#Counter Speech

Widerstand mit Worten: Die Freiheitlichen Medienbeobachter

von , 21.4.16

Es vergeht in Österreich kaum eine Woche, in der insbesondere rund um die Flüchtlingsdiskussion nicht neue hetzerische Postings in sozialen Medien auftauchen und Anlass zu sehr emotional geführten Diskussionen geben. So mussten in den letzen Monaten bereits einige Funktionäre der rechtspopulistischen FPÖ ihre Ämter niederlegen; aber auch „einfache“ Parteimitglieder oder Sympathisanten gerieten mit dem Gesetz in Konflikt. Besonderes Aufsehen erregte der Vergleich von Asylwerbern mit Höhlenmenschen, wie auch der Fall eines Lehrlings, der im Sommer 2015 ein Bild auf Facebook dahingehend kommentierte, dass man das Flüchtlingsmädchen, das darauf zu sehen war, nicht mit Wasser abkühlen, sondern mit einem Flammenwerfer verbrennen solle.

 

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(Screenshot: Facebook, Freiwillige Feuerwehr Feldkirchen an der Donau)

 

Derartige Hasspostings haben dazu geführt, dass sich Aktivisten verstärkt damit auseinandergesetzt haben, um solche Fälle zu dokumentieren und auch zur Anzeige zu bringen. Es wurden auch Facebook-Seiten ins Leben gerufen, die sich satirisch mit den Irrationalismen in diversen Beiträgen befassen oder auch auf die schlechten Rechtschreibkenntnisse mancher Deutschtümler eingehen. Ein Beispiel dafür ist die Seite „AK DEUTSCH FÜR FPÖ-ANHÄNGER (und Rinnen)“.

Auch wir als Aktivistengruppe fanden es unerträglich, dass beispielsweise auf Facebook behauptet wurde, die so genannte Lügenpresse hätte Leute dafür bezahlt, dass sie vor den Kameras Ertrinkende spielen, um Gutmenschen zu rühren und so eine Welle der Willkommenskultur auszulösen. Wir haben bei unserem Vorgehen allerdings auf eine andere Strategie gesetzt und wollten eben nicht als die „verhassten“ und in den Augen der FPÖ-Wählerschaft ohnehin unglaubwürdigen Gutmenschen auftreten, sondern als Diskutant aus den eigenen Reihen, der sich grundsätzlich zwar mit den Inhalten der Wortmeldungen einverstanden zeigt, aber beispielsweise dafür eine politisch „korrektere“ Lightversion nahe legt. Die Bezeichnung „Freiheitlicher Medienbeobachter“ suggeriert zudem ein gewissen Nahverhältnis zur FPÖ. Vergleichbar ist die Vorgehensweise daher auch mit dem fiktiven „Kundendienst“ auf Facebook, der sich bei Kundenanfragen als Servicemitarbeiter diverser Unternehmen ausgibt und die Kunden dabei oft zur Weißglut bringt.

Neben der Flüchtlingsthematik beherrschte zuletzt auch der Präsidentschaftswahlkampf die Agenda in Österreich, obwohl auch dieser davon überschattet wurde. Eines der bizarrsten Ereignisse war in diesem Zusammenhang der Rücktritt der Innenministerin Johanna Mikl-Leitner, die mittlerweile sogar im Ausland einen gewissen Bekanntheitsgrad erlangt hatte. Ihr Herz zog sie allerdings zurück nach St. Pölten in die Landeshauptstadt von Niederösterreich. Auch dies wirft ein Licht auf eine Gesinnung in Österreich, deren Horizont nicht über den eigenen Gartenzaun hinaus reicht.

 

Das Irrationale ernst nehmen

Mit der Gründung des Freiheitlichen Medienbeobachters wurde de facto eine Autorität geschaffen, von der sich auch die offizielle FPÖ inhaltlich nicht so leicht distanzieren kann – obwohl wir mittlerweile auf einigen Seiten gesperrt wurden. Denn immerhin arbeiten die Freiheitlichen Medienbeobachter ja als Saubermänner und -frauen für die Partei und achten darauf, dass deren Image nicht von extremen Postings belastet wird. Die Freiheitlichen Medienbeobachter agieren nicht mit dem erhobenen Zeigefinger, sie gehen sachlich auf die Argumentation der Postings ein, und sie machen sich – zumindest nicht offenkundig – lustig über die Urheber so mancher Stellungnahmen, die schon sehr befremdlich sind. Sie agieren vorweg nicht als die herablassende Keule des politisch Korrekten, sondern als ein Korrektiv, das trotz aller Kritik den Schreibern auch durchaus Wertschätzung entgegenbringt und wie bei diesem Beispiel auch anregt zu differenzieren:

 

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Die Reaktionen auf unsere Postings waren daher äußerst unterschiedlich, da manche Wähler sich wahrscheinlich gerade durch die „Autorität“ der Freiheitlichen Medienbeobachter bzw. der Kritik aus den eigenen Reihen erst recht extrem provoziert gefühlt haben, wie beispielsweise diese Beiträge zeigen:

 

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Emotionsaufkommensneutralität

Andere Sympathisanten fühlen sich durch unsere Kommentare einfach nur besser informiert und offenbaren, dass sie kaum ein kritisches Bewusstsein an den Tag legen bzw. sich durchaus mit Manipulation anfreunden können – etwa, wenn es um die „emotionsaufkommensneutrale“ Kommunikation geht. Uns ist dabei allerdings bewusst, dass manche Antworten umgekehrt auch ironisch gemeint sein könnten:

 

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(Screenshot: Facebook-Seite, FPÖ-Landesrat Günther Steinkellner)

 

 

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Überflüchtung und Entzäunung der Heimat

Die meisten User reagieren jedoch zunächst mit Unverständnis und lassen sich nicht sofort auf eine Diskussion ein. Es braucht daher oft mehrere Anläufe, um eine Interaktion herzustellen. Genau das ist es aber, worauf wir mit der Arbeit als Freiheitliche Medienbeobachter abzielen. Durch Ironie und auch ein Stück Provokation, möchten wir mit diesem Projekt einen Dialog initiieren.

 

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Dadurch, dass wir in eine andere Rolle schlüpfen und die Position der FPÖ einnehmen, können wir allerdings schwer bei den Inhalten der Postings einhaken und nicht grundsätzlich am Weltbild der Autoren Kritik üben. Insofern sind wir besonders dankbar, wenn – wie im obigen Beispiel – eine konkrete Frage an die FPÖ formuliert wird. Wir können jedoch auch manche Formulierung zum Anlass nehmen, um Nachbesserungen einzufordern und so zum Nachdenken anzuregen und das gängige Bild zu stören, wie dieses Beispiel rund um den gegenwärtigen FPÖ-Bundespräsidentschaftskandidaten Norbert Hofer zeigt:

 

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Auch die Bitte um Präzisierungen, das Ersuchen um mehr Information oder der Verweis auf Widersprüche sind Teil dieser Strategie. Es geht auch darum, den Menschen die Macht des Dogmas bzw. die Beliebigkeit deren Interpretation vorzuführen und zu demonstrieren, wie schnell sie selbst durch eine irrationale Logik zu Opfern willkürlicher Vorverurteilungen werden können, wie die folgenden beiden Beispiele zeigen:

 

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Widersprüche und Gemeinsamkeiten

Angesichts der Erfahrungen, die wir mit unseren Aktivitäten in sozialen Medien haben, kann festgestellt werden, dass diese Plattformen, die eigentlich zum Austausch von Meinungen dienen sollten, genau genommen nur jene Funktion haben, dass sich die User gegenseitig lediglich in ihren Ansichten bestätigen. Trotz der Unterschiede zwischen den politischen Weltbildern von „rechts“ und „links“, die permanent und sprachlich auf radikale Weise betont werden, gibt es allerdings viele Gemeinsamkeiten. Oft sind sich beide Lager einig in ihrer Systemkritik, teilen gemeinsame Werte und haben sogar gemeinsame Feindbilder wie die Globalisierung, die EU und beispielsweise das Handelsabkommen TTIP. Mit Vladimir Putin gibt es sogar ein gemeinsames Freundbild, zumal die USA in deren Augen gegenwärtig ohnehin Ausgangspunkt für alles Schlechte und Böse seien. So partizipieren die Extreme auch an den absurdesten Verschwörungstheorien.

Die Systemkritik der von uns „betreuten“ User entlädt sich nicht nur an einzelnen Politikern, Parteien und staatlichen Einrichtungen, sondern auch gegenüber Banken, Ratingagenturen und Konzernen. Der Politik kommt hier die dankbare Rolle zu, sich als gesellschaftlicher Faktor stärker ins Spiel zu bringen. Die geschieht im Spektakel, wobei es insbesondere auf Facebook um Inszenierungen und Rituale diesseits und jenseits des politisch Korrekten geht, um noch eine gewisse Präsenz zu erhalten und den Wählern ein Wechselbad von Empörung und Beschwichtigung zu gönnen. Wer dieses Wechselbad am besten beherrscht, hat als Populist auch gute Chancen für den Wahlkampf, wie es sich anhand von Donald Trump in den USA zeigt.

Wie aber kann dies funktionieren, dass wir angesichts der angeblichen Widersprüchlichkeit an den politischen Rändern auch starke Gemeinsamkeiten erkennen können, aber noch weit davon entfernt sind, von der Stiftung einer Identität – wie sie beispielsweise der Liberalismus oder der Kommunismus hervorgebracht haben – zu sprechen? Bereits Antonio Gramsci, übrigens ein linker Intellektueller der den Antiamerikanismus als dumm und lächerlich bezeichnet hatte, stellte diese Frage ins Zentrum seiner Überlegungen: „Die wirkliche Identität unter der scheinbaren Unterschiedenheit und Widersprüchlichkeit zu finden, und die substanzielle Verschiedenheit unter der scheinbaren Identität auszumachen, ist die heikelste, unverstandenste und doch wesentliche Fähigkeit des Kritikers der Ideen und des Historikers der geschichtlichen Entwicklung.“ (1)

Das Paradoxe beim Versuch, die Frage zu beantworten, besteht nun darin, dass es ausgerechnet die Dogmen des Ideologischen sein dürften, welche den Extremen an beiden Enden des politischen Spektrums jene Spielräume verleihen, die diese Annäherung zu einer gemeinsamen Mitte erlauben. Denn das Dogma bewährt sich darin, dass der Prozess, der ihm Bedeutung verleiht, sich nicht zwingend durch seinen Inhalt, sondern oft bloß durch die Bildhaftigkeit und Lebendigkeit einer Behauptung vollzieht (2). Solange das Erfahrene dem Dogma untergeordnet wird, können die Inhalte durchaus variieren. Dadurch ist es dem Dogma umgekehrt möglich Abweichler und Abtrünnige jederzeit zu überführen, denn egal, welche Inhalte sie zu ihrer Verteidigung vorbringen, sie stellen stets einen Verstoß gegen die Regeln des Dogmas dar. Diese Erfahrung wird gerade auf Facebook vielen zu Teil. Manche User gehen dort auch so weit, dass sie offenkundig über manche „Gegner“ in deren Profilen oder auf Google schnüffeln, um auch persönliche Dinge gegen sie ins Treffen zu führen.

So kann gerade das Ideologische der politischen Extreme zu dieser Annäherung beitragen, die wir eigentlich als einen Verlust des Ideologischen bezeichnen würden. Es ist auch egal, ob die Ideologie sich bloß dissimuliert hat bzw. so tut, als wäre sie nicht mehr existent oder ob sie durch das Zusammentreffen an den Rändern der Extreme implodiert und zu etwas Neuem, vielleicht sogar Progressivem, führt. Denn wie wir sehen, stricken sie gemeinsam bereits an Narrationen, die in einer neuartigen Patchworkideologie münden könnten.

 

  • Gramsci, Antonio. Gefängnishefte. Herausgegeben von Klaus Bochmann und Wolfgang Fritz Haug, 10 Bände. Argument-Verlag, Hamburg 1991–2002. Heft 24.
  • Wiesing, Lambert. Pluralität durch ästhetisches Denken. In: Postmoderne oder das Ende des Suchens. Edition Isele, Eggingen 1992. S. 120.

 


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