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Gegen die Politik-Blockade: Warum eine neue Klimadiplomatie notwendig ist

von , 11.4.10

Die Kopenhagener Klimaverhandlungen im Dezember 2009 haben deutlich die Grenzen eines überkomplexen multilateralen Prozesses gezeigt. Die Hoffnung, die Weltgemeinschaft werde sich durch noch mehr öffentlichen Druck und die Teilnahme von noch mehr Regierungschefs bald auf ein völkerrechtlich verbindliches Abkommen zum Klimaschutz einigen, muss deutlich in Frage gestellt werden. Und wenn schließlich 100.000 Leute nach Südafrika nicht zur WM 2010, sondern zu den Klimaverhandlungen 2011 pilgern: Glaubt wirklich jemand, dann würden sich China und die USA endlich auf strikte Reduktionsziele einlassen?

Doch was machen wir Europäer, um aus dem Beinahe-Debakel von Kopenhagen keinen Totalschaden in Südafrika zu produzieren? Oliver Geden hat kürzlich darauf hingewiesen, dass sich die EU auch in diesem Jahr vor allem mit sich selbst zu beschäftigen droht. Die bisher veröffentlichten Strategiedokumente der verschiedenen EU-Einrichtungen lassen sowohl Kreativität als auch Entschlossenheit vermissen, der Klimadiplomatie die dringend benötigte Vitaminspritze zu verpassen.

Dabei ist ein Neustart der internationalen Klimadiplomatie dringend nötig. Zwar wäre eine Abkehr vom Multilateralismus oder die Infragestellung des Prozesses hin zu einer UN-Klimarahmenkonvention (UNFCCC) fatal. Doch eine Flankierung und Unterstützung durch komplementäre – nicht konkurrierende – Prozesse ist geboten. Dadurch kann Druck aus dem Kessel der globalen Klimaverhandlungen genommen und konstruktivere Alternativen entwickelt werden. Die Frage muss beantwortet werden: Welchen Multilateralismus benötigt erfolgreiche Klimapolitik?

Die Klimadiplomatie muss gesundschrumpfen

Das Nachdenken über einen Neustart der internationalen Klimadiplomatie verlangt zunächst eine Vorstellung davon, warum der Gipfel von Kopenhagen gescheitert ist. Ein Erklärungsansatz: Die jährlicher Weltklimakonferenzen sind im Verlauf der letzten Jahre von den beteiligten Akteuren mit Bedeutung überfrachtet und zu einem Vehikel für eine Vielzahl unterschiedlichster Zielvorstellungen gemacht worden. Die Hoffnungen ruhten darauf, nicht weniger als globale Gerechtigkeit und die Lösung komplexer internationaler Verteilungsfragen, Milliardentransfers zur Anpassung an den Klimawandel und die Transformation der Weltwirtschaft zu einer „grünen Ökonomie“ zu beschließen. Und dies alles neben dem selbstverständlichen Ziel, den Treibhausgasausstoß drastisch zu senken.

Die Klimadiplomatie muss deshalb umdenken, ihre maßgebliche Verhandlungsarena gesundschrumpfen, und Klimaschutz auf viele tragfähige Säulen stellen. Die Bedingungen dafür sind gar nicht so schlecht. Nicht nur bei den USA und China lässt sich nämlich eine scheinbar paradoxe Entwicklung beobachten. Beide verwenden mittlerweile erhebliche Ressourcen darauf, auf nationaler und subnationaler Ebene Treibhausgase einzusparen und besonders im Energiebereich nachhaltiger zu wirtschaften. Trotz dieser Anstrengungen ist jedoch nicht absehbar, dass eine der beiden Nationen sich völkerrechtlich dazu verpflichten würde, ihre Treibhausgasemissionen deutlich zu senken. Anders gesagt: Zuerst kommt der Klimaschutz, dann – vielleicht – der Klimaschutzvertrag. Die Europäer wollten das nicht wahrhaben und das Pferd von hinten aufzäumen. Kein Wunder, dass sie bei den entscheidenden Hinterzimmergesprächen in Kopenhagen vor verschlossener Tür standen.

Minilateral, multilateral, lokal

Europa ist deshalb gut beraten, sich besser aufzustellen und aus der G2 wenigstens eine G3 zu machen. Das widerspricht nur teilweise den bisherigen Strategien europäischer Außenpolitik, denn in der G8 wie auch der G20 waren und sind europäische Staaten selbstverständlich präsent. Die USA agieren pragmatischer, wenn es um die Wahl des geeigneten Forums für die Durchsetzung eigener Interessen geht. Neben G8 und G20 haben sie das Major Economies Forum gegründet, in dem die für 80% der weltweiten Treibhausgas-Emissionen verantwortlichen Staaten sitzen. Und mit der Asia Pacific Partnership on Clean Development and Climate (APP) ist ein regionales Forum entstanden, das komplementär zum UNFCCC-Prozess klimarelevante Fragen behandelt. Dieser „Minilateralismus“ kommt den Interessen seiner Mitglieder Australien, Indien, Japan, China, Südkorea, Kanada und USA entgegen, da er nicht zu einem völkerrechtlich verbindlichen Abkommen führen soll. Bislang bleibt die APP allerdings auch den Beweis schuldig, dass sie wesentlich zum Klimaschutz beitragen kann anstatt, wie von George W. Bush seinerzeit beabsichtigt, von ihm abzulenken.

Auf multilateraler Ebene zeichnet sich seit dem Sommer 2009 ein weiteres Forum ab, das für den Klimaschutz bedeutsam werden könnte. Die zwischenstaatlichen Gespräche im Rahmen des Belgrader Prozesses (PDF) zielen auf eine Reform des Systems der Umweltgovernance der Vereinten Nationen ab. Auf dem Umweltministerforum auf Bali im Februar 2010 wurden die nächsten Weichen für die Zukunft des UN-Umweltprogramms (UNEP) gestellt. Zur Debatte steht nicht nur die seit langem diskutierte Gründung einer Weltumweltorganisation, sondern eine Neuordnung des gesamten Gefüges globaler Umweltpolitik. Dabei ist die EU mit ihrem Vorstoß zur Gründung einer Weltumweltorganisation nicht länger der ambitionierteste Akteur. Brasilien hat angeregt, eine Dachorganisation für Umwelt und nachhaltige Entwicklung zu gründen und bis zum UN-Gipfel für nachhaltige Entwicklung (UNCSD) in Rio im Jahr 2012 einen Fahrplan für eine solche Reform auszuarbeiten. Dabei gilt: Ein effektives System globaler Umweltgovernance kann möglicherweise mehr für den Klimaschutz tun als jede noch so große Weltklimakonferenz. Das beinahe unbeachtete Umweltministerforum war deshalb vielleicht wichtiger für den Klimaschutz als die medial ausgeschlachtete Kopenhagener Konferenz.

Schließlich bietet die subnationale und lokale Ebene zahlreiche Anknüpfungspunkte für eine erneuerte Klimapolitik. Auf diesen Ebenen werden Entscheidungen mit wesentlichen Konsequenzen für den Treibhausgasausstoß getroffen. Vor alle transnationale Städtenetzwerke mit teilweise über 1.000 Mitgliedern bieten Möglichkeiten, lokale Klimaschutzmaßnahmen zu unterstützen. Die EU hat zunächst zögerlich und zuletzt ambitionierter stadtpolitische Schwerpunkte gesetzt, die im Klimabereich mit dem Konvent der Bürgermeister zu einer beträchtlichen Dynamik auf lokaler Ebene geführt haben. Cities for Climate Protection versammelt über 1.080 weltweit verteilte Städte und Gemeinden, während das Klima-Bündnis sich auf Europa konzentriert und hier 1.400 lokale Gebietskörperschaften vereint. Durch gezielte Förderung dieser Netzwerkaktivitäten können wesentliche Impulse für lokale Nachhaltigkeit gesetzt und mittelbar auch nationale Anstrengungen im Klimaschutz befördert werden.

Plan B in anderen Politikfeldern suchen

Parallel zu einer Diversifizierung der Foren und Formate deutet sich die Notwendigkeit an, klimapolitische Ansätze künftig verstärkt innerhalb anderer Politikfelder zu integrieren und damit einen Plan B, C und D gegenüber dem labil gewordenen Prozess der Klimarahmenkonvention zu etablieren. Klimapolitik ist in sich ein hoch komplexes Politikfeld und steht in vielfältigen Wechselwirkungen mit zahlreichen anderen Bereichen. Aus dieser vermeintlichen Schwierigkeit und Schwäche der Klimapolitik kann eine Stärke werden, wenn jedes Themen- und Politikfeld mit seinen eigenen Potenzialen für Vermeidung und Anpassung wahrgenommen wird. UNEPs Green Economy Initiative steht stellvertretend für die Bemühungen auf UN-Ebene, diese Potenziale nutzbar zu machen. Eine stärkere Konzentration auf Maßnahmen ökologischer Industriepolitik und einen Pfad grüner Modernisierung ist für Europa ohnehin dringend angeraten, hat es doch eine führende Position im clean tech-Rennen zu verteidigen. Seltsam, dass Europa beinahe verschämt über seine Leistungen schweigt, während China und die USA hier gerade mächtig Dampf machen.

Letztes Beispiel Waldpolitik: Die unter dem Kürzel REDD laufenden Verhandlungen in Kopenhagen zum Schutz der Wälder gestalteten sich erstaunlich konstruktiv: keine Blockade der großen Waldnationen mehr. Bisher hatte allen voran Brasilien seit 1992 jede sich bietende Gelegenheit genutzt, um den internationalen Waldschutz so unverbindlich wie möglich zu machen. Brasilien selbst kämpft jetzt gegen illegale Regenwaldrohdung und hat in den letzten Jahren die auf eigenem Staatsgebiet stattfindende Entwaldung erheblich zurückfahren können – freilich unter tatkräftiger Mithilfe der Wirtschaftskrise. Warum greift die Staatengemeinschaft diese Gelegenheit nicht auf und kreiert ein separates Waldschutzprotokoll unter der Klimarahmenkonvention? Unter dem Klimadach würde ein solches REDD-Plus-Protokoll die unter anderem für Brasilien und Indonesien so wichtigen finanziellen Anreize für eine nachhaltige Waldnutzung bereitstellen, während es gleichzeitig erheblich zur Senkung des Treibhausgas-Ausstoßes beitragen könnte. Die Idee ist nicht einmal wirklich neu, und natürlich sind noch eine Menge Probleme zu lösen, bevor ein solches Abkommen die gewünschten Effekte erzielen könnte und ein neuer Hebel für den Klimaschutz zu werden vermag. Doch wenn die Chance da ist, sollte sie auch genutzt werden.

Völlige Politik-Blockade verhindern

Anstatt den UNFCCC-Prozess zu gefährden und zu unterwandern, öffnen sich durch eine multipolare Strategie dringend benötigte Potenziale, die durch ein Beharren auf dem festgefahrenen Pfad der Klimakonferenzen verschlossen blieben. Dies würde nur teilweise einen Bruch mit der Tradition europäischer Außenpolitik darstellen, wenngleich es den innerhalb Europas üblicherweise hochgehaltenen, aber zu eng verstandenen Multilateralismus durchaus herausfordern würde. Die Chancen einer auf vielen Beinen stehenden Klimaschutzstrategie übersteigen erheblich die bisher mageren Erfolge des seit 1992 laufenden Modus’. Deutschland und Europa stehen deshalb vor der Wahl, eine völlige Politik-Blockade auf dem bisherigen Pfad zu riskieren, oder eine aktive Neuorientierung der weltweiten Klimagovernance zu wagen.

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