#Demokratie

Warum bringen Märkte keine Demokratie, Herr Neckel?

von , 13.4.17

Sighard Neckel, Soziologe, ist Professor für Gesellschaftsanalyse und sozialen Wandel an der Universität Hamburg. Seine Themen: soziale Ungleichheit, Finanzmarktkapitalismus, Refeudalisierung moderner Gesellschaften. Von ihm erschienen zuletzt »Strukturierte Verantwortungslosigkeit. Berichte aus der Bankenwelt« (2010) u.a. mit Claudia Honegger; »Leistung und Erschöpfung. Burnout in der Leistungsgesellschaft« (2013).

Die Weltwirtschaft ist bereits intensiv verflochten. Diese Internationalisierung wird mit Industrie 4.0, Digitalisierung und Roboterisierung noch einmal enorm zunehmen. Starke Wirtschaftskräfte wollen weltweit gute Geschäfte machen. Haben wir es bei dem antidemokratischen politischen Nationalismus nicht mit einem letzten Aufbäumen zu tun? Wird er nicht bald von den herrschenden Wirtschaftsinteressen weggefegt werden?

 

Sighard Neckel: Das Gegenteil ist der Fall. Die heutige Situation zeigt doch: Einer wirtschaftlichen Liberalisierung folgt die Demokratie keineswegs auf dem Fuße. In meiner eigenen Disziplin war dies einst die starke Annahme der soziologischen Modernisierungstheorie: Dort, wo es Märkte gibt, entstehen über kurz oder lang auch Freiheitsrechte und Demokratie. Ein Irrtum, nichts davon ist wahr.

 

Aber: Der Front National liegt schon lange zwischen 20 und 30 Prozent, kam jedoch noch nie an die Regierung. Norbert Hofer hat in Österreich gegen den grünen Präsidentschaftskandidaten Van der Bellen klar verloren. Trump hat in absoluten Zahlen gut zwei Millionen Stimmen weniger erhalten als Hillary Clinton, eine der verhasstesten Vertreterinnen des US-Establishments. Werden die Gefahren nicht übertrieben?

In der Tat sehe ich die Entwicklung als dramatischer an. Auch Hitler hatte in den freien Wahlen bis 1933 nie die Mehrheit errungen. Schauen Sie sich die Politik von Trump in den ersten Wochen nach Amtsantritt an. Autokraten wie er nutzen, gerade wenn sie unvorhergesehen an die Macht gekommen sind, ihre Regierungsposition sogleich, um dafür zu sorgen, dass ihnen die Macht mit demokratischen Mitteln möglichst nicht mehr genommen werden kann. Das hat Putin so gemacht, so handelt Erdogan, Trump folgt ihnen offenbar. Denken Sie nur an den Generalangriff von Trump auf kritische Medien und die unabhängige Justiz. Oder an seine Politik der Dekrete. Das hat System. Da ist es nicht mehr weit zu einer Art Notstandspolitik. Sollen wir wirklich glauben, dass Trump und sein Apparat eines Tages bereit sein werden, die politische Macht freiwillig wieder abzugeben? Es ist nicht ausgeschlossen, dass die Trump-Regierung die USA in den kommenden Jahren stattdessen in eine Art Bürgerkrieg hineinführen wird.

 

Übertreiben Sie nicht?

Hoffen wir es. Aber Trumps Politik lebt letztlich von der Eskalation, vom Angriff auf die demokratischen Institutionen, die bei seinen Unterstützern so viel Hass auf sich gezogen haben. Dies birgt zwangsläufig eine Eigendynamik in sich, in der er sich politisch nur behaupten kann, wenn er die Angriffe auf die liberale Demokratie weiter steigert. Kämen dann noch größere Anschläge, Attentate oder außenpolitische Krisen hinzu, könnte er die Flucht nach vorn antreten und auch vor kriegerischen Auseinandersetzungen nicht zurückschrecken, gegen den Iran oder im südchinesischen Meer.

Das ist tatsächlich eine Paradoxie, dass breite Teile der amerikanischen Arbeiterklasse einen Milliardär in das Weiße Haus wählen und offensichtlich auch nichts dagegen einzuwenden haben, dass Trump fast nur Generäle, weitere Milliardäre und Wall-Street-Manager in seine Regierung beruft. Und dann ist er einerseits für unternehmerische Freiheit und zugleich für harten Protektionismus.

 

Wie löst sich dieser letzte Widerspruch auf?

Zwar ist Trump als Immobilien-Milliardär auch global aktiv, doch konzentrieren sich seine Geschäfte letztlich stark auf die USA. Ihn prägen also der Blick auf die nationale Wirtschaft und eine entsprechende Wirtschaftspolitik. Das hindert ihn aber nicht daran, die Geschäfte der Wall Street zu fördern, indem er die Regulierungen der Finanzmärkte unter Obama wieder zurücknimmt.

 

Und wie löst sich der erste Widerspruch auf?

Es gibt interessante Untersuchungen aus der amerikanischen Soziologie, die zeigen, dass sich die Sozialkritik der amerikanischen Arbeiterschaft und der unteren Mittelschichten nicht eigentlich gegen die Reichen richtet. Diese werden vielmehr für ihren Reichtum bewundert und für die Unabhängigkeit, die mit Reichtum verbunden ist. Dass sich die Reichen was trauen können, dass sie sich nicht anpassen müssen. Trump lebt in seiner narzisstischen Verrücktheit die Unabhängigkeit vor, die von den unteren Schichten bewundert wird. Und so zieht er gerade in seinen maßlosesten Verhaltensweisen die Fantasien der Menschen auf sich, wird geradezu zu einer Projektionsfläche einer eigenen Stärke, die man sich erträumt. Kritisch sind untere Schichten eher den gut verdienenden und gebildeten höheren Mittelklassen gegenüber, den Rechtsanwälten, den Professionals, den Managern, denjenigen also, denen man als Chefs begegnet und von denen man sich herumkommandieren lassen muss. Die repräsentieren mit ihrer Selbstsicherheit und ihrem Geltungsdrang eine Welt, auf die die Arbeiterschaft geradezu mit Hass reagiert.

 

Donald Trump, Theresa May, Marine Le Pen, Frauke Petry und Norbert Hofer — das sind die Repräsentanten des jeweiligen Nationalismus in ihrem Land, also alle sind eins? Oder muss genau zwischen einer konservativen britischen Premierministerin, einem rechtspopulistischen US-Präsidenten und einer eher rechtsextremen französischen Präsidentschaftskandidatin unterschieden werden?

Was auffällt: Die meisten der genannten Politiker unterstützen eine Politik des wirtschaftlichen Protektionismus, die sich mit einem autoritären, antidemokratischen Nationalismus paart. Allerdings würde ich die britische Premierministerin da herausnehmen. Vor kurzer Zeit hätte ich auch Trump noch herausgenommen. Aber seit seiner Inaugurationsrede und seit wir wissen, wer im Stab des Weißen Hauses das Sagen hat, ist klar: Diese neue Führung versteht sich nicht als eine Regierung, die bereit ist, sich demokratischer Kontrolle zu unterwerfen. Sie sieht sich vielmehr als eine Bewegung, deren Ziel die Zerstörung der liberalen Demokratie ist.

 

Sind wirtschaftlicher Protektionismus und eine autoritär-nationalistische Politik zwei Seiten einer Medaille, also bedingen sie einander?

Zwar teile ich die These nicht, dass freie Märkte zugleich die Ideen von Demokratie, Liberalität und Gleichberechtigung mit sich führen, wie das ja immer von den Markteuphorikern behauptet wurde. Gleichwohl sind mit der Globalisierung auch die Möglichkeiten gewachsen, mehr Transparenz in Regierungsgeschäfte einziehen zu lassen. Das Internet spielt hierbei eine wichtige Rolle, und so ist es kein Zufall, dass die Medien- und Internetindustrie die Lieblingsfeinde des neuen US-Präsidenten sind. Überall versuchen die neuen Autokratien, sich ungeliebter Kontrollen zu entledigen, ob in Russland, der Türkei oder in China, womit diese Länder für Trump oder Le Pen die Drehbücher für die eigene Machtdurchsetzung liefern. Keine Frage: Auch in den westlichen Ländern ist die Demokratie heute in großer Gefahr.

 

Ich teile die These nicht, dass freie Märkte zugleich die Ideen von Demokratie, Liberalität und Gleichberechtigung mit sich führen.

 

Die rechten Bewegungen wollen einen Rückzug auf den Nationalstaat. Was ist daran falsch? Denn bisher sind nur die Nationalstaaten relativ verlässliche demokratisch verfasste und zugleich leistungsfähige politische Gebilde. Wie wertvoll ist also der Nationalstaat für eine aufgeklärte demokratische Politik?

Es war ein schwerer Fehler der Linken, dass sie relativ bedingungslos auf den Prozess der Transnationalisierung gesetzt hat, etwa bei der EU, ohne die demokratischen Mängel der europäischen Instanzen zu monieren. Auch ist es ja nicht an sich schon wünschenswert, dass möglichst viel transnational entschieden wird. In der EU sind die Interessen der unteren Bevölkerungshälfte ohne bessere Bildung und besseres Einkommen am wenigsten vertreten. Viele davon sehen daher in der EU so etwas wie ihren natürlichen Gegner. Was dort beraten wird, empfinden sie per se als gegen sich gerichtet. Und tatsächlich stellen sich die Vorteile der EU für akademisch Gebildete, für Hochqualifizierte und kosmopolitisch ausgerichtete Milieus ganz anders dar. Ebenso für die Verbände, Unternehmen und Lobbyisten, die in Brüssel ihre Interessen zur Geltung bringen.

 

Dann müsste der Nationalstaat künftig auch für eine aufklärerisch-demokratische Politik wieder eine höhere Bedeutung erlangen?

Einen Nationalstaat, in dem die angestammte Bevölkerung ein ethnisches Vorrecht hat, darf man getrost verabschieden. Demokratisch können Nationalstaaten heute nur sein, wenn der Bürgerstatus unter fairen Bedingungen auch von jenen erlangt werden kann, die nicht schon angestammt sind. Einen solchen Bürgerstaat als politisches Terrain zu besetzen, ist eine wichtige Aufgabe für demokratische Kräfte, um das Staatsverständnis nicht den Nationalisten zu überlassen.

 

Dieses Interview erschien zuerst auf oxiblog.de. Ebenfalls dort abrufbar: Wie schwach ist die demokratische Linke, Herr Neckel? und Wie stark ist die Rechte, Herr Neckel?

 

 

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