#Coaching

Politik und Supervision. Nachdenken über sich selbst

von and , 19.12.17

Nachdenken dauert, nachdenken über sich selbst erst recht. Der Rhythmus der explodierenden Datenmengen und komplexen Algorithmen taugt nicht für alle Fragen und gibt schon gar nicht immer eine ausreichende Antwort. Nachdenken bleibt uns nicht erspart und damit eine gewisse Verlangsamung, ein sich Vergewissern, im Privaten wie in der Arbeitswelt. Denn zu Professionalität gehört nicht nur Wissen und Können, sondern auch nach-denken, nach-prüfen und nach-spüren. Gerade in schnellen Zeiten. Dies gilt besonders für die Politik; sie ist eine Schlüsselbranche, die uns alle betrifft. Deshalb ist es uns ein Anliegen, diese professioneller zu machen, mit Hilfe unserer Profession als Berater_innen in Supervision und Organisationsberatung, und zugleich den politischen Blick von Supervision und Beratung zu schärfen. Denn Politik profitiert von systematischer Selbstreflexion und Supervision vom politischen Blick.

Wir skizzieren im Folgenden einige Besonderheiten des Bereichs Politik, die Selbstreflexion und professionelle Begleitung besonders nötig machen. Gleichzeitig ergeben sich hieraus Standards für die Beratungsbranche.

1. Wo das Persönliche das Politische bestimmt

  • Politik als Handlungsfeld ist geprägt von Menschen, die ein besonderes Verhältnis zu Macht haben.[1] Sie haben häufig einen besonders starken Gestaltungswillen, wollen viel bewirken: für sich oder für andere, für eine Sache, eine Idee (personal/social power nach McClelland[2]).
  • Die Akteur_innen sind mehrheitlich stark werteorientiert aktiv.
  • Beide Faktoren bedingen, dass diese Menschen besonders stark oder verletzt reagieren, wenn „etwas nicht so läuft“ wie von ihnen gedacht und gewollt.
  • Das wichtigste Arbeitsmittel von Politikerinnen und Politikern ist ihre Person selbst, ihre eigene Arbeitskraft, ihre Ideen und ihre Überzeugungskraft. Deshalb ist es besonders wichtig, an diesem „Werkzeug“ zu arbeiten, es zu schützen, weiterzuentwickeln, für es zu sorgen. Aktuell ist das häufig nicht der Fall (Stichwort Selbstausbeutung / Überlastung).
  • Als treibende Kraft hinter der Arbeit steht – anders als in andern Arbeitsfeldern – vor allem Leidenschaft und Überzeugung und weniger die Attraktivität des Geldes. Dies führt ebenfalls zu besonderen Risiken für die politisch Aktiven (Überforderung, Enttäuschung, Abwertung etc.) und stellt besondere Anforderungen an die Arbeitsorganisation: benötigt wird möglichst viel Gestaltungsfreiheit; immaterielle Belohnungen, Anerkennung und faire Bedingungen sind besonders wichtig. Die Balance zum sonstigen Leben ist äußerst instabil (Vallerand et al[3]).
  • Erfolge werden in der Politik an Zahlen abgelesen – an Stimmen wie an Minuten und Zeilen in den Medien. Die Annäherung an die „eigentlichen“ Ziele muss in kleine Schritte übersetzt werden, um erfahrbar zu werden.
  • Die Freund-Feind-Kodierung ist ein gewohntes Muster im politischen Raum. Dies führt zu permanentem Stress, Ungeduld und Härte, die ein Aushandeln und Kompromisse schließen besonders schwer machen, obwohl beides gerade in diesem Feld besonders nötig ist.

Insgesamt ist somit der Faktor „Persönlichkeit“ besonders wirksam – als Ressource wie als Störfaktor. Er muss bei allen Überlegungen von Politikerinnen und Politikern wie bei allen (beraterischen) Interventionen mit bedacht werden.

2. Wo Leidenschaft auf Leidenschaft trifft  – Durchsetzung vs. Kompromiss

Leidenschaft ist ein allseits dominierendes Charakteristikum im politischen Feld, sodass die eigene Leidenschaft immer auf Leidenschaft der anderen trifft. Hieraus ergibt sich eine besondere Spannung hinsichtlich der Durchsetzungsstrategien.
Grundsätzlich unterscheiden wir zwei Möglichkeiten der Durchsetzung:
entweder versucht es jede(r) für sich mehr oder weniger allein, ohne darüber mit andern zu kommunizieren, zumindest nicht mit denen, die eine andere Position haben, oder es wird frühzeitig miteinander gesprochen, nach gemeinsamem und unterschiedlichem gesucht und diese Unterschiede besprechbar und verhandelbar gemacht.
Die erste Möglichkeit (Durchsetzung) beinhaltet große Risiken. Die „Ich-Zentrierung“ der Personen belastet die Zusammenarbeit; Misstrauen, unproduktive Konkurrenz und taktische Kommunikation prägen die Konfliktaustragung und führen dazu, dass Konflikte verdeckt über dritte ausgetragen werden und die Durchsetzung mit allen Mitteln probiert wird. Auch das eigentlich demokratische und faire Verfahren, Mehrheitsbeschlüsse herbeizuführen, wird durch verdeckte Methoden anfällig für unfaire Austragung. Eine wesentliche Rolle spielt hier die mediale Öffentlichkeit als zentraler Einflussfaktor. Politische Akteure sind von dieser besonders abhängig, da sie hierüber Feedback und Anerkennung bekommen. So wird die Medienöffentlichkeit ein besonders wirksamer wie riskanter Machtfaktor: denn er ist letztlich schwer beherrschbar und erhöht das Risiko von Konflikten.

Auch die Möglichkeit des Kompromisses birgt Risiken. Zwar bilden sich beim frühzeitigen, gemeinsamen Aushandeln mehr oder weniger faire Verhandlungssysteme, die auch mittelfristig nützlich  sind. Das Risiko ist jedoch der Profilverlust für die einzelnen wie für die Organisation; Unterschiede werden anscheinend verwischt, Organisationen anscheinend ununterscheidbar und Einzelpersonen als schwach charakterisiert.[4]

Es gibt somit keine risikolose Durchsetzungsstrategie.

Konflikte im Bereich Politik haben die Tendenz, zu ruinösen Konflikten[5] zu werden. Die starken Persönlichkeiten wie die Tragweite der Konflikte, ihre gesellschaftliche Relevanz tragen dazu bei. Wie gefährlich dies sein kann, wenn Person und Relevanz aufeinandertrifft, lässt sich nicht nur bei Donald Trump beobachten.

Diese Faktoren machen eine professionelle Verhandlungskompetenz besonders nötig. Dennoch wird Verhandlungskompetenz einfach vorausgesetzt und nicht speziell geschult. Fortbildungsangebote mit Titeln wie „Gutes Verhandeln nach Harvard“ sind in der Wirtschaft längst Standard, in der Politik wenig verbreitet.

3. Für mehr Professionalität – sechs Anforderungen an Politik und Beratung

  1. Während es inzwischen in der Wirtschaft üblich ist, externe Beratung hinzuzuziehen, scheint Politik weitgehend beratungsresistent. Zwar etablieren sich verschiedene Schulungen für Angestellte und vereinzeltes Fach-Coaching (z.B. zu Rhetorik) für Mandatsträger_innen, aber Formate, die die Selbstreflexion unterstützen, sind wenig verbreitet. Dabei gäbe es gerade hierfür einen besonderen Bedarf, insbesondere für Konflikt- und Persönlichkeitscoaching oder Supervision. Über Erfolge, die für deren Akzeptanz werben könnten, wird wenig bis nicht geredet; denn Coaching und Supervision werden immer noch als Eingeständnisse eines eigenen Defizits empfunden.
  2. Als Berater_innen müssen wir selbstkritisch hinterfragen, ob die Beratungsangebote qualitativ hochwertig sind. Denn die Entwicklung von Standards und professioneller Austausch, der inzwischen in und außerhalb von Berufsverbänden zur guten Praxis gehört, scheint an dem Feld Politik vorbeizugehen. Grund ist  zum einen sicher die relativ geringe Zahl der Aufträge,  zum andern aber wohl auch die Resonanz aus der Branche selbst. Hierunter versteht man, dass die Arbeitsbedingungen der Politik sich in der Beratung selbst widerspiegeln: starke Machtmotive und Imponiergehabe, Profilierungszwang und Konkurrenz schränken ehrlichen fachlichen Austausch ein.
  3. Beratung wie Politik müssen den Faktor „Person“ besonders berücksichtigen – und zwar in einer wertschätzenden Weise, als Anerkennung dieser starken Ressource, als ein Faktor der Professionalität, den es zu schützen und weiterzuentwickeln gilt. Dies meint nicht, Persönlichkeiten statt Inhalte in den Vordergrund zu stellen. „Professionell“ heißt, das Persönliche zu hinterfragen und in seinen Wechselwirkungen mit Inhalt und Struktur zu reflektieren
  4. So wie Politik selbstreflektierender werden muss, muss Beratung und Supervision politischer sein. Supervision braucht ein reflektiertes Verständnis der politischen Dimension beruflichen Handelns, und zwar des Handelns in jeder beruflichen Branche, nicht nur in der Branche Politik.
  5. So wie Politik eine Zukunftsvision braucht, wo es hingehen soll, brauchen Supervisor_innen eigenständige Visionen und politische Ideale, um die Reflexion des beruflichen Handelns ihrer Kund_innen zu unterstützen. Dies gilt für die Unterstützung in jeder Branche, aber besonders für die Arbeit im Feld Politik.
  6. Für beide Seiten ist ein sensibler wie selbstkritischer Blick auf Macht nötig: Supervisor_innen brauchen viel Erfahrungen mit Macht und keine Berührungsängste. Sie müssen zu ihrer eigenen Macht in der Beratung stehen und sich sowohl souverän den Anforderungen ihrer Kundinnen (bspw. was Kurzfristigkeit und Unplanbarkeit angeht) anpassen als auch selbstbewusst auf ihren eigenen Standards bestehen (z.B. was nötige Dauer und Tiefe von Maßnahmen angeht). Politiker_innen brauchen die Lust, den eigenen Machtbegriff zu hinterfragen und Tabus zu reflektieren.

Es ist Zeit für einen Dialog zwischen Supervisionsbranche und Politik. Wir finden es wichtig, als Politikerin oder Politiker über die eigenen Erfahrungen mit Beratung zu reden und als Beratungsbranche über die eigenen Möglichkeiten, Grenzen und Fehler, um voneinander zu profitieren und beides besser zu machen, zum gesellschaftlichen Nutzen.

Wir sind bereit dazu und laden hiermit dazu ein.

 

[1] Siehe im folgenden Michalik, R. (2017) Eine Frage der Macht
[2] Mc Clelland, D. 1978, Macht als Motiv
[3] Vallerand et al 2010
[4] Michalik, R. (2008) Macht macht’s (un-)möglich?
[5] Van Kaldenkerken, C., Kunkel, R. und Legler, S.: Konfliktfähiger werden, erschienen In: Reflexiv- strategische Beratung – Gewerkschaften und betriebliche Interessenvertretung professionell begleiten. Hg. Erhard Tietel, Roland Kunkel , 2011.

 


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