Aggregation ist die neue Ressource: Die Verlage überschätzen den Wert ihrer Inhalte

von , 11.6.09

Abo oder Flatrate? Wolfgang Michal (hier auf Carta) gibt sich überzeugt, dass es nicht mehr um das “ob”, sondern nur noch um das “wie” des Bezahlens für Inhalte im Internet geht. Mächtig Flankenhilfe bekommt er dieser Tage von deutschen Verlagen, die ein Leistungsschutzrecht für ihresgleichen nach dem Modell der GEMA einrichten wollen. Die FTD bemerkt in ihrem Artikel dazu treffend, dass damit die institutionelle Basis für eine Kulturflatrate gelegt werden könnte.

Die Frage ist nur, ob das auch funktioniert. Paul Bradshaw, Medienwissenschaftler an der Birmingham City University, ist da skeptisch und bringt das in einer Präsentation gut auf den Punkt (via Hugo E. Martin).

Ausführlicher wird er in diesem Blogartikel, in dem er begründet, warum sich Verlage massiv umstellen müssen, wenn sie mit Paid Content Erfolg haben wollen. Ähnlich sieht es Jakob Augstein, der in einem Interview mit der Frankfurter Rundschau den klasischen Tageszeitungen keine große Zukunft mehr voraussagt.

Paid Content (über Abo-Modelle) hat in bestimmten Marktsegmenten zweifellos Erfolg. In der Breite wird das aber nicht funktionieren können, weil den damit verbundenen Inhalten etwas Wesentliches fehlt: Sie sind nicht mehr Teil des öffentlichen Diskurses, wie er sich in Blogs, Social Networks und auf Twitter entfaltet.

Das angedachte Leistungsschutzrecht (“GEMA”) wird eine solche Situation noch weiter verschärfen. Damit nämlich kann es schon rechtlich bedenklich werden, auf bestimmte Medien bzw. deren Artikel auch nur zu verlinken, geschweige denn daraus zu zitieren. Die Verlage werden so aber nur einen Pyrrhussieg erringen: Ihre Inhalte werden gut geschützt sein, nur leider spricht kaum mehr jemand darüber.

Die Befürworter von Paid Content und Leistungsschutzrechten mögen sich deshalb am Bezahlfernsehen und dessen wirtschaftlichen Erfolg orientieren. Speziell den Zeitungen sollte hier die “mediale Relevanz” ein Lehrstück sein: Welches Medium etwa bespricht schon Filme des Pay-TV? Dessen Inhalte sind bis heute nicht Teil des öffentlichen Diskurses und so wird es auch dem Paid Content des Internets gehen. Nicht mehr im Gespräch zu sein ist aber so ziemlich das Schlimmste, was Medien passieren kann.

So bleibt eigentlich nur noch die Hoffnung auf eine (Kultur-) Flatrate, als Aufschlag etwa auf die Kosten jedes DSL-Anschlusses. Die Freunde dieser Lösung übersehen aber, dass die praktisch unüberschaubar große Anzahl von Inhalteanbietern jede auch nur annähernd gerechte Verteilung der Einnahmen unmöglich macht. Oder will man dafür vielleicht Qualitätskriterien einführen, so dass nur Autoren mit Presseausweis bzw. “Qualitätsmedien-Führerschein” partizipieren könnten?

Clay Shirky bringt es auf den Punkt, wenn er (auf Twitter) feststellt, dass es im Internet nicht mehr um “Publizieren”, sondern darum geht, etwas “öffentlich zu machen”. Die Möglichkeit dazu hat jetzt jeder. Deshalb kann man zwar eine Art Steuer auf DSL-Anschlüsse erheben, die Verteilung der Einnahmen aber muss praktisch wieder jeden einschließen, der sich im Internet äußert, alles andere wäre eine Diskriminierung und damit vermutlich verfassungswidrig.

Was immer also die Verlage planen und einführen, es wird wenig Wirkung zeigen und sich im Zweifel gegen sie selbst richten. Denn das Internet funktioniert eben nicht nach der Logik der (alten) Massenmedien, sondern hat einen ganz eigenen Charakter. Dazu gehört auch der unbequeme Faktor, dass jetzt die Quellen für Nachrichten zunehmend selbst zu Medien werden.

Barack Obama etwa kann es egal sein, ob die New York Times eine Paid Wall um ihre Inhalte errichtet oder nicht: Alles (aus seiner Sicht) Wichtige über die Politik seiner Präsidentschaft gibt es auf der Website des Weißen Hauses kostenlos zu sehen, wichtige Reden (wie neulich in Kairo) sogar als Live-Video.

Vor diesem Hintergrund dürften es sogar Micropayments schwer haben, denn Politik und Unternehmen wissen um die Möglichkeiten der Selbstinszenierung im Web und machen immer stärker davon Gebrauch. Die Rolle der Medien als vermittelnde bzw. überbringende Instanz schrumpft damit ohnehin. Die Leser im Internet tun ein Übriges, indem sie sich gegenseitig über Social Networks auf interessante Inhalte hinweisen und größere, live übertragene Ereignisse etwa über eine Twitterwall oder einen öffentlichen Chat kommentieren und diskutieren. Wer so direkt partizipiert, liest vermutlich auch keine Leitartikel mehr, bei allem Respekt vor der Leistung der klassischen Zeitung.

Es hilft also nichts. Verlage und Medienhäuser werden sich nicht gegen den Medienwandel stellen können und sollten weniger an Paid Content und Flatrates denken, sondern an neue Geschäftsmodelle. Dazu ist es aber erforderlich, das Internet genau zu kennen.

Wenn allerdings Jeff Jarvis (im Interview mit Ulrike Langer) im Jahr 2009 noch fordert, dass Journalisten zunächst einmal die neuen Medien und Techniken des Internets erlernen und anwenden sollten, ist das kein gutes Zeichen für die Zukunftsfähigkeit einer ganzen Branche.

Eine Kostprobe des Niveaus, auf dem hier inzwischen diskutiert werden muss, gibt ein kurzer Ausschnitt aus einem Diskussionsbeitrag von Fred Wilson (AVC Blog), einem der bekannteren Venture Capitalists in den USA:

Seiner Auffassung nach geht es jetzt darum, auf der Ebene von Aggregatoren zu denken, über die diverse Kanäle (“Channels”) parallel bedient und beobachtet werden können. Wäre das nicht auch etwas für Medienhäuser? Sie könnten solche Clients entwickeln, mit eigenen Inhalten anreichern und zugleich ihren Lesern damit die Möglichkeit geben, zu twittern und ihre Profile auf diversen Social Networks zu managen.

“People want to pay to express themselves”, sagt Joi Ito und schlägt damit in dieselbe Kerbe. Das aber ist eine Lektion, die Medienhäuser vermutlich nur schwer oder gar nicht lernen werden: Sie kommen von den eigenen Inhalten und dem Glauben an deren Bedeutung einfach nicht los.

So gesehen können ihnen ein Leistungsschutzrecht und auch der Paid Content bzw. die Kulturflatrate nicht helfen. Denn das Internet ist ganz anders und macht, was seine Nutzer wollen und nicht, was Verlage gerne hätten.

Zustimmung, Kritik oder Anmerkungen? Kommentare und Diskussionen zu den Beiträgen auf CARTA finden sich auf Twitter und auf Facebook.