#Deutsche Bahn

Gendiagnostikgesetz: Nur ein löchriger Rahmen

von , 20.4.09


Was geht, das wird auch gemacht. So haben wir vor rund 25 Jahren argumentiert, als ich als Studentin an einer Bürgerinitative „gegen Kabelkommerz“ (BIKK) mitarbeitete. Damals lief gerade die Debatte um die „Volkszählung“. 1983 wurde sie vom Bundesverfassungsgericht als verfassungswidrig erklärt. Der Bürger müsse wissen, wer welche Daten über ihn sammle, so das Gericht, er habe ein Recht auf informationelle Selbstbestimmung.

Heute kommt mir mein Engagement von damals genauso anachronistisch wie richtig vor. Die Digitalisierung (damals, das muss man den „Nachgeborenen“ schon erklären, wegen der vielfach noch fehlenden Datenverbindungen noch in den Anfängen) hat jeden Versuch, der Datenflut Zügel anzulegen, überrollt. Kann man sich heute noch vorstellen, dass ich damals politische Debatten mit Bankangestellten geführt habe, über die Frage, warum sie zulassen, dass mit der EC-Karte ihre Arbeitsplätze wegrationalisiert werden? Heute bin ich froh, wenn mich der Automat am Telefon versteht – „Wählen Sie EINS für Überweisungen…“

Aber wir hatten schon recht: Was möglich ist, wird auch gemacht. Was heißt schon informationelle Selbstbestimmung? Bespitzeln ist in. Die Videoaufzeichnungen der KassiererInnen bei Lidl sind ja noch vergleichsweise altmodisch (technisch und strategisch gesehen), Telekom und Bahn zeigen schon mehr Hintersinn und Raffinesse beim Auskundschaften ihres Managements: Nicht nur Telefondaten, sondern auch Bankdetails und Bewegungsprofile sind erstellt worden. Daimler speicherte heimlich Krankendaten und bei Drogerie-Müller wurden Mitarbeiter nach ihrer Rückkehr aus dem Krankenstand interviewt, ob sie denn auch wieder völlig gesundet seien?

Genauso anachronistisch wie meine damalige Hoffnung auf Datenschutz mutet nun das Gendiagnostik-Gesetz an, das diese Woche beschlossen werden soll. Das geplante Verbot heimlicher Vaterschaftstests kann man sehr kontrovers diskutieren – ich persönlich finde es nicht richtig, weil Männer keine Kontrolle über die Frage haben, ob ihre Partnerin schwanger wird – es sei denn, sie benützten immer und ewig ein Kondom. Dann sollten sie wenigstens herausfinden dürfen, ob sie wirklich der biologische Vater sind. Bei allen Problemen, die das mit sich bringen kann.

Fraglich ist auch, ob das Verbot vorgeburtlicher Untersuchungen auf Krankheitsrisiken im späteren Leben funktionieren kann. Wie die Vaterschaftstests und das Interesse an Nabelschnurblut-Banken schon zeigen, gibt es eine Industrie von Labors, die nur darauf warten, Fragen aufzuwerfen, um sie (vielleicht) beantworten zu können. Mit 2500 Gentests lassen sich theoretisch rund 500 Krankheiten vorhersagen. Der schnelle Blick in das Horoskop der Gene ist dabei so verführerisch wie unsicher: nur ein kleiner Teil der Krankheiten ist durch eine bestimmte Erbanlage definiert. Die meisten haben mehrere, wenn nicht viele Ursachen. Und was sagt mir das alles, wenn ich morgen unter den Bus komme? Aber die Tests werden schneller, einfacher und billiger (zur Zeit noch rund 1000 Euro für eine Erbgutanalyse). Und was heißt schon, die vorgeburtliche genetische Untersuchung soll „auf medizinische Zwecke beschränkt“ sein. Wie dehnbar das Argument ist, zeigt die „medizinische Indikation“ im Paragraph 218. Über 90 000 Tests werden jedes Jahr in Deutschland durchgeführt, 700 000 sind es in der Europäischen Union (Zahnärztliche Mitteilungen).

Bleiben noch Behörden, Arbeitgeber und Versicherungen. DNA-Tests sollen (freiwillig) die Überprüfung von Verwandtschaftsverhältnissen bei Visa- und Passanträgen gestatten – da könnte man schnell auch (illegal) herausfinden, ob Migranten und Asylanten krankheitsbedingt zum Sozialfall werden könnten. Lebensversicherer sollen erst ab einer Summe von 250 000 Euro Auskunft verlangen – erstaunlich, wo doch der Ethikrat schon vor längerem kritisierte, dass die Risikoprüfung der Versicherungswirtschaft zu weit ginge. Die Versicherungswirtschaft hat auch bereits Widerspruch gegen die Einschränkung angemeldet. Und Arbeitgeber – da reicht ein Blick in die tägliche Skandalchronik.

Was also tun? Ein gesetzlicher Rahmen ist schon deshalb wichtig, weil er eine gesellschaftliche Norm ausdrückt. Doch Spiros Simitis, Jurist, Datenschützer und Mitglied des Nationalen Ethikrates, hat bereits daran gezweifelt, ob um Begriffe wie das Recht auf Nichtwissen nicht nur eine verbale Schlacht geführt werde, „vorbei an den Realitäten.” (siehe ZEIT-Online)

Alle Verbote, das zeigt die Praxis, sind in der digitalen Welt leicht zu umgehen. Sie ersetzen nicht die Debatte darüber, wie wir mit Behinderungen und Krankheiten, mit sexueller Orientierung und anderen Daten unseres Lebensstils umgehen. Unsere Privatheit wird zunehmend öffentlicher. Die Zukunft wird nicht mehr erlauben, Informationen über unsere Lebensrisiken wie Krankheiten geheimzuhalten. Sie wird uns zwingen, dafür zu kämpfen, dass diese akzeptiert werden.

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