#Autorisierung von Texten

Authentizität und Wahrheit

von , 8.10.12

Nur einige wenige Anmerkungen zu einem Thema, das in der Küche journalistischer Selbstreflexion zur Zeit eine große Rolle spielt. Die “New York Times” hat jetzt mit großen Lettern verkündet, sie wolle sich in Zukunft Zitate von Politikern und “Informanten” nicht mehr autorisieren lassen; im Altpapier vom 2.10. findet man dazu eine kurze Zusammenfassung. Dahinter verbirgt sich die Hoffnung, die Glaubwürdigkeit und die Legitimität journalistischer Arbeit zu erhöhe. Der Verdacht der Instrumentalisierung oder gar der Kollaboration mit der Politik soll ausgeräumt werden. Autorisierung bedeutet das Verschweigen des Nicht-Autorisierten. Diese Idee klingt so hoffnungsvoll, wie sie letztlich wirkungslos ist: Sie löst das diagnostizierte Problem nämlich nicht.

Interviews – oder Hintergrund-Gespräche – mit Politikern sind in der Regel wenig aufregend. Ein Politiker nutzt den Journalisten bekanntlich nicht als Beichtvater, sondern instrumentalisiert ihn in seiner Rolle als Berichterstatter. Es ist daher erst einmal gleichgültig, ob die abgedruckten Zitate später autorisiert worden sind oder nicht. Man wird nie etwas anderes lesen als ein Politiker in der Zeitung lesen will. (Anmerkung: Es geht um seine Aussagen, nicht um die Einordnung und Interpretation.) Bei Live-Interviews im Fernsehen oder im Radio ist das zwar anders, aber der Interviewte entsprechend vorsichtiger. Oder auch nicht.

Was verändert sich nun, wenn Journalisten Zitate in Zukunft nicht mehr autorisieren lassen? An den wechselseitigen Rollenerwartungen nichts. Politiker funktionieren weiterhin gemäß den Funktionsbedingungen des politischen Systems, genauso, wie Journalisten ihrer Medienlogik gehorchen. Nur muss der Interviewte oder Gesprächspartner in Zukunft das Überraschungsmoment ausschalten. Er hat keine Möglichkeit mehr, ein spontan gesprochenes Wort zurückzunehmen. Er wird in der Gesprächssituation schon so glatt poliert und nichtssagend reden müssen, wie er es heute erst nach der Autorisierung praktiziert.

Es änderte sich somit am Ende nichts – und die Rolle der Medien hätte sich etwa in solchen Fällen ebenfalls nicht geändert. Zudem wird sich auch ohne die Regel der Autorisierung ein Vertrauensverhältnis zwischen einzelnen Journalisten und Politikern (oder “Informanten”) entwickeln, die es als Grundlage ihres Verhältnisses betrachten, nicht alles zu schreiben, was gesagt worden ist. Die Regel der Autorisierung gilt zwar in diesen Fällen weiterhin, allerdings verzichtet man auf deren ausdrückliche Formulierung. Zudem gab es schon immer Fälle, wo bewusst gegen die Autorisierungsregel verstoßen worden ist. Etwa bei Helmut Kohls Vergleich von Gorbatschow mit Goebbels oder beim Abdruck von Lafontaines berühmter Äußerung über Helmut Schmidts Sekundärtugenden, mit denen man auch ein KZ leiten könne.

Diese Debatte ist das Ergebnis eines Wahns, den die Echtzeitstrukturen der Online-Kommunikation erzeugt haben. Spontanität wird als Authentizität und damit als Indiz für tiefere Wahrheit betrachtet. Tatsächlich werden die dominanten strategischen Kalküle aller Akteure nicht geändert, sondern lediglich deren Formulierung beschleunigt. Politiker (oder “Informanten”) haben dann halt keine Zeit mehr, über eine Äußerung noch einmal nachzudenken – und später zu korrigieren. Sie werden damit noch maskenhafter werden, als sie es heute schon sind. Authentizität und Wahrheit? Sie wird es nach dieser Regeländerung noch weniger geben als zuvor. Darüber sollten die Kollegen vielleicht einmal nachdenken.

Update

Zum Thema Authentizität noch Michael Spreng. Mit der Wahrheit versucht es Jens Berger.
 
Crosspost von Wiesaussieht

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