#Angela Merkel

Ausweitung des Zuspitzungswahlkampfs

von , 31.8.09

Was ist gestern Abend eigentlich passiert? Einiges. Als handfester Indikator mag gelten, was Kajo Wasserhöfel gestern kurz nach 18 Uhr twitterte:

:-))))

So gut gelaunt hat man den SPD-Bundesgechäftsführer schon lange nicht mehr erlebt. Wasserhöfel jubiliert schon wenig später über den “schwarzen Sonntag für Frau Merkel” und gibt die Interpretationslinie vor: “Schwarz-Gelb hat in unserem Land keine Mehrheit.” Da reibt man sich die Augen und fragt:

Steinmeier und Müntefering jubeln über 9,9%, 18,7% und 25,1%???? Na dann viel Spaß bei der Bundestagswahl!

Doch dieser Abend geht tatsächlich an die SPD, denn alle Augen richten sich auf die Strategie der Kanzlerin, die nicht erscheint. Und ihr Generalsekretär wirkt beträchtlich derangiert. Dabei ist eigentlich nichts Spektakuläres passiert: Im Saarland hat sich Heimspieler Oskar Lafontaine 20 Prozent zurück erkämpft, in Thüringen wurde ein augenscheinlich schwächelnder Ministerpräsident abgestraft. In Sachsen lief es für die CDU gut.

Das eigentliche Drehmoment bekommt dieser Abend durch den Auftritt eines neuen Akteurs in diesem Bundestagswahlkampf: den Wähler. Der Skandal des Abends besteht darin, dass die größe Erzählung der Medien- und Umfrageindustrie gebrochen worden ist, nach der Merkel letztlich uneinholbar ihren inhaltsleer-umarmenden Präsidialwahlkampf werde weiterführen können. Die SPD bekommt damit auch ihren Lieblingsfeind zurück: Die angeblich latent neoliberale Hauptstadtpresse, die vom Denken der kleinen Leute da draußen sowieso nichts verstehe.

Plötzlich stellen sich damit wieder die Fragen nach der strukturellen Mehrheitsfähigkeit von Schwarz-Gelb, die medial schon präjudiziert schien. Letzlich sei diese klassische Regierungskoalition der alten Bundesrepublik seit 1998 nämlich demografisch ohne Machtperspektive, wie Frank Lübberding betont (mehr dazu auch hier). Merkel habe bei den Landstagswahlen gezeigt, dass sie nicht die notwendige Ausstrahlungskraft ins linke Lager besitze, um hierzulande Mehrheiten zu organisieren. Die schlechten Ergebnisse kratzen tatsächlich am Merkel-Nimbus, deren Wahlkampfstrategie vielen in Berlin zwar als langweilig, aber effektiv galt.

Dass Michael Spreng über die politische Chef-Anästhesistin Angela Merkel nörgelt, überrascht nicht. Dass aber nun auch die konservtive Kolumnistin Bettina Röhl die Contenance verliert, gilt es zu notieren:

“Merkel ist die Kanzlerin der ruhigen Hand. Von Lagerwahlkampf versteht sie offenkundig nichts. Und das zeigt sich nicht erst jetzt. … Die CDU ruht sich auf der Merkel-Bank aus, während Angela Merkel schläft.”

Das bürgerliche Lager müsse endlich lernen, so Röhl, auf ideologische Angriffe von links zu kontern. Bei Merkel sieht sie hier augenscheinlich große Leerstellen. Das Erstaunliche an der ganzen Angelegenheit ist selbstredend, dass die SPD durch die (leichte? vorübergehende?) Schwäche der Union geradezu elektrisiert scheint. Plötzlich blitzt der Wille zur Macht bei den Sozialdemokraten wieder auf. Dabei könnte sie nur die – sehr unwahrscheinliche – Ampelkoalition zur Kanzlerschaft führen.

Die erstaunliche Autosuggestion der SPD, die auch schon den letzten Parteitag prägte, da ist sie wieder: Irgendwie schaffen wir das schon. Der gestrige Abend bedeutete für die SPD auch die Hoffnung, irgendwie eine Mobilisierung hinzubekommen, an der es dem Steinmeier-Wahlkampf bislang so sehr mangelnde. Letztlich schienen sich gestern alle – Politik wie Medien – vor allem auch darüber gefreut zu haben, dass sie in den gelernten Modus der politischen Auseinandersetzung zurückfallen können: Wer mit wem? Welche Koalition?

Dass es dabei noch weniger um Inhalte ging als beim Wahlkampf à la Merkel, schien dabei niemanden zu stören und viele zu beflügeln. Wieso noch über den Deutschlandplan inhaltlich Wahlkampf machen, wenn man mit Kündigungsschutz- und Schwarz-Gelb-Paranoia mindestens genauso weit kommt? Die Erkenntnis des Abend lautet auch, dass der Weg der SPD zur Kanzlerschaft nur über die Linke führen – eine Option, die andere nach Steinmeier annehmen werden.

Hierfür bedarf es aber eines anderen Wahlkampfs und einer Linksführung der Sozialdemokraten. Recht gemütlich war es gestern auch für so manch klassische Partei, weil die Piratenpartei nur am Rande vorkam. Die 1,9 Prozent in Sachsen gingen als Ergebnis eher noch unter. Auch hierin könnte sich dieser Sonntag vom 27. September unterscheiden.

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