#András Schiff

Aus Ungarn nichts Neues

von , 8.5.13

Der weltberühmte ungarische Pianist András Schiff tritt in seinem Heimatland nicht mehr auf. An seinem unbestrittenen Können liegt es nicht. Auch nicht daran, dass Beethoven, als dessen hervorragender Interpret Schiff gilt, in Ungarn kein Publikum mehr fände.

Es ist eine freiwillige Entscheidung: Eine Warnung und ein Protest gegen die Regierung Viktor Orbáns. In diesem speziellen Fall ein Protest gegen das von Ungarns Regierung im Dezember 2010 verabschiedete Mediengesetz. neben diesem Gesetz gibt es noch einen anderen Grund: András Schiff ist Jude. Er weigert sich, in einem Land aufzutreten, in dem man ihn ungestraft als »dreckigen Juden« bezeichnen kann.

Er weigert sich, in einem Land aufzutreten, in dem das Regierungsmitglied und der gute Freund Orbáns Zsolt Bayer in der regierungsnahen Zeitung Magyar Hirlap über Sinti und Roma schreiben darf, »Sie sollen nicht existieren, die Tiere. Nirgendwie. Das muss man lösen – aber sofort und mit allen Mitteln!«

Zsolt Bayer im Magyar Hirlap, 5.1.2013:
 

»Der Großteil der Zigeuner ist zum Zusammenleben nicht geeignet. Nicht geeignet, unter Menschen zu leben. Diese Zigeuner sind Tiere, und benehmen sich wie Tiere. Sie wollen sich sofort mit jedem paaren/ficken, den sie erblicken. Wenn sie auf Widerstand stoßen, morden sie. Sie entleeren sich/scheissen, wo und wann es sie überkommt. Wenn sie sich darin eingeschränkt fühlen, morden sie. Was sie sehen, wollen sie haben. Wenn sie es nicht sofort bekommen, nehmen sie es sich und morden. Diese Zigeuner sind jeglicher menschlich zu nennender Kommunikation unfähig. Aus ihren Tierschädeln brechen höchstens unartikulierte Laute hervor, und das Einzige, was sie von dieser elenden Welt verstehen, ist Gewalt.«

 
Kein Beethoven in einem Land, in dem der Fraktionsführer Márton Gyögyösi fordern darf, aus »Sicherheitsgründen« eine Liste von jüdischen Abgeordneten zu erstellen:
 

»Jetzt ist die Zeit eine Liste der Juden anzufertigen: der hier lebenden, der in Regierung und Parlament. Da sie ein besonderes darstellen.«

 
Der Budapester Rabbiner Slomó Köves:
 

»[…] Denn in Ungarn ist es nicht so, dass man wegen des Antisemitismus wegziehen müsste. Obwohl die Alltagssprache in dieser Hinsicht sehr verdorben ist. Immer offener werden antisemitische Hassreden gehalten, sogar im Parlament.«

 

Ein Zeichen der Solidarität

Dieses Zeichen wollte der Jüdische Weltkongress mit seinem Treffen in Budapest setzen: Solidarität mit den etwa 100.000 Juden in Ungarn, die sich zunehmender Verunglimpfung, wenn nicht Verfolgung ausgesetzt sehen. Es ist höchste Zeit.

Allzuviel Einspruch gegen die offen geäußerten rassistischen Statements aus Orbáns eigener Partei FIDESZ oder der mit 16% im Parlament vertretenen offen faschistischen Jobbik-Partei konnte man in der Vergangenheit vom Regierungschef nicht oder erst mit erheblicher Verspätung hören. Da ist nichts, was den halbherzigen Eindruck überstieg, die außenpolitische Wirkung solcher Reden abzumildern. Im Gegenteil.

Viktor Orbán bei einer Denkmalenthüllung:
 

»[…]Diese Statue, die wir heute, am Tag des heiligen Michael, einweihen, ist das Denkmal des nationalen Zusammenhalts. Es erinnert daran, dass jeder Ungar jedem anderen Ungarn Rechenschaft schuldig ist. Die ungarische ist eine Weltnation, denn die Grenzen des Landes und die Grenzen der ungarischen Nation fallen nicht zusammen […]. Dieses Denkmal will uns sagen, dass es nur ein einziges Vaterland gibt, und zwar jenes, welches dazu fähig ist, alle Ungarn diesseits und jenseits der Trianon-Grenzen in einer einzigen Gemeinschaft zu vereinigen.

[…] Wer die Zeichen der Zeit zu lesen vermag, der kann sie lesen. Eine Welt neuer Gesetze kommt auf den europäischen Kontinent zu. Das erste Gebot dieser im Entstehen begriffenen neuen Welt lautet: Die Starken vereinigen sich, die Schwachen zerfallen, das heißt, die Angehörigen starker Nationen halten zusammen, die der schwachen Nationen laufen auseinander. Ich wünsche jedem Ungarn, dass er Ohren haben möge zu hören und dass er die Zeichen lesen möge.«

 
Diese Art von Blut- und Boden-Reden lassen Zweifel an der Glaubwürdigkeit aufkommen, wenn sich Orbán von Verfolgung und Diskriminierung von Minderheiten distanziert. So redet keiner, der sich den Schutz von Minderheiten auf die Fahne geschrieben hat.

Der US-Amerikaner Ronald Lauder, Präsident des Jüdischen Weltkongresses, appellierte an Orbán vor Beginn von dessen Rede vor dem Kongress:
 

»Die ungarischen Juden, Herr Premierminister, brauchen Sie, um den Kampf gegen diese dunklen Mächte aufzunehmen. Sie brauchen Ihre Führung. Sie brauchen Sie, damit Sie eine Botschaft an die gesamte Bevölkerung senden.«

 
Orbáns Antwort ließ alles vermissen, was zu einer Brüskierung seiner eigenen nationalkonservativen Wählerschaft oder der faschistischen Jobbik hätte führen können:
 

»Die Regierung hat jetzt und hat auch in der Vergangenheit gezeigt, dass null Toleranz gegenüber Antisemitismus eine moralische Pflicht ist.«

 
Das entspricht erwiesenermaßen nicht den Tatsachen – außer diesem nutzlosen Lippenbekenntnis war nichts bemerkenswertes zu vernehmen. Verhaltener Beifall, Enttäuschung auf Seiten der Zuhörer: Der ungarische Regierungschef war mit keinem Wort auf die jüngsten Vorkommnisse in Ungarn eingegangen. Dementsprechend fiel dann auch die Reaktion des Jüdischen Weltkongresses aus:
 

»Wir bedauern, dass Herr Orban keinerlei kürzliche antisemitische oder rassistische Zwischenfälle im Land angesprochen hat und auch keine hinreichende Versicherung gegeben hat, dass eine klare Linie zwischen seiner Regierung und dem weit rechtsstehenden Rand gezogen worden ist.«

 

Reglementierung und Emigration

Man hätte es auch deutlicher formulieren können: Der ungarische Ex-Wirtschaftsminister und Notenbankchef György Matolcsy sprach von etwa 500.000 Menschen, die innerhalb der letzten fünf Jahre Ungarn velassen haben. Nach Angaben des deutschen Statistischen Bundesamtes waren es rund 65.000 Exilanten, die von 2011 bis Mitte 2012 allein in Deutschland Zuflucht suchten.

Das kommt bei einer Bevölkerung von etwa 10 Millionen Einwohnern einem Exodus gleich, einer Flucht vor einem repressiven Regime. Dass wirtschaftliche Gründe dabei ebenfalls eine Rolle spielen, mag vielen als Erklärung genügen – mit demselben Argument könnte man aber auch Juden und Intellektuelle, die in den dreißiger Jahren Nazi-Deutschland verließen, als »Wirtschaftsflüchtlinge« bezeichnen.

Die ungarische Regierung reagierte bereits: Studenten, die mit staatlichen Zuschüssen ihr Studium bestreiten, müssen künftig nach ihrem Abschluss in Ungarn arbeiten – mindestens doppelt so lange, wie sie in Ungarn studiert haben. Staatlicher Zynismus angesichts einer Jugendarbeitslosigkeit von etwa 26%, aber nötig, um weitere Abwanderung zu stoppen.

Journalisten, die in ihrer Arbeit bis zur Sprachlosigkeit reglementiert werden, Sinti und Roma, Juden, kritische Künstler oder einfach nur Menschen, denen der Hypernationalismus eines Viktor Orbán unerträglich wird: Um all diejenigen sollte es bei diesem Jüdischen Weltkongress gehen. Dass er das nicht leisten kann, liegt auf der Hand. Aber angesichts der Hilflosigkeit der EU – als einziger Stimme, von der man sich noch energischen Widerspruch erhoffen könnte – bleibt das fade Abbild eines vergeblichen Zeichens, den der Kongress in Budapest hinterlässt.

Viktor Orbán hat mit seiner nichtssagenden Rede bewiesen, dass er sich durch niemanden von seinem eingeschlagenen Kurs eines autokratischen Regimes abbringen lässt. Nicht von der EU, und schon gar nicht vom Jüdischen Weltkongress. Dessen Teilnehmer hatten jedenfalls genug Rückgrat, die Weltöffentlichkeit nicht mit einem »Peace in our time« abzuspeisen.

Viktor Orbán hat es bis jetzt gut verstanden, die Trägheit, Uneinigkeit und den Bürokratismus in der EU für seine Interessen arbeiten zu lassen. Von seinen gegen den Geist der Demokratie geprägten »Verfassungsreformen« lässt er sich sanfte technische Korrekturen abhandeln. Das kostet viel Zeit: Zeit, die Orbán gut zu nutzen weiß.

Während die Opposition im eigenen Land systematisch mundtot gemacht wird, geht die Regierung Ungarns mittlerweile auch aggressiv gegen unliebsame Berichterstattung aus dem Ausland vor. Man sieht sich verfolgt und missverstanden, beschwichtigt – und geht den Weg zur Diktatur ungehindert weiter. Und Europa schaut zu.

 
Ein Aufruf von Anfang Januar 2011, der seine Aktualität nicht verloren hat:
 

An die Künstler in Europa und der ganzen Welt

Wir freiheitsliebenden Künstler beobachten mit größter Sorge, in welchem Ausmaß Ausgrenzung, Aggression gegen Minderheiten und Intoleranz heute in Ungarn und in Europa auf dem Vormarsch sind. Viele von uns haben lange geglaubt, dass diese Phänomene für immer der Vergangenheit angehören und ein für alle mal ihre Salonfähigkeit eingebüßt haben.

Stattdessen müssen wir mit Bestürzung sehen, dass diese furchtbaren Ideen sogar innerhalb der Europäischen Union an Boden gewinnen und immer stärker werden. Wir müssen auch feststellen, dass Ungarn, das Land, das seit einigen Tagen die EU repräsentiert, leider auch in dieser Hinsicht zu den Vorreitern gehört. Das Alltagsleben Ungarns ist in erschreckendem Maße infiziert mit Rassismus gegen Roma, mit Homophopie und Antisemitismus. Gleichzeitig wird die Freiheit der Medien, der Kunst und der Kulturschaffenden, also die Freiheit derer, die am wirksamsten solchen Tendenzen entgegentreten könnten, immer stärker eingeschränkt. Ungarn hat während der EU-Präsidentschaft eine besondere Verantwortung, überall in Europa, aber in erster Linie zu Hause, deutlicher und vor allem viel wirkungsvoller als bisher gegen Ausgrenzung aufzutreten und sich für die Bewahrung der moralischen Grundwerte Europas einzusetzen.

Wir müssen aber auch uns bewusst sein, dass wir, freiheitsliebende und humanistisch eingestellte Künstler, die die Unantastbarkeit der Würde des Menschen wirklich ernst nehmen, diese Aufgabe nicht allein den Regierungen überlassen können. Es ist unser aller Verpflichtung dafür zu kämpfen, dass die Geister, die gerufen wurden, wieder verschwinden. Diese Ideologien sind tödliches Gift für unsere Demokratien. Jeder soll nachdenken, wie er helfen kann, unsere freiheitlichen Gesellschaften zu schützen. Wir müssen die Ideale der europäischen Gemeinschaft viel aktiver verteidigen, weil sie in Gefahr sind! Die großartige Idee eines weltoffenen, friedlichen und geeinten Europas muss auch für kommende Generationen erhalten bleiben. Und die Ereignisse im heutigen Ungarn führen uns vor Augen, wie leicht wir das, was für uns wichtig ist, verlieren können.

Januar 2011

András SCHIFF, Pianist, Ádám FISCHER, Dirigent
András ADORJÁN, Flötist, Béla TARR, Filmregisseur, Ágnes HELLER, Philosophin, Géza KOMORÓCZY, Historiker, Schriftsteller, Lászlo RAJK, Architekt, Miklós JANCSÓ, Filmregisseur

 
Crosspost von der Schrottpresse
 

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