#7-Tage-Regel

ARD: Alte. Rentner. Doofe?

von , 7.11.13

Wow. Was für ein Wochenende. 48 Stunden schlossen sich 140 ARD-Volontäre mit viel Kaffee und Butterkuchen in den großen Kongreßsaal von Radio Bremen ein und berieten darüber, wie man die “Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland” anders machen kann.

;tldr? Gibt es am Ende des Artikels …

Eine bislang einmalige und nicht nur deswegen sehr tolle Sache. Aus eigener Erfahrung weiß ich: So viele Menschen aus ganz Deutschland ehrenamtlich und freiwillig zu koordinieren, ist harte Arbeit.

Einer ARD-Anstalt räumliche (und butterkuchliche) Unterstützung abzuringen, ist schwierig. Die Vision zu haben, dass man gemeinsame Forderungen entwickeln könnte, ist gewagt. Und die Chuzpe, ARD-Anstaltsbosse vorzuladen einzuladen, um ihnen mal auf den Zahn zu fühlen, ist wagemutig. Vor allem, wenn sie dann auch noch kommen.
 

Hier waren sie noch fit: Zu Beginn des #vololab videogrüßte Jan Böhmerman (Foto: © Daniel Bröckerhoff)


Hier waren sie noch fit: Zu Beginn des #vololab videogrüßte Jan Böhmerman (Foto: © Daniel Bröckerhoff)

 
Was mich außerdem sehr gefreut hat: Irgendwer dort hat es für eine gute Idee gehalten, auch mich einzuladen (neben so prominenten Nasen wie Netzwerk-Recherche-Haudegen und Ex-Zapp-Chef Kuno Haberbusch oder DWDL.de-Boss Thomas Lückerath).

Mein Job: Erzählen, was für eine Utopie ich von der ARD habe. Puh. Größer (und komplizierter) ging’s nicht?

Denn: Die ARD ist nicht gleich “Die ARD” ist nicht gleich “Das Erste” ist nicht gleich das Radioprogramm ist nicht gleich die dritten Programme ist nicht gleich … äh.

Dieser Verbund der Rundfunkanstalten ist komplex, schwer zu durchschauen und ein bisschen wie ein Wollknäuel, mit dem ein Katzenbaby auf Speed einen langen Nachmittag verbracht hat: komplett verworren. Und der Versuch, den Wust zu entwirren, kann alles noch schlimmer machen.

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Wie wollt ihr die ARD?

Allein grübeln macht mir Spaß, aber als Verfechters des Open Journalism-Prinzips frage ich auch gern andere Leute um Rat.

Auf Twitter rief ich zum Rumspinnen auf, die Antworten darauf hab ich teilweise in die Präsentation mit eingebaut, aber auch in ein Storify gepackt. Aus diesen Anregungen, die sich mit meinen Utopien häufig deckten, habe ich dann sechs Problemfelder identifiziert und daraus passende Ideen entwickelt.

 

6 Probleme und Utopien

Hier also meine sechs Vorschläge für eine andere, bessere ARD.
 

Wir haben ein Imageproblem.

So sehen viele die ARD:
 

 
Selbst wenn die “alte Tante” versucht, “flippig” und “frisch” zu sein, gelingt ihr das … naja.

 

Meine Utopie:

  • Wir brauchen ein glaubhaftes und authentisches Image, dass wir Nähe zulassen, keine Politik-Propagandasender sind, auch jung sind und sein wollen. Für alle. Nicht nur Ü 50. Kurz: Wir brauchen einen Markenrelaunch.
  • Es muss egal sein, woher die Angebote kommen und wer sie macht. Die Marken müssen für sich stehen und stark sein. Es muss nicht überall “NDR” oder “WDR” drauf stehen. Bei jungen Angeboten kann das sogar hinderlich sein, weil sie dann als altbacken gelten.
  • Bei allen Versuchen, jung zu sein. Der Einwand von @baerendiensttv ist richtig: „Weg vom Zwang ‘Junge Menschen sind immer cool, fresh, stylish & alles was nicht glänzt, ist peinlich.’” Denn nicht alle sind so oder wollen so sein.

 

Wir haben ein Ideenproblem

Viele Ideen in der ARD scheinen altbacken, ausgelutscht, abgekupfert und wenig mutig. Innovationslabore stelle ich mir manchmal so vor:
 

 

Meine Utopie:

  • Gute Ideen oder neue Ansätze kommen zu uns oder werden bei uns entwickelt, dort bekommen sie einen ordentlichen Sendeplatz. Vorbild: Stefan Raab. Seine Showkonzepte werden international verkauft. Öffentlich-rechtliche Showkonzepte sind oft abgekupfert.
  • Mehr Mut zum Experimentieren: Abwegig erscheinende Ideen sind manchmal die Besten. Weil sie keiner erwartet. Wer hätte dem NDR eine Serie über einen Tatortreiniger zugetraut? Eben.
  • Mut zum Durchhalten: Nicht immer gleich alles absetzen, nur weil die Marktanteile erstmal einbrechen, wenn man Dinge ändert. Umgewöhung braucht Zeit. Gerade älteres Publikum mag Veränderungen nicht. Und Jüngere erwarten keine Innovationen mehr bei der ARD. Genau deswegen: Durchhalten. Hat die “Heute Show” auch gemacht.
  • Mut zum Scheitern: Wenn etwas schief geht, daraus lernen. Nach den Fehlern suchen und es beim nächsten Mal besser machen, statt zurück zum Business as usual und “haben wir doch gleich gewusst”.

 

Wir haben ein Journalismusproblem

Keine Frage: Journalismus ist eine der Hauptaufgaben der ARD. Zumindest wird immer so getan. Wenn man sich aber mal die Etatverteilungen ansieht, wird klar: Journalismus ist nicht das schnellste Pferd im Stall. Und manchmal etwas wackelig auf den Beinen:
 

 

Meine Utopie:

  • Mehr Geld für Information und Recherche, weniger für Unterhaltung und besonders Sport. 200 Millionen Euro für Bundesligarechte sind zu viel.
  • Bessere Sendeplätze: Dokus, Reportagen, Magazine nicht in der Nacht versenden. Die Marktanteile stimmen nicht? Dann macht die Formate anders. So, dass es noch mehr Spaß macht, sie zu schauen.
  • Weniger Talk. Talksendungen sind gut, aber in der ARD gibt es zur Zeit 5 Mal dasselbe in anderem Gewand. Also: weniger, aber andere Talkshows, und nicht immer die selben Gäste!
  • Weniger journalistische Pose, mehr Haltung. Auch unbequeme Meinungen müssen sein.
  • Dahin gehen, wo es weh tut & wo einen keiner haben will. Mein Positivbeispiel: Vice Magazine. Aber auch “Panorama – Die Reporter”.

 

Wir haben ein Unterhaltungsproblem

Die Unterhaltung in der ARD ist ein …
 

 

Meine Utopie:

  • Intelligente Serien: interessante Charaktere, komplexere Geschichten, unerwartete Handlungen. Weniger “Heiter bis Tödlich”, mehr “Breaking Bad”.
  • Neue Showkonzepte: Fast alles sind Me-too-Produkte. Austauschbar, bestenfalls brav, aber fast nie spannend, innovativ oder unerwartet. Das läuft bei den Privaten. Warum eigentlich? (Und nein, ich meine nicht das Dschungelcamp!)
  • Informatives Entertainment: Deutsche Dokus und Reportagen sind häufig eher konventionell erzählt. Viele angelsächsische Formate schaffen es dagegen, den Zuschauer auch für komplexe Themen zu begeistern. Die kosten zwar mehr Geld in der Produktion. Aber es lohnt sich.

 

Wir haben ein Distributionsproblem

Denk ich daran, wie die ARD ihre Inhalte im Netz verteilt, fällt mir das hier ein:
 

 
Irgendwie werden sie irgendwohin geschoben, aber keiner weiß so recht, wohin und nach welchem Prinzip.

 

Meine Utopie:

  • Eine gemeinsame ARD/ZDF-Mediathek plus App, nach dem Watchever-Prinzip. Das Angebot soll sich an meine Vorlieben anpassen, lernen, was mich interessiert, und mich erinnern, sobald neue Sendungen verfügbar sind.
  • Wir brauchen Total Buyouts für Eigenproduktionen und die Möglichkeiten zum legalen Download.
  • Der Rundfunksstaatsvertrag muss geändert werden!
  • Die Depublikationsregel, nach der die ARD-Anstalten Inhalte nach einer bestimmten Zeit wieder aus dem Netz löschen müssen, muss rückgängig gemacht werden.
  • Den Sendern müssen Webprojekte erlaubt werden, die es auch nur im Web gibt.
  • Der Jugendsender vom BR braucht PULS, eine UKW-Frequenz (so altbacken das klingen mag).
  • Nicht mehr einen Youtube-Kanal für alles, sondern einzelne Kanäle für jede Sendung.
  • Das Internet ist KEINE Konkurrenz, sondern ein weiterer Distributionskanal, der voll ausgenutzt werden muss. Das Internet ist keine Müllhalde für Inhalte, sondern die Zukunft der Medien. Entwickelt sie!

 

Wir haben ein Kommunikationsproblem

Ähnlich wie bei der Verteilung sieht es im Social Media-Bereich aus. Bis auf wenige Ausnahmen kommt mir das Ganze so vor:
 

 
Allein die Summe der Twitterkanäle, die es für die ARD gibt, ist absurd. Wer soll da noch durchsteigen?

 

Meine Utopie:

  • Die ARD spricht mit einer Stimme im Netz und ist dabei nicht so steif.
  • Es gibt keine Link-Bots mehr, sondern die Kanäle werden zur Kommunikation genutzt. Dafür sind sie da.
  • Alle ARD-Mitarbeiter können Social Media bedienen und nutzen die Kanäle aktiv.

Bei all meinen Utopien und meinen Rants ist mir eins klar:
 

 
Trotzdem: meine Utopien sollen Anstoß geben, sich an den Wandel zu wagen.

 

Zusammengefasst:

  • Imagewechsel!
  • Anders ansprechen!
  • Mehr Experimente!
  • Weniger Denken in Sendestrecken & Sendungen, mehr in Formaten!
  • Internet! Internet! Internet!
  • Der Rundfunkstaatsvertrag muss geändert werden!

 

Kleine Streicheleinheit

Mir ist klar, dass das sehr arrogant und von oben herab klingen kann, was ich hier so von mir gebe. Denn ich weiß: Es ist nicht einfach.

In der ARD gibt es sehr tolle Menschen mit tollen Idee und Konzepten, die jedoch oft ausgebremst werden. Sie kriegen zu wenig Chancen, Geld oder Sendestrecken, um auszuprobieren und zu zeigen, dass es auch anders geht.

Selbst Entscheider haben nicht immer die Möglichkeiten, die sie gern hätten. Die ARD ist föderal organisiert, und viele Leute dürfen und sollen mitreden. Das ist toll, denn es ist demokratisch. Das ist schwierig, denn es zögert manche Sachen und Entwicklungen hinaus.

Der Medienwandel ist jedoch rasant, die ARD kommt kaum hinterher und wird dann noch ausgebremst von Politik und Verlagslobbyisten.

Meine größte Sorge ist, dass die ARD abgehängt wird. Und dann irgendwann ihre Legitimation verliert, weil sich keiner mehr mit ihr identifiziert und solidarisiert. In einem Land, das vor allem aus Privatrundfunk besteht, möchte ich aber nicht leben.

 

… auch als Präsentation:

All das gibt es auch noch mal in der Präsentation, die ich für den Vortrag gemacht habe:
 

 

… und als tldr …

… für die Lesefaulen, die sich bis hier runter gescrollt haben. Bitte sehr:
 

Die ARD braucht ein neues Image, mehr Experimente und Durchhaltevermögen dafür, muss mehr in Formaten und weniger in linearen Sendungsstrecken denken, und vor allem das Internet als Medium voll nutzen dürfen.

 
Crosspost von Daniel Bröckerhoff · Journalist, TV-Reporter, Autor

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