#Alan Rusbridger

Wie Zeitungen sich gegen die nächste Google-Attacke rüsten könnten

von , 30.4.09


Die Zukunft der Zeitungen sind nicht ihre Journalisten, sondern die Leser. Mit dieser nur vordergründig provokanten Aussage sind wir sehr schnell bei Eric Schmidt und den Plänen von Google, die gerade so durchsickern. Sofern man dem Silicon Alley Insider trauen darf, wird Google in einigen Monaten eine Art Google News 3.0 herausbringen, das wie eine personalisierte Zeitung funktionieren soll.

Dabei werden die aggregierten Nachrichten von Google News jedem User individuell nach dessen persönlichen Informationsinteressen zugeführt. Natürlich soll dahinter ein Algorithmus stecken (was sonst bei Google?), der Interessen und Vorlieben zuverlässig erkennt und damit den individuellen Bedarf an Informationen (mehr oder weniger) perfekt bedienen soll.

Wie belastbar auch immer diese Meldung ist, ein Produkt dieser Art werden wir früher oder später bekommen, sei es von Google oder einem anderen innovativen Internet-Unternehmen. Das Entsetzen der Zeitungsmacher alter Schule dazu kann man sich heute schon lebhaft vorstellen!

Eleganter wäre es freilich, die Medienmacher könnten Google ein Schnippchen schlagen, ihren Lesern eine attraktive Alternative anbieten und dafür noch Geld verlangen. So könnte es gehen:

Eine Stärke der großen Zeitungsmarken ist ihr Leserstamm. Dieser bildet das strategische Potenzial und darf nicht länger nur als simpler Informationsempfänger (und Cashcow) gesehen werden. Wie umgedacht werden muss, hat Alan Rusbridger (Chefredakteur des Guardian) im Carta-Video anschaulich erläutert: Er spricht vom Lernprozess, den seine Leitartikler durchmachen mussten, als der Guardian den Lesern ermöglichte, deren Texte (online) zu kommentieren. Dabei gibt er zu, dass in etlichen Fällen kluge Kommentare sachkundiger Leser den Autor widerlegen konnten.

Das Entscheidende ist, dass durch das Zusammenspiel von Autor und kommentierenden Lesern ein runderes, vollständigeres Bild zum jeweiligen Thema entsteht. Wer das verstanden und akzeptiert hat, ist auf dem richtigen Weg. Kann nämlich eine Zeitung auf ein fachkundiges und engagiertes Publikum setzen, werden ihre Nachrichten (bestehend aus Artikel plus Leserkommentare) besser sein als die der Konkurrenz, wo wenig oder gar nicht kommentiert wird.

Natürlich ist das ein epochaler Kulturwandel, der hier von Journalisten und Redakteuren verlangt wird. Manche mögen sich da sogar ihrer Berufsehre beraubt sehen. Allerdings werden Medienfachleute zugeben müssen, dass wir jenseits des Medienwandels auch vor einer Komplexitätsspirale stehen: Egal welches Thema medial aufgegriffen wird, es ist heute meist um vieles komplexer und vielschichtiger als noch vor 20 oder 30 Jahren.

Wissenschaftlich-technischer Fortschritt einerseits und interdisziplinäre Faktoren andererseits stellen also an den Journalismus immer höhere Anforderungen. Dazu kommt die steigende Schnelligkeit im medialen System, wo die “Breaking News” heute auch auf Twitter oder in Blogs stattfinden können und somit die Monopolstellung klassischer Medien abgeschafft ist.

Ist es da nicht naheliegend, dass Journalisten sich mit ihren Lesern zusammentun und im Dialog für bestmögliche Fakten und Argumente sorgen? Der Aufbau funktionierender Communities kann für Medien also zu einer Frage des Überlebens werden und für deren Mitglieder so attraktiv sein, dass sie bereit sind, dies gut zu honorieren.

Was nun das Verhältnis zu Google betrifft, kann eine Zeitung getrost weiterhin ihre Artikel Google News zur Verfügung stellen, solange nur die Debatte ihrer Leser (mit allen Community-Funktionen) exklusiv auf den eigenen Seiten bleibt.

Damit Bezahlmodelle hier funktionieren, bedarf es natürlich mehr, als der vielfach schon bestehenden Kommentarfunktion. In einer Community müssen sich die Mitglieder zwanglos gegenseitig kontaktieren können. Denkbar ist auch ein direkter Kontakt zur Redaktion. Zudem kann den Mitgliedern der Community Content exklusiv oder mit zeitlichem Vorlauf gegenüber den einfachen Lesern angeboten werden.

Betrachtet man das Geschäftsmodell von Online-Medien aus der Perspektive der Community, spielt es gar keine Rolle mehr, dass die Nachrichten selbst weiterhin kostenlos ins Internet gestellt werden. Für die Abonennten aber entsteht ein Anreiz, auch weiterhin für “ihre Zeitung” zu bezahlen, selbst wenn sie nicht mehr in gedruckter Form erscheint und die meisten Texte jedermann im Netz frei zugänglich sind. Das Entscheidende ist der neue Mehrwert.

Im Kern geht es also darum, die eigenen Leser in den Mittelpunkt zu stellen und sich als offene Dialogplattform zu präsentieren. Wer es schafft, sich einen attraktiven und zahlungsbereiten Leserstamm aufzubauen (oder zu erhalten), sollte wirtschaftlich gute Perspektiven haben. Alle anderen müssen sehen, wie sie sich über Werbung finanzieren und zudem nicht zu sehr von Google und anderen innovativen Internet-Unternehmen bedrängt werden.

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