#Biohacking

Smarte Technologie in unseren Körpern – Hannes Sjoblad im Interview

von , 18.3.16

Herr Sjoblad, Sie sind Biohacker. Was genau heißt das?

Wir Biohacker betrachten die biologischen Systeme als etwas zum Experimentieren. Und wenn ich biologische Systeme sage, meine ich alles von Bakterien über Pflanzen bis hin zu Tieren. Die Biohacking-Bewegung ist aufgrund der Demokratisierung bestimmter leistungsfähiger Technologien entstanden. DNA-Analyse, tragbare Sensoren und ähnliche Technologien waren vor zehn oder zwanzig Jahren wirklich teuer. Nun sind sie sehr billig geworden, und das nenne ich “die Demokratisierung der Technologie”. Es gibt viele Parallelen zu Computern: In den 60er Jahren gab es nur wenige Computer und sie standen in großen Unternehmen. Aber in den 70er und 80er Jahren wurden Computer quasi jedem zugänglich gemacht. Kinder spielten mit ihnen und viele neue Ideen wurden geschaffen. Was in der Biotechnologie-Bewegung gerade passiert, ist sehr ähnlich.

Sie haben in Schweden die Organisation “BioNyfiken” (“BioNeugierig”) gegründet. Was tun Sie dort?

Wir wollen mit BioNyfiken ein Treffpunkt für Leute sein, die an Biohacking interessiert sind. In erster Linie wollen wir eine Organisation sein, die sich mit dieser Technologie befasst, die kein großes Unternehmen und kein großes Forschungsinstitut ist. Viele von uns sind Aktivisten, und wir wollen, dass die Technologie auch in den Händen der Bevölkerung liegt. Wer also interessiert ist, kann einfach Mitglied werden und lernen, wie die Technik funktioniert. In BioNyfiken machen wir alles Mögliche im Bereich Biohacking – um es stark vereinfacht zu sagen: Hauptsächlich geht es um Labortätigkeiten mit Reagenzgläsern und Bakterien.

Als zweiten Bereich gibt es  „Cyborgism”, in dem sich gesunde Menschen beispielsweise Implantate in ihren Körper einpflanzen. Wir nutzen seit vielen Jahren medizinische Implantate in unseren Körpern, aber jetzt erleben wir, dass gesunde Menschen Technologie in ihre Körpern implantieren – nur zum Spaß, weil sie neugierig sind oder weil es einem bestimmten Zweck in ihrem Alltag dienen soll.

Bei der dritten Seite des Biohacking geht es um Gesundheit: Wie können wir Technologie nutzen, um besser Sport zu treiben, besser zu schlafen und besser zu essen? Wenn man Daten dazu sammelt, kann man mit sich selbst Tests durchführen. Bevor wir Sensoren hatten, war es beispielsweise schwierig zu klären, ob man besser oder schlechter schläft, wenn man nach 16 Uhr Kaffee getrunken hat. Heute kann ich mit einer App meinen Schlaf perfekt aufzeichnen, an zehn zufällig ausgewählten Abenden Kaffee trinken und danach meinen Schlafrhythmus aus diesen Nächten mit dem Schlafrhythmus der normalen Nächte vergleichen. Wir bezeichnen das gerne als Wissenschaft mit einer Stichprobengröße von einer Person. Das ist ein wichtiger Teil des Biohackings, der sich an professionellen Sportlern orientiert. Ich bin kein professioneller Sportler, aber ich möchte fit bleiben und im Büro abliefern können.

Eines der Projekte von BioNyfiken ist das Implantieren von RFID-Chips. Welches Ziel verfolgen Sie damit?

Das Ziel liegt im Erforschen. Das liegt schon in unserem Namen: wir sind neugierig. Aber wir wissen, dass diese Technologie im Kommen ist und auf sehr interessante Arten genutzt wird. Wir treffen uns, veranstalten Workshops und diskutieren in Facebook-Gruppen und Web-Foren: „Schaut euch diese neue App an, die ich gefunden habe” und „Ich war gerade in einem Shop und konnte mit meinem Implantat bezahlen”. Wir crowdsourcen die Möglichkeiten der Anwendung für diese Technologie. Gleichzeitig sehen wir uns die Schwächen an: Beispielsweise kann ich den Chip meines Freundes kopieren und versuchen, damit seinen Computer zu entsperren. Wir versuchen zu verstehen, wie diese Technologie funktioniert und ich denke, dass wir dabei besonders zu Implantaten wertvolle Erkenntnisse gesammelt haben. Ich möchte meine Erkenntnisse aus diesem Projekt teilen.

Sie organisieren auch „Implant Parties”, auf denen man sich einen RFID-Chip implantieren lassen kann.

Genau. Wir hatten außerdem schon „Implant Parties” auf denen sich Leute Magneten in die Hand implantieren lassen konnten. Es ist ein gelassenes Umfeld, in dem wir Leuten diese Technologie vorstellen und zeigen können, wie einfach und leicht verfügbar sie ist. Man muss nicht zu einem plastischen Chirurgen gehen und sich diese Dinge unter Vollnarkose implantieren lassen. Man kann einfach zum nächsten Piercing-Studio gehen und sich dort ein Upgrade besorgen. Das ist ziemlich cool.

Sie tragen selbst ein RFID-Implantat. Wie und wann nutzen Sie es?

Ich nutze mein Implantat täglich viele Male. Das Implantat ist genau so smart wie ein RFID-Schlüsselanhänger oder einen RFID-Karte. Ich benutze es jeden Tag, wenn ich ins Büro gehe und ich nutze es, wenn ich verschiedene Konferenzräume betrete, einen Kopierer benutze oder bestimmte Schließfächer öffne. Andere Leute im Büro benutzen dazu noch ihre RFID-Karte.

Heute Morgen habe ich mein Implantat im Fitnessstudio genutzt. Andere Mitglieder müssen eine Plastikkarte in ihrer Tasche mit sich herumtragen. Manchmal vergessen sie sie und müssen dann ihren Personalausweis zeigen. Ich muss mir über diese Karte nie Gedanken machen, weil ich einfach mit meiner Hand über das Lesegerät wische und reinkomme. Ich kann das Implantat auch in ganz Schweden in verschiedenen Shops benutzen und bekomme Rabatte, weil ich Mitglied in einem Rabattsystem bin.

Welche Daten speichern Sie auf Ihrem Implantat?

Aktuell sind dort Kontaktdaten gespeichert wie mein Arbeitsplatz, meine E-Mail-Adresse, mein Name bei Twitter und der Link zu meinem LinkedIn-Profil. Außerdem noch ein paar Gedichte – einfach weil noch Platz dafür war (lacht).

Wenn ich Sie also auf einer Konferenz treffe, ist es sehr einfach für Sie, meine Hand zu scannen und meine Daten in das Adressbuch Ihres Telefons zu speichern.

Was denken Sie: In welchen Lebensbereichen werden wir Implantate in Zukunft nutzen?

Ich sehe da mehrere ziemlich relevante Anwendungsbereiche. Ich bin absolut überzeugt, dass wir die aktuelle Technologie zum Aufzeichnen von Gesundheitsdaten – zum Beispiel Fitness-Wearables wie Schrittzähler oder FitBit – schon sehr bald unter die Haut setzen können.

Aus Anwendersicht wird das Vieles vereinfachen: Weil man den Chip unter der Haut trägt, vergisst man ihn nicht und kann permanent Daten aufzeichnen. Gesundheitsüberwachung ist definitiv ein sehr interessanter Anwendungsbereich für implantierte Chips. Das einzige Problem, mit dem wir derzeit kämpfen, ist die Notwendigkeit einer Energiequelle. In diesem Bereich gibt es viel Forschung. Man kann beispielsweise das Implantat aufladen, indem man ab und zu einen kleinen Magnet darüber hält. Es gibt auch andere Wege: Man kann mit der Bewegung einer Armbanduhr Elektrizität erzeugen und das Implantat aufladen.

Es gibt außerdem mehrere Anwendungsbereiche, in denen wir heute schon Implantate nutzen. Etwa in Läden oder beim Anmelden in verschiedenen Kontexten – ich kann mein Telefon ohne PIN-Code und meinen Computer ohne Passwort entsperren. Es ist ein Weg, um die Interaktion mit all den smarten Dingen um uns herum zu erleichtern. Wir wissen, dass das Internet der Dinge ein starker Techniktrend ist und dass mehr und mehr Geräte in unserem Umfeld vernetzt werden. Ich finde, dass wir in der Lage sein müssen, mit diesen Geräten in ihrer eigenen Sprache zu sprechen. Und welche Sprache spricht das Internet der Dinge? Es spricht Wi-Fi, Bluetooth und die Sprache von NFC. Ohne allen Dingen beizubringen zu müssen, eine menschliche Sprache zu verstehen, kann ich mit der Hilfe eines kleinen Implantats die Sprache von Milliarden von Geräten sprechen. Dabei gibt es keine Missverständnisse – im Gegensatz zu Sprachsteuerung von Computern.

Ein weiterer wichtiger Aspekt ist für mich die Nutzung von Implantaten beim Bezahlen. Denn ich habe letztlich die Vision, meine Schlüssel, mein Portemonnaie und das Zeug, das ich in meinen Taschen herumtragen muss, loszuwerden. Ich finde, es gehört nicht ins digitale Zeitalter, Sachen in Taschen herumtragen zu müssen. Also möchte ich auch mein Geld ersetzen und mein Implantat zum Bezahlen nutzen. Ich habe es schon in verschiedene Systeme zum Bezahlen eingetragen. Leider funktioniert das bislang nur an ein paar Stellen, aber theoretisch könnte ich an vielen Orten damit zahlen, wenn ich die Zeit hätte, diese Entwicklung voranzutreiben. Aber ich kann schon in bestimmten Automaten eine Cola oder ein Snickers kaufen!

Freunde von mir haben ein cooles System gebaut, bei dem man sein Chip-Implantat zum Bezahlen mit Bitcoins nutzen kann. Sie nutzen ihre Implantate ähnlich wie man einen PIN-Code benutzt: Erst entscheidet man „Ich möchte fünf Bitcoins an diese Adresse senden” und dann unterschreibt man quasi mit dem Chip. Pling! Das ist ziemlich cool. Es ist besser als auf einem Stück Papier zu unterschreiben.

Sie haben auch die Schwachpunkte von RFID-Implantaten erwähnt.

Ich habe gelesen, dass es möglich ist, ein Implantat mit einem Smartphone zu hacken und es so unbrauchbar zu machen oder sogar die Identität der Person zu verändern. Kann jemand die Daten auf Ihrem Chip verändern oder stehlen?

Es gibt in Bezug auf Chip-Implantate drei Aspekte von Sicherheit, nach denen oft gefragt wird. Bei der ersten Frage geht es um das Verfolgen: Kann man meinen Standort verfolgen, weil ich ein Implantat habe? Die einfache Antwort darauf ist: nein. Das Implantat kann kein eigenes Signal senden, weil es keine Batterie hat. Außerdem ist es sehr klein, seine Antenne ist winzig, sodass es eine sehr sehr kurze Reichweite hat: Man muss ein bis zwei Zentimeter an das Implantat herankommen, um damit kommunizieren zu können. Wenn man sich im Wald oder nachts betrunken in Paderborn verirrt, kann einen niemand finden (lacht). Standortverfolgung ist in diesem Sinne also kein Problem.

Das zweite Problem, das Sie angesprochen haben, ist Hacking: Kann jemand mein Implantat hacken? Die einfache Antwort darauf ist: ja. Die Implantate, die wir aktuell verwenden, sind nicht verschlüsselbar. Wenn sich jemand mir mit einem Smartphone nähert, während ich schlafe, und diese Person weiß, dass ich ein Chip-Implantat in meiner Hand trage, dann ist es sehr einfach, das Implantat auszulesen. Man kann dem Problem begegnen, indem man nichts Geheimes auf dem Implantat speichert, und sollte verstehen, was die Schwächen sind. Im Prinzip sollte man keine Informationen auf dem Implantat haben, die man nicht auch auf sein T-Shirt drucken und damit auf die Straße gehen würde. Für mich ist es ok, meine Website, meinen Twitter-Account und Gedichte, die ich mag, auf meinem Chip zu speichern – mir ist es egal, wenn jemand Anderes das liest.

Es geht letztlich darum, die Grenzen dieser Technologie zu verstehen.

Das dritte Problem, nach dem Sie gefragt haben ist das Kopieren der Daten, wenn ich mein Implantat nutze, um in mein Büro zu kommen oder um meinen Computer zu entsperren. Das ist tatsächlich das größte Sicherheitsproblem. Denn ja, wenn man technisch versiert ist, ist es möglich, mein Implantat zu kopieren und meine Identifikationsdaten auf eine Karte zu spielen. Und dann kann man in mein Büro gehen, weil man vortäuscht, ich zu sein. Aber das ist letztlich nichts anderes, als wenn jemand meine Schlüssel klaut. Das Problem existiert also bereits, meinen Sie nicht? Es ist sogar einfacher jemanden die Schlüssel zu klauen als sein Implantat zu klonen. Doch wie können wir uns vor dieser Dimension des Klonens schützen? Es ist wie bei Bankkarten oder dem Zugang zu Gebäuden: Wir müssen mehrere Sicherheitsmaßnahmen miteinander kombinieren. Um in bestimmte Büroräume zu kommen, verwende ich immer meinen Chip und einen PIN-Code. Also selbst wenn jemand meinen Chip kopiert, müsste diese Person mir auch folgen und im richtigen Moment meinen PIN-Code sehen. Außerdem kann ich meine PIN immer ändern.

Gibt es andere Sicherheitsmaßnahmen, die Sie vornehmen?

Nein, eigentlich nicht. Ich nutze mein Implantat für nichts, das super wertvoll ist. Man kann darüber keinen Zugriff auf mein Bankkonto bekommen oder zu meinem Porsche – wenn ich einen hätte (lacht).

Glauben Sie, dass RFID-Implantate erst der Beginn einer Verschmelzung von Technologien und dem menschlichen Körper sind? Werden wir zu Cyborgs?

Auf jeden Fall. Ich glaube, wir leben bereits im Zeitalter der Cyborgs. Besonders ältere Leute haben schon heute smarte Technologie in ihrem Körper: Herzschrittmacher, Hörgeräte, Insulinpumpen. Wir finden das nicht kontrovers, weil es Menschen hilft, ein besseres Leben zu führen, nicht wahr?

Der Unterschied zwischen Chip-Implantaten und medizinischen Implantaten ist, dass Chip-Implantate von gesunden Leuten genutzt werden, die es interessant finden. Wenn man die technische Entwicklung in den Blick nimmt, dann sehen wir Sensoren, die immer kleiner werden und Prozessoren, die mit immer weniger Energie auskommen – sodass man sie drei Jahre lang nicht aufladen muss. Menschen, die sich für diese Technologie-Trends interessieren, sehen, was damit möglich ist: Man kann kleine smarte Sensoren in den menschlichen Körper integrieren und daraus interessanten Nutzen ziehen. Man kann zum Beispiel einen Sensor in einen künstlichen Zahn setzen und ihn so als Mikrofon benutzen oder damit aufzeichnen, was man isst. Es gibt viele Anwendungsfelder für diese Technologie.
Also ja, eindeutig: Dies ist erst der Beginn einer neuen Ära, in der wir viele Arten von smarter Technologie in unsere Körper aufnehmen.

Was ist der nächste Schritt in Ihren Biohacking-Experimenten?

Am meisten reizt es mich, Menschen zusammenzubringen. In einem Monat gibt es eine große Biohacker-Konferenz in Stockholm – das ist gerade mein wichtiges Projekt. Dort sind immer Leute, die mehr Expertise in technischen Dingen haben als ich. Mein Plan ist es, dass sich viele Leute gegenseitig ihre unterschiedlichen Experimente zeigen und hoffentlich Andere dazu inspirieren, das Gleiche zu probieren. Momentan bin ich hauptsächlich ein Organisator in der Community.

In den kommenden Monaten werden wir eine neue Generation von Implantaten mit vielen smarteren Fähigkeiten kennen lernen. Ich denke, dass es einige Neuigkeiten in diesem Feld geben wird.

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