#Arbeit

Arbeit schändet – eine Polemik

von , 5.5.15

Nachdem Gott in sechs Tagen alle Arbeit erledigt hatte, konnten die Menschen im Paradies den Müßiggang pflegen. Und hätten sie nicht Gottes Erkenntnismonopol und damit seine Allmacht angezweifelt, wären sie auch nicht vertrieben und mit Arbeit bestraft worden. Mit Mühsal und im Schweiße ihres Angesichts mussten sie sich nun ihr Leben lang um ihre Reproduktion selbst sorgen – wie uns Moses berichtet. Diese große Erzählung spiegelt die Lebenserfahrung der Menschen wider, die weitgehend ohne Technik gezwungen waren, ihren täglichen Bedarf an Lebensmitteln der Natur abzuringen. In dieser Erfahrung liegt wahrscheinlich auch der Grund, warum das Wort Arbeit in fast allen Sprachen etymologisch gleichbedeutend mit Mühsal und Qual ist – im Französischen sogar mit Folter, und im Japanischen bedeutet das übersetzte Zeichen: das Herz zerreißen.

Arbeit hatte also einen schlechten Ruf, und den hat sie auch über die Jahrtausende zunächst behalten. Wer arbeiten musste, gehörte zu den unterdrückten Klassen, war Sklave oder Leibeigener. Aristoteles war der Ansicht, dass jede lohnbringende Arbeit dem menschlichen Geist der Muße beraubt und ihn erniedrigt. Harte körperliche Tätigkeiten, die nur der puren Notwendigkeit dienen, empfand Cicero als unehrenhaft, eines Freien unwürdig und schmutzig, nur als Erwerbsformen von Tagelöhnern geeignet. Auch das Mittelalter, das als finsteres bekannt ist, hatte keinen positiven Arbeitsbegriff. Finster war es besonders für die, auf denen die Last der Sicherung der gesellschaftlichen Reproduktion lag, also vor allem den leibeigenen Bauern. Priester- und der Adelsstand waren von der Arbeit befreit. Das erfuhr seine Rechtfertigung sogar durch Thomas von Aquin, der ausdrücklich erklärte, dass nur die Notwendigkeit zur Arbeit zwinge und Gottes Gebot der körperlichen Arbeit nicht allgemein verpflichtend sei. Noch nicht einmal das mit der Neuzeit entstehende Bürgertum arbeitete. Es ging seinen Geschäften (frz. les affaires) nach oder war beschäftigt (engl busy, woraus das abstrakte business gebildet wurde).

Erklärungsbedürftig ist also nicht die ursprüngliche Bewertung der Arbeit als Mühsal, Pein und Strafe, sondern unsere heutige positive Einstellung zur Rastlosigkeit. Wie konnte es also dazu kommen, dass der Arbeitsbegriff in der Moderne eine so – im wahrsten Sinne des Wortes – ungeheure Karriere hingelegt hat? Heute ist uns alles zur Arbeit geworden; alle menschlichen Lebenstätigkeiten werden mittlerweile als Arbeit bezeichnet, z.B. Trauerarbeit für die Verarbeitung eines Verlustes, Erziehungsarbeit für die Aufzucht der folgenden Generation, Schularbeit für Lernen und Lehren, politische Arbeit für die Beteiligung an der Gestaltung des Gemeinwesens, künstlerische Arbeit für den freien kreativen Selbstausdruck und sogar als Gipfel des Grauens Beziehungsarbeit für die Pflege der zwischenmenschlichen Liebe und Partnerschaft. Kaum ein gesellschaftliches Tätigkeitsfeld, das mittlerweile nicht arbeitsförmig umcodiert wurde. Arbeit ist zur Pathologie geworden, die sämtliche Bereiche des menschlich-gesellschaftlichen Lebens kolonialisiert hat.

Der Protestantismus ist daran nicht unschuldig. Bereits Paulus hatte den Thessalonichern geboten, dass nicht essen dürfe, wer nicht arbeiten wolle. In dieser Folge dehnten Calvin und Luther die Arbeitspflicht auf alle aus. Ihrer Lehre lag der Arbeitsbegriff des neuen Testamentes zugrunde: Arbeit war Gottesdienst als Fortsetzung von Gottes Schöpfungswerk und dem Beten gleichgestellt (ora et labora). Müßiggang wurde jetzt als Faulheit imaginiert und abgelehnt. Jetzt sollten auch die Reichen und die Pfaffen arbeiten, auch wenn sie dazu nicht durch Notwendigkeit gezwungen waren. Anders war ein komfortabler Platz im Himmelreich nicht mehr zu sichern. Trotzdem wurde das Wort Arbeit in der Umgangssprache des 16. bis 18. Jahrhunderts noch keineswegs auf alle menschlichen Tätigkeiten des zweckgerichteten Schaffens angewandt; die Bedeutungstradition von Mühe und Qual wirkte nach. Auch wenn Arbeit ideologisch zur Tugend erklärt wurde, hieß das nicht, dass die Menschen diese nun mit Freunde taten, ihr nicht doch so schnell es eben ging wieder entflohen. Foucault hat aufgezeigt, dass es Jahrhunderte gedauert und viel Blut, Schweiß und Tränen gekostet hat, bis man die Menschen für den Arbeitsdienst, für lebenslängliches, ununterbrochenes Arbeiten diszipliniert hatte. Dazu mussten regelrechte Disziplinaranstalten in der Form von Zucht- und Arbeitshäusern eingerichtet werden, in die man alle internierte, die aus welchen Gründen auch immer zum Arbeiten nicht bereit oder in der Lage waren, also Bettler, Landstreicher, Diebe, Kranke und Verrückte. Sie dienten als Mahnung für die Masse, sich dem Arbeitszwang nicht zu entziehen.

Eine grundsätzliche Änderung vollzog sich erst, als der Protestantismus seine Liaison mit dem entstehenden Kapitalismus einging. Die protestantische Prädestinationslehre und innerweltliche Arbeitsaskese vermählten sich mit der allgemeinen Arbeitspflicht zum Geist des Kapitalismus. Nun waren alle gesellschaftlichen Halterungen gekappt, die die Wirtschaft im Zaum gehalten hatten, und die Arbeit konnte sich zur allgemeinen Form entwickeln, die sich alle anderen Tätigkeitsformen subsummierte. Bei Locke wurde Arbeit zur Ursache von Eigentum, für Smith war sie die Quelle für den Wohlstand der Nationen. Jetzt wurde die Abstraktion der Kategorie Arbeit, »Arbeits sans phrase«, praktisch wahr – als Ausgangspunkt der modernen Ökonomie, wie Marx feststelte.

An unserer heutigen positiven Einstellung zur Arbeit ist Marx allerdings nicht unbeteiligt gewesen, hatte er doch seinen komplementären Zwilling Hegel zustimmend zitierend die Selbsterzeugung des Menschen als einen Prozess gefasst, der den wirklichen Menschen als Resultat seiner eigenen Arbeit begreift. Hier taucht Arbeit erstmalig im Zusammenhang mit der menschlichen Selbsterschaffung auf. Marx‘ Schwiegersohn Lafargue wollte dieser Einschätzung allerdings nicht ohne weiteres zustimmen. Er sah in der kapitalistischen Deformation von Arbeit die schrecklichste Geißel, welche die Menschheit je getroffen hat. Arbeit im Kapitalismus ist seiner Ansicht nach die Ursache des geistigen Verkommens und der körperlichen Verunstaltung. Allerdings traute sich Lafargue diese Auffassung erst nach dem Tode von Marx in seiner Satire zum Recht auf Faulheit zu veröffentlichen. Die entstehende Arbeiterbewegung ist dann wohl mehr Marx als Lafargue gefolgt, indem sie das Schandmal Arbeit zum Ehrenzeichen erklärt hat. Noch heute beschränken sich die Forderungen der Gewerkschaften nach guter Arbeit auf Tariffragen und Mindestlöhne. Dem kapitalistischen Grundproblem unserer Deformation wird ausgewichen.

Dieses besteht vor allem darin – daran erinnert uns Luhmann –, dass die Wirtschaft nicht mehr dem Bedarf, sondern der Bedarf der Wirtschaft folgt. Produziert wird nicht, was gebraucht wird, sondern was sich – unter Zuhilfenahme moderner Marketing- und Werbungsmethoden – verkaufen lässt. Typisch für kapitalistisch dominierte Arbeit ist es, dass sie erstens auf Bedarf, der nicht zahlungsfähig ist, nicht reagiert, wie viel Hunger und Elend auch immer herrschen mögen, und dass sie zweitens dazu neigt, die gesellschaftliche Infrastruktur marodieren zu lassen, weil sich Kollektivgüter gegen die Form des Privateigentums sperren. In Kombination mit der Befreiung der Menschen – verstanden als Freiheit von jeglicher ökonomischer Sicherung – war der Arbeitszwang für die Masse strukturell abgesichert. Wer nichts hatte, dem wurde auch nichts gegeben – er oder sie musste, um das Überleben zu sichern, eben arbeiten.

Damit dies aber nicht als Strafe erlebt, sondern als Selbstverwirklichung imaginiert werden konnte, musste noch einiges geschehen. Der ökonomischen Hegemonie folgte die ideologische. Der Kapitalismus ist heute gesamtgesellschaftlich und global als einzig erfolgversprechende Form des Wirtschaftens unangefochten. Aus Arbeitern, die keine Alternative zur Ausbeutung durch das Kapital hatten, wurden Arbeitskraftunternehmer, die sich dem Arbeitsparadigma freiwillig unterwerfen und Selbstausbeutung betreiben. Und nachdem auch das Soziale erfolgreich ökonomisiert wurde und sich die gesellschaftlichen Akteure wechselseitig unter Nützlichkeitsgesichtspunkten beobachten, unterwandert der Neoliberalismus nun die Psychen.

Bestes Beispiel dafür ist die gegenwärtige Diskussion um die Arbeitswelt 4.0. Die diesbezügliche Fraunhofer-Studie geht völlig unkritisch davon aus, dass die Integration von Arbeit und Freizeit sich weiter verbreiten wird, und sieht dies nicht als Kolonialisierung privaten Lebens durch die Arbeit, sondern als Synergie eines »Corporate Life«, welches die Beschäftigten samt ihren Familien noch stärker an die Unternehmen bindet. Was hinter diesem als positiv bezeichneten Zukunftsszenario steht, bleibt zwar unausgesprochen, ist aber doch erkennbar: Um den Profit zu steigern, geht es um die Konditionierung der Beschäftigten zu loyalen, treu ergebenen und fügsamen Untergebenen, die ihrer zugewiesenen Aufgabe und den Zielen des Unternehmens dienen, ohne auf die Uhr zu schauen, die sogar ihre »Frei«-Zeit in den Dienst des Unternehmens stellen.

Moderne Managementmethoden wollen den »ganzen Menschen« mit allen seinen Emotionen, Motivationen, Leidenschaften und Begeisterungen dem Arbeitsprozess zunutze machen. Alle subjektiven Kräfte sollen zwecks Effizienzsteigerung auf die Unternehmensziele gelenkt werden; »freiwillige« Selbst-Beherrschung soll äußere Herrschaft ersetzen. Dass dies der Persönlichkeitsentwicklung der Beschäftigten dienlich sein soll, ist blanke Ideologie. Gouvernementalität nennt Foucault diese Lenkung von Personen, die schlicht darin besteht, Herrschaft zu internalisieren und damit unsichtbar zu machen.

Denjenigen – und sie stellen die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung dar –, die »befreit« sind von jeglichem existenzerhaltenden Eigentum oder anderer ökonomischer Absicherung, bleibt kaum eine Alternative als ihre Existenz durch Verkauf ihrer Arbeitskraft zu erhalten. Der dafür getauschte Lohn stellt aber bestenfalls ein Motiv dar, den Arbeitsplatz zu erhalten, aber nicht, sich dort über Gebühr zu engagieren oder gar die eigene Ausbeutung durch Übernahme der neoliberalen Ideologie selbst »freiwillig« zu vollziehen. Alles dies berücksichtigend, entwickele ich ein gewisses Verständnis für Corinne Maiers Gegenstrategie. Sie empfiehlt den Arbeitenden verdeckte Subversion und rät den Beschäftigten, sich unauffällig und unter Aufsagen der vom Unternehmen propagierten Phrasen so weitgehend, wie es sich machen lässt, den geforderten Arbeitsleistungen samt ihrer ideologischen Verlockungen zu entziehen. Frau Maier allerdings musste sich nach Erscheinen ihres Buches „Die Entdeckung der Faulheit. Von der Kunst, bei der Arbeit möglichst wenig zu tun.“ vor dem Arbeitsgericht gegen die Kündigung durch ihren Arbeitgeber wehren. Man sollte also vorsichtig vorgehen!

 

Gerade erschienen: Hans-Jürgen Arlt/Rainer Zech: Arbeit und Muße. Ein Plädoyer für den Abschied vom Arbeitskult. Wiesbaden 2015: Springer.


 

Wieviel Ideologie steckt in der Vorstellung, dass jede zweckgerichtete Tätigkeit Arbeit sei?  Wie verändert sich die Arbeitswelt mit der Digitalisierung? Welche Rolle spielt das Individuum angesichts globalisierter Produktionsströme? Wie verändert sich die Kommunikation über Arbeit, und wie die Kommunikation, wenn sie zur Arbeit wird? Beiträge zu diesen und anderen Aspekten von Arbeit finden Sie in im Carta-Dossier: “Ausbeutung 4.0? Was heißt und zu welchem Ende leistet man Arbeit?”.


 

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