#US-Demokratie

Breaking sad #1: Kamala Harris auf dem Ticket der Demokraten

Gut veranschaulicht wird die gesellschaftspolitische Drift mit dem bekannten Schaubild der »moving mountains« aus dem »Political Polarization Report« des Pew Research Center – die Einstellungen von Demokraten und Republikanern grenzen sich immer schärfer voneinander ab und der Abstand zwischen den gemäßigteren Positionen beider Lager vergrößert sich.

von and , 4.9.20

Der amerikanische Wahlkampf wird nach der Nominierung von Kamala Harris erst recht zum »culture war« – den Donald Trump wie üblich nach Kräften befeuert. Auftakt zu einer neuen Reihe, die den Kulturkampf um das Weiße Haus begleitet. 

Birther, again?

Länger schon war auch ihr Name diskutiert worden, und daher überraschte die Wahl von Kamala Harris als Running Mate von Joe Biden nicht sonderlich. Auch die unmittelbaren Reaktionen des Trump-Lagers waren abzusehen: Sie sei »a mad woman«, die so ziemlich bösartigste Senatorin des Kongresses und, so der Präsident, »angry« und »extraordinarily nasty«. Und selbst das hätte man wohl ahnen können, Birther 2.0: Kaum war die Entscheidung für Harris als mögliche Vizepräsidentin von Biden gefallen, bezweifelte der konservative Jurist John Eastman im Nachrichtenmagazin Newsweek, ob sie überhaupt gewählt werden könne. Sie sei zwar in Amerika (Oakland) geboren, aber ihre Eltern waren nicht eingebürgert. Trump und sein Team griffen das sofort als »open question« auf. »I heard it today that she doesn’t meet the requirement« – so der Präsident, der den Amerikanern ja über Jahrzehnte als eher skurrile Fernseherscheinung bekannt war, bevor er als Wortführer der Birther-Debatte um Präsident Barack Obama ab dem Frühjahr 2014 sein politisches Profil zu schärfen begann.

Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Es gibt keinerlei Zweifel am Jus Soli und damit daran, dass Kamala Harris Bürgerin der Vereinigten Staaten ist. Das ist unter Verfassungsrechtlern vollkommen unstrittig. Es handelt sich um eine Nontroversity: eine Kontroverse, die keine ist, aber aus politischen Gründen behauptet wird. Die These, »Amerikaner der ersten Generation« seien keine vollwertigen Bürger, wird – wenn überhaupt – nur als juristische Fingerübung in Universitätsseminaren durchgespielt, um genau das Gegenteil vor Augen zu führen. Doch erinnerte man sich offenbar nur zu gut und nur zu gerne, wie sehr sich ein Teil der Staaten nachhaltig beeindrucken ließ von der Trump-Kampagne gegen Obama und die falsche Behauptung, er sei in Kenia geboren – und damit kein legitimer Präsident.

In diesem beiläufigen Einstreuen von Zweifeln an der Rechtmäßigkeit eines politischen Gegners steckt Methode und machte nicht bei Obama halt. 2018 ließ Elizabeth Warren, Senatorin aus Massachusetts und Demokratin, ihre DNA testen und das Ergebnis veröffentlichen: Trump hatte immer wieder ihre genetische Verwandtschaft mit amerikanischen Ureinwohnern (Cherokee) bezweifelt und sie – abwertend – »Pocahontas« genannt. The Donald hatte erneut für sich reklamiert, die Abstammung politischer Konkurrenten in Frage zu stellen. Auch in seinen zahllosen Attacken auf demokratische Kongressabgeordnete wie Alexandria Ocasio-Cortez geht es meist um Herkunft und die Frage, ob sie überhaupt Amerikanerinnen bzw. wie unamerikanisch sie seien, Staatsbürgerschaft hin oder her. Das brutale politische Theater, das die Vereinigten Staaten in diesen Tagen sind, ist eine Vorführung in Sachen Stereotype, Feindbilder, Rassismus und Identität.

Kampagne, Culture War Style

Wenn es ein übergeordnetes Thema in der Präsidentschaft Trump gibt (neben der Person Trump selbst), dann ist es der Culture War: Ein seit etwa Mitte der 1980er Jahre derart bezeichneter Konflikt über – grob gesprochen – den American Way of Life und die Frage, welche Wert- und Moralvorstellungen Amerika prägen (sollten). Es herrsche, so die These, kein gesellschaftlicher Konsens über fundamentale Orientierungen (wie z. B. Rolle des Staates in der Wirtschaft, Sozialstaatlichkeit, Religion, Zivilgesellschaft u. ä.), vielmehr sei die Kluft zwischen einem progressiven und einem konservativem Amerika seit der Bürgerrechtsbewegung der 1960er Jahre immer größer geworden und nunmehr kaum zu überwinden. Das bekannteste Schlagwort zu dieser politisch hochbrisanten Lagerbildung dürfte »Polarisierung« sein. Gut veranschaulicht wird diese gesellschaftspolitische Drift mit dem bekannten Schaubild der »moving mountains« aus dem »Political Polarization Report« des Pew Research Center – die Einstellungen von Demokraten und Republikanern grenzen sich immer schärfer voneinander ab und der Abstand zwischen den gemäßigteren Positionen beider Lager vergrößert sich.

Nun ist die Nominierung von Kamala Harris wohl auch einer Ausgleichsfunktion geschuldet, einem Balancing the Ticket. Kandidatinnen und Kandidaten zur Vizepräsidentschaft sind ein – auch der jeweiligen historischen Situation geschuldetes – Signal, dass sich die Heterogenität der Gesellschaft ein Stück weit in der Kandidatur widerspiegelt. Dass wiederum mit Senatorin Harris vom politischen Gegner eine Birther-Debatte losgetreten wurde (und zwar sofort), ist bezeichnend und sagt einiges über die rechtskonservativen Unterstützer Trumps aus. Denn Harris repräsentiert nicht nur einfach das farbige, weibliche Amerika: Sie hat an einer Spitzenuniversität studiert, als Einwanderungskind einer indischen Mutter und eines Vaters aus Jamaika die Top-Positionen ihrer Profession erreicht und kocht exotisch. »She’s a walking demonstration of why America’s history as a magnet for immigrants makes us the most dynamic country in the world.«

Dass genau das irgendwie nicht richtig sein könnte, spiegelte sich unmittelbar in den »Kommentaren« des Präsidenten. Zum einen sei Harris, wie gesagt, »nasty« – was sie eben von den Suburban Houswifes unterscheidet, die Trump derzeit umschwärmt. (Eric Trump favorisierte auf seinem Twitter-Account einen Tweet, der ihre Nominierung einen »whorendous pick« nannte.) Weit weniger eindimensional als dieses »nasty« oder der billige Sexismus des Präsidentensohnes ist der »Spitzname«, den Donald Trump ihr gab: »Phony Kamala« sei sie, also eine Schwindlerin, in so ziemlich allem. Darunter auch, so der republikanische Politikberater Ari Fleischer, der falsche Anspruch, farbige Amerikaner zu repräsentieren, denn sie sei »just not that historically exciting to African Americans«. Sie sei, anders ausgedrückt, aufgrund ihres ethnischen Hintergrundes nicht authentisch amerikanisch-farbig. Man glaubt es kaum. Und wer es bis dahin noch nicht verstanden hatte, für den formulierte es der konservative Radiomoderator Mark Levin noch einmal präzise: »Kamala Harris is not an African American (…). Her ancestry does not go back to American slavery.« Culture War vom Feinsten.

Wir dürfen annehmen, dass mit der Nominierung von Harris nur eine neue Etappe eingeschlagen wurde in einem Wahlkampf der Extreme. Nun sind US-Wahlkämpfe schon seit rund 50 Jahren professionelle und strategisch geplante Operationen, denen ein Negative Campaigning keineswegs fremd ist. Und freilich war Trumps Kampagne 2016 so unerhört wie bislang keine in einem an unerhörten Wahlkämpfen reichlich erfahrenen Land. Nun lässt nichts in der Präsidentschaft Trump, nichts an der Situation im Sommer erwarten, dass es in den letzten Monaten des Wahlkampfs 2020 auch nur einen Hauch sittsamer werden könnte. Im Gegenteil.

Einen Vorgeschmack hatte Präsident Trump bereits am 4. Juli 2020 am Mount Rushmore gegeben: Am Nationalfeiertag polterte er über die »radikale Linke, Marxisten und Unruhestifter«, die die Freiheit Amerikas beseitigen und unter dem »Banner der Gerechtigkeit« eigentlich nur plündern wollten. Nicht nur mit diesem Motiv wird ein Anschluss an eine andere Rede vollzogen, nämlich jener vom Inaugurationstag. Auf den Stufen des Kapitols war Amerika schon damals als düsteres carnage, Gemetzel, gezeichnet worden, aus dem der Neugewählte sein Volk herausführen wollte: »From this day forward, , it´s going to be only America First!« Und nun? Trump attackierte am Unabhängigkeitstag die Black Lives Matter-Bewegung, die »machthungrig« das »amerikanische Erbe« auszulöschen versuche. Die werde man besiegen, so wie die »amerikanischen Helden« früher die »Nazis besiegt« hätten »Selbst für Trump war das eine radikale Rede, eine kaum verhüllte Kriegserklärung an einen Teil der Bevölkerung, und dies an einem Ort der nationalen Einheit.«  Und das Muster setzte sich fest. Inzwischen sind seine Reden gespickt mit dem Appell, ihn zu wählen, denn nur er könne die Nation retten – und die Zivilisation – vor einer Left-Wing-Cultural-Revolution.

Veep – POTUS?

In diesen Frame wird man auch Kamala Harris einarbeiten, als extrem in ihren Ansichten, ultra-liberal und radikal-links in ihrem Programm, phony in ihrem Charakter. Nun war zwar die Vizepräsidentschaft im politischen System der USA lange Zeit eine nicht nur nachgeordnete, sondern auch einflusslose Position. Allerdings ist sie immer nur, wie man sagt: »Just a heartbeat away« von der Präsidentschaft. Das ist natürlich metaphorisch gemeint, gewinnt aber mit Joe Biden, der im November 78 Jahre alt wird, eine gewisse – zugegeben etwas morbide – Eventualität. Wie keine andere Vize-Präsidentschaft zuvor scheint diese nun angelegt zu sein, für den Fall eines Wahlsieges der Demokraten, in naher Zukunft dann doch tatsächlich die erste Präsidentin zu stellen (z. B. durch einen krankheitsbedingten Rückzug Bidens oder auch eine absichtsvoll eingeleitete Amtsübergabe zur Mitte der Legislaturperiode).

Ein solches Szenario muss den Kulturkriegern im Trump-Lager und bei den Republikanern, die an eine Zeit nach The Donald denken, vorkommen wie ein Ruf aus dunklen Zeiten, eine Dystopie – mit strategischem Potential. Soweit man Schwierigkeiten haben wird, Joe Biden als radikalen Linken zu platzieren, als Zerstörer amerikanischer Werte und der Nation, so wird man Harris sicher als Trojanisches Pferd darstellen: als Gefahr einer farbigen Präsidentin durch die Hintertür. Phony Kamala eben.

Auch Sean Hannity, Fox News-Moderator, hatte gleich seine Linie gefunden und nannte Harris eine Senatorin mit einem »radical extremist record«; mit ihrer Auswahl manifestiere sich »the most extreme radical far-left out-of-the-mainstream ticket of any major political party in American history.« Ganz deutlich stehen die Zeichen darauf, dass das Trump-Lager die Wahl als letztes Gefecht gegen die Übernahme des Landes durch die radikalen Linken darstellen wird – und dass man Harris entsprechen einordnet. Tim Murtaugh, der Kommunikationsdirektor der Trump-Kampagne, dazu auf Fox: »We are focused strictly on talking about how she completes the radical leftist takeover of Joe Biden.« Und gleich nach der Nominierung kommentierte sein Team in einem Newsletter: Harris sei »the meanest, most horrible, most disrespectful, MOST LIBERAL of anyone in the U.S. Senate (…) She and Mr. Biden want to DESTROY America.«

Interessanter Weise wird diese Sicht auf die Kandidatin im demokratischen Lager keinesfalls geteilt – Vertreter der in den vergangenen Jahren erstarkten Parteilinke betrachten Harris mit Skepsis. Echten »lefties« gilt sie längst nicht als progressiv genug, aber man schreibt ihr auch eine gewisse Formbarkeit zu: Wer nicht links ist, kann es ja vielleicht noch werden. Wenn es nicht die Vereinigten Staaten wären, so könnte man sich an dieser Stelle ein schmackhaftes Getränk aus dem Kühlschrank holen, ein paar Snacks dazu, einen bequemen Platz sichern und die Reality-TV-Serie anschalten, die die USA derzeit sind.



Weitere Beiträge in der Reihe »Breaking Sad«:
Breaking Sad #2: Die virtuellen Parteitage der Demokraten und Republikaner
Breaking Sad #3: Meinungsumfragen im US-Wahlkampf?
Breaking Sad #4: »Die Debatten, die keine waren«
Breaking Sad #5: Fortysomething – Der Präsident und seine treue Basis
Breaking Sad #6: Digitale Plattformen im US-Wahlkampf
Breaking sad #7: Red Mirage und Blue Shift. Demokratie in den USA

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