wird sie im Moment ganz bestimmt nicht verringert oder gar überwunden. Die Fronten haben sich verhärtet. In den Umfragen findet diese Entwicklung ihren Ausdruck als unverrückbares Fundament von Unterstützer*innen im Bereich von ungefähr vierzig Prozent. Und während die Demokraten auf der anderen Seite ein Ende seiner Amtszeit geradezu herbeisehnen, lassen sich die Anhänger des Präsidenten durch dessen Amtsführung kaum stören. 

Nun sind politische Einstellungen im Allgemeinen meist recht stark verankert und brauchen erhebliche Irritationen oder Persuasionsleistungen, um sich zu ändern. Dennoch ist es erstaunlich, dass nicht einige moderate und politische interessierte Bevölkerungsteile im republikanischen Lager die Politik Trumps spürbar, »messbar« kritisch sehen. Im Übrigen sind diese konstanten rund vierzig Prozent, die die Basis von Trump ausmachen, kein monolithischer »Block« aus z. B. »einfachen« Amerikanern aus den flyover-States. Die republikanisch gepolten fortysomethings sind, wenn man der Wahlsoziologie zur 2016er Wahl folgt, durchaus sozial und ökonomisch heterogen – mit zwar ähnlichen Ressentiments gegenüber Minderheiten und Migranten, aber eben auch unterschiedlichen Perspektiven auf Politik und die Präsidentschaft und ihr eigenes Engagement. Sehr aufschlussreich ist hier die Arbeit von John Sides, Michael Tessler und Lynn Vavreck, in ihrem Band »Identity Crisis« (2019) den Wahlkampf von 2016 als »Schlacht um die Bedeutung von Amerika« bezeichnet haben. Man könnte also den ein oder anderen Ausschlag beim Rating erwarten.

Jedoch befinden sich größere Teile der USA inzwischen in einem, wie es Torben Lütjen kürzlich treffend gefasst hat, »kalten Bürgerkrieg«. Das Land verliert seine politische Mitte. Polarisiert – das ist eben mehr als ein manifester Konflikt in einem Zweiparteiensystem. In den USA selbst wird das verbreitet als Culture War wahrgenommen und geht weit über die politische Links-Rechts-Orientierung hinaus: Im Zweifel wählt man nicht nur stabil innerhalb eines Lagers, sondern sucht sich gleich auch seine community nach diesem Kriterium aus – in der Kneipe, beim Sport, in der (Pop-)Kultur, auf dem College, in der Nachbarschaft. Da bedarf es schon einiger Wucht, um die Fahne zu wechseln. Die passende aggressive Abgrenzung in Form von Feindbildkommunikation (was übrigens leichter ist als der Beleg eigener Erfolge) wird natürlich von Trump befeuert. 

Allerdings wirken hier – sich gegenseitig verstärkend – zwei weitere Faktoren. Zum einen hat die republikanische Partei jeden kritischen Ansatz gegenüber Trump verloren. Wurden der Kandidat und der »frische« Präsident innerhalb der Partei und den republikanischen Mitgliedern des Kongresses zunächst noch skeptisch beobachtet, so ist inzwischen beinahe jede kritische Haltung unter der Federführung von Mitch McConnell, dem republikanischen Mehrheitsführer im Senat, aus den Parteistrukturen verschwunden. Gruppierungen wie das Lincoln Project sind nachgerade ein konservatives Exil im eigenen Land.

Vieles davon, zweiter Punkt, wird ermöglicht und betoniert durch die rechtskonservativen Medienkreise in den USA; sie haben Trump als Präsident gestützt und dann weiter und erheblich an Definitionsmacht gewonnen. Oscar Wilde soll einmal gesagt haben: »Wer die Wahrheit sagt, wird früher oder später dabei ertappt.« Dieser Gefahr, um im Ton zu bleiben, sind große Teile der USA nicht länger ausgesetzt. Die politische Kluft des Landes spiegelt sich auch in der Nachrichtenlandschaft wieder. Insbesondere Fox News und die (erz-)konservativen Radio Talks sind dabei mehr als »nur« ein Spiegel Trumps – sie sind ein sich verstärkender Feedback-Loop, der nicht nur ganz offen die Agenda des Präsidenten stützt, sondern sie umgekehrt auch (mit-)bestimmt – und damit die politische Realität des konservativen Amerika.

Trump – off?

Es erscheint einigermaßen folgerichtig, wenn die Trump-Kampagne in dieser Situation vor allem auf die Mobilisierung der Basis setzt. Einmal umgekehrt gedacht: ein ausgleichender, die Lage beruhigender Präsident würde inzwischen eher unglaubwürdig wirken. Trump geht es angesichts notorisch geringer Wahlbeteiligungen in den USA nicht darum, unentschlossene Bürger*innen für sich zu gewinnen. Er will einzig seine Wähler*innen zur Wahl zu bewegen – vor allem mit einem »Wahlkampf der Furcht« vor dem, was die radikalen, eigentlich sozialistischen Demokraten aus ihrem Amerika machen würden. Jedenfalls nicht das Amerika, das es einmal war. So gesehen, ist der Versuch, die Briefwahl zu diskreditieren und damit Stimmen für die Demokraten zu unterdrücken nur ein notwendiger Bestandteil des »fear campaigning«. Ganz nebenbei bemerkt ist auch das ein Beleg für den Zustand des wirklichkeitsflüchtigen Landes: dass die Trump-Kampagne in ihren Aussagen und Videos keinerlei Zurückhaltung zeigt in Sachen Manipulation und Desinformation. Und keinerlei Zurückhaltung zeigen muss, denn traditionelle Gatekeeper, die hier korrigierend eingreifen könnten, werden nicht länger einkalkuliert.

Trumps starker Rückhalt bei seiner Basis könnte also seine Chance sein. Allerdings setzt er am Ende des Tages auf eine doch eng umgrenzte Wählerkoalition – auf einem (noch) nicht mehrheitsfähigen Niveau. Und momentan und angesichts der nach wie vor spürbaren Pandemie scheinen auch die moderaten und unentschlossenen Teile der US-Wählerschaft seinen Sirenen nicht zu folgen. Im Gegenteil: Die Covid-19-Krise und ihre so mangelhafte Bewältigung hat das »System Trump« angezählt. »Lügen bis der Arzt kommt« – so titelte vor kurzem Der Spiegel: Die Pandemie lässt sich eben nicht wie der ganze Unsinn der letzten dreieinhalb Jahre ignorieren oder denunzieren oder durch die nächste Aufregung den Demokraten unterschieben. Vielleicht hat er sich also diesmal »verzockt«, als er einem Investigativjournalisten mit einem Wohnzimmerschrank voller Preise ins Mikrofon diktiert, wie man das Land in die Irre geführt hat. Das konnten nur noch wahrlich Gläubige als fürsorgende Weitsicht auslegen. Fortysomething eben. Mehr wohl nicht. 




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