#Autocomplete

Autokompletter Unsinn – Wie der BGH die digitale kulturelle Entwicklung zerstört

von , 27.5.13

Autocomplete – das Wort allein reicht schon aus, um sich sicher zu sein, dass die deutsche Angewohnheit, das Internet für alles und jeden Unsinn schuldig zu erklären, Purzelbäume schlagen wird. Dass allerdings der BGH da nun mitmacht, ist ein Alarmsignal.

Worum geht’s eigentlich?

Wir alle kennen das Prinzip des Multi-Level-Marketings. Für alle, die es nicht kennen: Das ist diese Methode, Freunde und Fremde dazu zu überreden, Hunderte von Packungen Kosmetika oder Pillenfood zu kaufen, um diese dann für einen astronomisch dreisten Preis an andere Freunde und Fremde weiterzuverkaufen. Eingeleitet werden solche Verkaufsgespräche z.B. an Bars mit folgendem Satz: “Ich ernähre mich jetzt ja gesund, solltest du auch mal machen. Ich hab’ da was für dich.” So plump, so tumb, aber wie man so schön sagt, sterben die Dummen ja nie aus.

Da die Dummen nie aussterben, sterben auch diejenigen nicht aus, die diese behumsen wollen. Wenn sie das “im Rahmen der geltenden Gesetze” machen, sind sie zwar in den Augen sehr vieler Menschen Betrüger, aber nicht für das Gesetz.

Zurück zum Internet, in diesem Fall, mal wieder, zu Google.

Früher ist man in der Bibliothek zu der freundlichen Person hinter dem Tresen gegangen und hat gefragt: “Ich suche was über diesen König Herodes, der hat doch diese Sache gemacht, diese…” – “Kindermord”, antwortete dann der Bibliothekar. Er tat das, weil man schon der 15. Schüler war, der heute fragte, weil alle gerade an diesem doofen Aufsatz saßen.

Der Bibliothekar hatte sich also die beliebten Suchanfragen-Kombinationen gemerkt. Meines Wissens gibt es kein Gerichtsurteil zum Fall Kindermord des König Herodes, aber eine ziemlich einflussreiche Erzählung, die für sich selbst eine Art Wahrheit in Anspruch nimmt – die Bibel – behauptet dies (es gibt aber auch noch andere Indizien).

Dennoch gibt es kein deutsches Gericht, das König Herodes wegen Kindermordes verurteilt hätte, nur die Geschichte hat über ihn geurteilt (hätte auch anders kommen können.)

Auch der Multi-Level-Marketing-Chef, der jetzt vor dem BGH einen vorläufigen Sieg gegen Google errungen hat, ist nach den Buchstaben des Gesetzes kein Betrüger, sondern nur in den Augen vernünftiger Menschen, die die Pyramidenspiel-Methoden des neuerdings euphemistisch etikettierten “Network-Marketing-Systems” als das sehen, was sie sind: Betrug an leichtgläubigen Menschen.

Was bedeutet es also, wenn jemand in Zukunft Begriffskombinationen, die ihm nicht schmecken, mal eben bei Google (oder anderen Suchmaschinen) verbieten lassen kann? Wäre es zu vergleichen mit oben erwähntem Bibliothekar, dessen stiller Gedankengang dann ungefähr so aussehen würde: “Mein lieber Junge, ich kann dir leider nicht sagen, dass Informationen über König Herodes von deinen Mitschülern wegen ‘Kindermord’ hier gesucht wurden, weil es kein deutsches Gerichtsurteil zu diesem angeblichen Verbrechen gibt.”

Jetzt kann man sagen, dass im Bereich des Multi-Level-Marketing das “Volksbewusstsein” ja gar nicht so dumm ist. Es gab aber andere Momente, da war es mit dem deutschen Volksbewusstsein nicht so weit her (gut, zu der Zeit waren auch deutsche Gerichte eine Farce, aber sei’s drum).

Es ist also vielleicht sinnvoll, dass man sich bei der Anzeige von Autocomplete nicht auf die von Fall zu Fall pervers-verdrehte Neugier der Menschen (“War Bettina Wullf eine Hostess?”) verlässt, sondern sich an die Fakten hält. Gerichtlich festgestellte Fakten.

Aber halt! Ist denn gerichtlich festgestellt, dass dieser konkrete Multi-Level-Marketing-Mann gar kein Betrüger ist? Oder behauptet der das nur? Bei allen guten und richtigen Grundsätzen der Unschuldsvermutung – wenn soviel Leute das Gegenteil vermuten und nach dieser Kombination suchen, dass es bei Google in die Autocomplete-Anzeige rutscht, besteht da nicht wenigstens Anlass, dieser kollektiven Vermutung polizeiliche Ermittlungen oder journalistische Nachforschungen folgen zu lassen? Oder ggf. sogar Gesetze zu überdenken? Oder zumindest, sich mal zu fragen, ob die ungeprüfte Aussage eines Einzelnen (“Ich bin kein Betrüger”) als Löschgrundlage für eine Suchmaschine nicht ausreicht?

Mir ist aus eigner Erfahrung bewusst, wie schmerzlich gefühlt ungerecht es sein kann, wenn man durch Autocomplete-Ergebnisse daran erinnert wird, dass es eine Gruppe von Menschen gibt, die die eigene Person mit negativen Begrifflichkeit verbinden. (Hier verfällt man dann gerne auf die Bezeichnung “Der doofe digitale Mob”.) Ich kann das also gut verstehen, wenn man liebsten sofort bei Google die Löschung von als ungerecht empfundenen Wortkombinationen in die Wege leiten will. Da kann die Nervendecke schon mal extremst dünn werden.

Aber – und das ist ein Aber mit einem Seufzen, dennoch ein Aber – über solche Streitigkeiten entscheidet ab einem gewissen Eskalationslevel (welches bei Autocomplete-Suchergebnissen quasi immer erreicht ist) ein Gericht. Keine Einzelperson, kein Google, keine Standardvorschrift. Suche ist eine wichtige Kulturfunktion, sie als solche zu beschneiden, ist ein Eingriff, der nicht aufgrund einer allgemeinen Google-Hysterie übers Knie gebrochen werden sollte.

Der Preis der Freiheit ist das Böse, hat Rüdiger Safranski mal gesagt. Der Preis der Freiheit der Worte im gegenseitigen Umgang in einer durch das Internet intensiv vernetzten Welt ist, dass man Meinungen über die eigene Person mehr ertragen muss, weil sie öffentlich präsenter sind als in vordigitalen Zeiten.

Die Konsequenz daraus ist eine manchmal schmerzhafte und immer anspruchsvolle Weiterentwicklung unserer (Umgangs-)Kultur – zumindest wäre das mein Wunsch. Was ich nicht ertrage. ist die spießig-reaktionäre Art. ein Mehr an sozialer Information einfach mit einem Pauschal-BGH-Urteil zu unterdrücken. Das ist keine soziale Evolution, das ist staatliche Ignoranz.

Ich habe keine endgültige Meinung zu diesem Thema, an dem erneut deutlich wird, dass in Deutschland soziokulturelle Innovation durch das Internet nur aus der Warte altbackener “Das darf so nicht sein”-Wunschvorstellungen betrachtet wird, aber das BGH-Urteil hat einen sehr unangenehmen Nachgeschmack.

Die Kritiker des Webs sagen immer, dass der digitale Wandel nicht in seiner Technikinnovation, sondern besser in seiner sozialen Folgenabschätzung bewertet werden solle. Ich teile diese Einstellung, aber “Folgenabschätzung” ist für mich kein Euphemismus für “Verbieten”, sondern ein ständiges, kritisches Hinterfragen der eigenen Kultur. “Panta rhei”, sagte der Panda, und baute sich ein Boot.
 

Linkempfehlungen:

In gewohnt professioneller Manier behandeln die geschätzten Lawblogger von Telemedicus die Grenzen der Rechtmäßigkeit bei Google Autocomplete und Rechtsanwalt Thomas Stadler analysiert und kommentiert gewohnt routiniert.

Der Volltext des BGH-Urteil ist jetzt verfügbar.

Und Kai Biermann von Zeit Online erinnert daran, dass Google halt nur das zeigt, was wir denken.

 
Crosspost von Anders

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