#Medienpolitik

Schickler-Berater Kahlmann: “Kostenpflichtiger Universaljournalismus verliert an Bedeutung”

von , 23.3.09


Eine Branche gibt es nicht, bevor man sie nicht erfunden und begrifflich verpackt hat. Vor etwas mehr als fünf Jahren propagierte der diskurstüchtige US-Professor Richard Florida Begriffe wie “Kreative Klasse” und “Creative Industries“, und betonte ihre steigende ökonomische Bedeutung. Mit einigen Jahren Verzögerung sind Floridas Konzepte nun mitten in der deutschen Politik angekommen. Es gibt nicht nur einen Medienbericht der Bundesregierung, sondern auch einen ausführlichen Bericht zur Kultur- und Kreativwirtschaft. “Created in Germany” sei eine heimliche Erfolgsbranche, erklärt das Bundeswirtschaftsministerium.

Im Zuge der “Initiative Kultur- und Kreativwirtschaft” hören Bundeswirtschaftsministerium und Kulturstaatsminister derzeit die verschiedenen Segmente der Kreativbranchen zu ihren Wünschen, Nöten und Regulierungsvorschlägen an. Rundfunk, Werbung, Computerspiele, Architektur, Design und Schauspiel waren schon dran. Am Montag der vergangenen Woche traf man sich im Literaturhaus in München zu den Belangen der Pressebranche.

Kenner der Szenerie erklären mir: Genauso funktionieren politische Prozesse. Es ist entscheidend, dass ein Ministerium sich öffentlich sichtbar die Zeit nimmt, einer Branche öffentlich zuzuhören. Entsprechend sei die Inszenierung eines solchen Hearings mindestens ebenso wichtig, wie das konkret Besprochene. Das Ministerium zeigt: Ihr seid uns wichtig. Wir hören Euch zu. Nur politische Heißsporne würden nicht verstehen, dass Gesetzesvorhaben genau so über Jahre vorbereitet würden.

Zu den Rednern des Hearing gehörte unter anderem Hans-Jürgen Jakobs, Chefredakteur von Süddeutsche.de, der erklärte: “Wir machen mit sueddeutsche.de Gewinn und genau deshalb können wir auf der Site auch nicht alles machen.” Jakobs lobte so den vorsichtigen Kaufmann im Chefredakteur, der teure Video-Pläne vorerst vertagt. Sehr zu beachten war auch die Antwort, die Burda-Manager Marcel Reichart auf die Frage nach zukünftigen Geschäftsmodellen für den Journalismus gab: Reichart lobte sein Frauen-Netzwerk Glam, das vielen “Publishern” auch in Deutschland schon ein kleines Auskommen sichere. Aha, Journalisten werden also zu Publishern. Diese Vision mag im Kern richtig sein. So plakativ ist sie einem aber auch noch nicht begegnet.

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Alexander Kahlmann: Print-Umsätze zehn Mal höher als im Internet

Zu den Vorzügen eines Branchenhearings gehört, dass dort auch Personen auftreten, die nicht unbedingt zum klassischen Medienkonferenz-Inventar gehören. So erklärte etwa auch Alexander Kahlmann, Partner bei der aus WAZ-Zusammenhängen bekannten Unternehmensberatung Schickler, freimütig, wie sich für ihn die Lage darstellt. Carta dokumentiert hier Kahlmanns Vortrag in sechs Thesen:

1. Die Trends in Leser- und Anzeigenmärkten lassen die langfristigen Aussichten für Printmedien “skeptisch” erscheinen.

2. Der kostenpflichtige Universaljournalismus verliert an Bedeutung: Kostenlose und zielgruppenaffine Angebote sind die neuen Reichweitentreiber.

3. Die Umsätze im Print-Geschäft leiden unter einer sich stetig weiter öffnenden Brutto-Netto-Schere im Anzeigenmarkt und dem Druck, erfolgsbasierte Abrechnungsmodelle zu akzeptieren.

4. Die Online-Umsätze der Nachrichtensites bleiben deutlich hinter den Zeitungsumsätzen zurück. Bei Print-Produkten liege der Umsatz mindestens zehn Mal höher als bei vergleichbaren Online-Angeboten.

5. Online-Portale stellen nur eine von mehreren Diversifikationsstrategien dar: Die Verlage sollten aus ihrer Service-Kompetenz heraus neue Geschäftsfelder entwickeln.

6. Das Kernproblem der Verlage sind nicht ihre hohen Kosten, sondern ihre Inflexibilität in den Strukturen und den Köpfen.

Natürlich sind flexible Berater für mehr Flexibilität. Und natürlich schließt Flexibilität für Kahlmann die Option auf Personalabbau mit ein. Dies ist als Kontext zu beachten.

Dennoch: Kahlmanns Thesen sind eine besonnen kalkulierte Zusammenschau dessen, was betriebswirtschaftlich die Medienunternehmen derzeit durchschüttelt. Und selbstredend sind viele der alten Medienunternehmen viel zu träge. Das kann man nicht häufig genug sagen. Wir dokumentieren hier Kahlmanns Charts daher noch einmal:

Die Kahlmann-Präsentation kann auch hier angeschaut und eingebunden werden.

Zum Wechsel der Perspektive hier auch die Präsentation von Matthias Spielkamp zu den wachsenden Problemen der freien Journalisten.

Ich bin gespannt auf Reaktionen.

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