#BTW21

Das Sprungbrett in die Tiefe

Nach dem kunstvollen Karrieresprung zum Bundesminister ist Jens Spahn am Ende mit einem Bauchplatscher im Freischwimmerbecken gelandet.

von , 30.11.21

Jens Spahn hatte sich als Gesundheitsminister viel vorgenommen. An der Pandemie hat er sich überhoben. Ein Jobwechsel ist jetzt genau das Richtige.


Heutzutage gerät schnell in Vergessenheit, dass Jens Spahn vor nicht allzu langer Zeit als die Zukunft der CDU gehandelt wurde. Manche trauten ihm eine Kanzlerkandidatur zu. Sogar in der ersten Welle der Pandemie erreichte er als Bundesgesundheitsminister noch Top-Zustimmungswerte. Doch dann häuften sich die Fehler. Sein politischer Versuch, die Menschen bei Corona mitzunehmen, hat langsam aber sicher in eine Sackgasse geführt. Selbst diejenigen, die bereit waren den Weg der Bundesregierung mitzugehen, sind mittlerweile enttäuscht vom Reiseziel. Statt das Winter Wonderland zu genießen, befinden wir uns schon wieder im Schlaraffenland der Viren. Zwei Jahre Pandemiemanagement haben Spahn zum Bundesminister für kommunikative Katastrophenfälle und gesellschaftliche Untergangsstimmung degradiert.

Auch Jens Spahn selber ist müde geworden von diesem elendigen Thema, das nun mal bedauerlicherweise in sein Ressort fällt. Es sei »leider immer alles sehr komplex manchmal«, erklärt er genervt den vielen Journalisten, die schon wieder Fragen haben zur unverständlichen Politik. Er erinnert an einen enttäuschten Lehrer, der beim Diktat an den Leichtsinnsfehlern seiner unartigen Schüler verzweifelt. In dieser Rollenverteilung liegt allerdings das größte aller Missverständnisse: Spahn ist schon längst nicht mehr derjenige, der diktiert, sondern eher der, der jede Woche zur Abfrage nach vorn an die Tafel muss. Die Noten vergeben andere, und sie fallen in diesem Schuljahr chronisch schlecht aus.

Die Medien, kein Freund und Helfer

Spahn beharrt darauf, immer alles rechtzeitig gesagt zu haben. Die Öffentlichkeit hat aus seiner Sicht einfach nur nicht gut genug zugehört. Aber Kommunikation ist bekanntlich das, was ankommt. Und wenn offenbar niemand den Ernst der Lage rechtzeitig verstanden hat, dann muss sich Spahn überlegen, warum das so ist. Was noch passieren müsse, damit auch der Letzte den Sinn der Impfung verstehe, fragt Spahn. Es klingt wie eine offizielle Kapitulationserklärung. Ungeimpfte wolle er am liebsten auf die Intensivstation zerren, droht er. Dass die Krankenhäuser jetzt wieder komplett voll sind, ist aber auch Ergebnis seiner eigenen politischen Entscheidungen. Im Fussball hätten verärgerte B-Jugend-Väter bei einer solchen Abwehrleistung schon im Spätsommer vom Spielfeldrand geschrien: Antizipieren!

Es gibt auf der Webseite des Bundesgesundheitsministeriums eine sehr ausführliche Chronologie der Pandemie mit tausenden Zitaten von Jens Spahn. Und tatsächlich: Er hat schon sehr früh alles mögliche gesagt und vor allen möglichen Entwicklungen gewarnt. Aber er hat es eben nicht gut genug kommuniziert. Erst jetzt, inmitten einer bereits dramatischen Infektionslage, fährt er die schweren Geschütze auf: Nach dem Winter wären alle entweder geimpft, genesen oder gestorben. Das Virus verzeihe keine Halbherzigkeit, sagt er später bei Anne Will. Es sind die letzten Paukenschläge, doch sie gehen unter im Trommelwirbel der Kritik an seinen bisherigen Versäumnissen.

Die Medien haben die Spielregeln verschärft. Die Berichterstattung zu Corona ist über die letzten zwei Jahre so heißgelaufen, dass sowohl Journalisten als auch die Öffentlichkeit vom Thema abhängig geworden sind wie Drogenjunkies. Das Nachrichtenkarussell ist zwar schon längst ausgeleiert, aber es muss sich trotzdem irgendwie weiterdrehen. Und wie bei einer neuen Staffel Game of Thrones erwarten wir insgeheim mit jeder Welle noch extremere Geschichten und brutalere Wendungen. Obwohl wir eigentlich schon viel zu lange zusehen, können wir uns einfach nicht losreissen. Zu Impfspritzen gibt es verschiedene Meinungen, aber an der Newsticker-Nadel hängen wir alle. In einem derart verminten Feld hilft der Politik keine Rechthaberei mehr – es geht nur noch um Schadensbegrenzung.

Bauchplatscher

Spahn dagegen schlägt medial immer wieder neue Wellen, statt welche zu brechen. Mit der Rationierung von Biontech-Impfstoff hat er das nächste Eigentor geschossen. Nach einem großen öffentlichen Aufschrei erklärt er im Nachhinein auf einer eigens dafür anberaumten Pressekonferenz lange die Hintergründe: Es ginge um Bestellmengen, Ablaufdaten, die Europäische Union, COVAX und andere »sehr komplexe« Dinge. Was in den Medien aber hängenbleibt: Spahn reduziert mitten in der Boosterkampagne die Liefermengen. Der Journalismus sucht eben nach Headlines, und das höchste Kopfgeld gibt es derzeit für ihn.

Nach dem kunstvollen Karrieresprung zum Bundesminister ist Jens Spahn am Ende mit einem Bauchplatscher im Freischwimmerbecken gelandet. Würde man nicht bereits mitleiden, es würde allein vom Zuschauen wehtun. Bis zum rettenden Ufer der nächsten Legislaturperiode hält er sich noch strampelnd über Wasser. Was aber als olympisches Wasserspringen angefangen hat, sieht jetzt mehr aus wie Aquayoga für Senioren: Man tut zwar noch ein bisschen was für die Gesundheit, aber ein besonders schöner Anblick ist es nicht.

Spahn warnt nun im Fernsehen, Impfen und Testen helfe nicht mehr, sondern nur noch kontaktreduzierende Maßnahmen. Wenn bis Jahresende alle vorrätigen 36 Millionen Impfdosen verimpft werden könnten, sei er aber trotzdem »ein glücklicher scheidender Gesundheitsminister«. Es fällt schwer, ihm sein Glück zu gönnen. Die deutsche Bevölkerung ist zermürbt von Spahns viralen Kunststücken. Eine Medaille wird ihm dafür wohl niemand verleihen. Zur Wahrheit gehört aber auch: Am Beckenrand häufen sich nicht gerade die Kandidaten, die für Spahns undankbare Aufgabe einspringen würden. Kann man also einen Wettbewerb verlieren, bei dem sonst niemand antreten will?

Berufsperspektiven

Auf die letzten Meter versucht Jens Spahn jetzt zumindest noch ein paar Boosterimpfungen zu verkaufen. Biontech und Moderna wären wie Mercedes und Rolls Royce, also beide super. Aber verkaufen Sie mal einen Luxuswagen an einen kategorischen Fahrradfahrer. Vielleicht kennen Sie ja die letzte Szene bei The Wolf of Wall Street: Um jemandem einen Stift anzudrehen, muss man erstmal das Bedürfnis zum Schreiben erwecken. Bei Corona passen politisches Angebot und gesellschaftliche Nachfrage einfach nicht mehr zusammen. Auf die Frage, welcher Impfstoff denn zum Boostern besser wäre, antwortet Spahn: »Wenn es geht der gleiche, aber genauso gut ist auch der andere. Und das müssen wir eben klar rausarbeiten.« Stellen Sie sich mal kurz vor, ein Verkäufer würde Sie beim Weihnachtsshopping so beraten. Und wäre dann noch sauer, wenn Sie ihm nichts abkaufen. Ein Glück, dass Bundesminister nicht auf Provisionsbasis vergütet werden.

Wie geht es nun weiter mit der Karriere von Jens Spahn? Vielleicht wäre ein Job im KFZ-Handel nach all den Strapazen ja tatsächlich das Richtige für ihn. Klar, es gibt noch etwas Fortbildungsbedarf im Vertrieb. Die therapeutische Wirkung einer Tätigkeit als Autoverkäufer wäre aber riesig: Keine endlosen Fragen zu Hospitalisierungsraten mehr, keine Kritik am langsamen Impffortschritt. Stattdessen nur noch ungezwungene Gespräche über Leasingraten und Höchstgeschwindigkeiten. Desinfizierte Innenräume laden zum Probesitzen ohne Mindestabstand ein. Wer richtig verantwortungslos sein will, muss sich auf dem Parkplatz auch nicht anschnallen. Und das Beste an der Sache: Die Kunden kommen alle ganz freiwillig.

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