#Angela Merkel

Wir Abgehängten – Plädoyer für eine Managementwende

von , 9.4.15

Die Welt hat sich in den letzten fünfzig Jahren technologisch und gesellschaftlich so schnell verändert wie nie zuvor in der Geschichte der Menschheit. Dabei waren nicht die Mondlandung von Neil Armstrong, Buzz Aldrin und Michael Collins oder die Entwicklung des Überschallflugzeugs Concorde die prägenden Meilensteine dieser Entwicklung – obwohl sie als eben dies euphorisch gefeiert wurden. Epochal ist vielmehr, dass heute jedem Kind Informationen und Unterhaltung an jedem Ort der Welt zugänglich sind, dass Deutschland gerade versucht, die Welt und sich selbst mit der Energiewende von der Abkehr von Atom und Kohle zu überzeugen und dass wir fast alles, was auf diesem Planeten käuflich ist, wenige Tage oder Stunden später von abgehetzten, aber um Freundlichkeit bemühten Boten gebracht bekommen.

Es sind Unternehmen und Kunden, die die Welt mit ihrer ewigen Beziehungskiste prägen und bewegen. Allerdings schlägt sich diese Dynamik in dem, was wir heute in Deutschland unter „Unternehmensmanagement“ verstehen, nicht annähernd nieder. Die meisten theoretischen Ansätze stammen aus der, im Vergleich zu heute, gemütlichen Wirtschaftswunderzeit der 50er, 60er und 70er Jahre. „Management nach Zielen“, „Porters five Forces“ und „Prozessoptimierung“ haben ihre Gültigkeit zwar nicht verloren, basieren aber auf der Idee, dass exaktere Planung automatisch bessere Ergebnisse erzielt.

Die Unternehmenskultur der USA ist hier – wieder einmal und offensichtlich – weiter. Amerikanische Unternehmen stellen sich der Zukunft mit ganz anderen Methoden als sie uns der klassische Werkzeugkoffer aus Analyse, Zielsetzung und Strategieentwicklung zur Verfügung stellt. Deutsche Hersteller von Autos und Bohrmaschinen sind Weltmeister im Anbieten technischer Lösungen und der immer feineren Justierung ihrer internen Produktionsverfahren. Hiermit versuchen sie, sich auf ihren Märkten wahlweise als Qualitäts- oder Kostenführer zu behaupten. Apple, Google und Facebook gehen andere Wege: Sie kreieren neue Märkte, und das inzwischen in rasender Geschwindigkeit immer wieder.

Vor zehn Jahren wurde Facebook gerade erst an der Harvard University vom damals 20jährigen Mark Zuckerberg erfunden, Google war eine Suchmaschine unter vielen und Apple stellte Computer als Nischenprodukte her. Hätten sich diese Unternehmen darauf konzentriert, ihre Märkte zu verteidigen und ihre Prozesse zu verfeinern, gäbe es sie vermutlich nicht mehr.

Stattdessen handeln sie heute mit Musik, Smartphones und Nutzerdaten und bewegen sich dabei mit atemberaubender Geschwindigkeit innerhalb immer neuer Geschäftsmodelle. Musik wird mal verkauft, mal verschenkt, dann verliehen oder gestreamt. Der Kunde dankt es, indem er nicht nur bezahlt, sondern seine Daten zur Verfügung stellt, um Zugang zu immer neuen Lösungen und Erlebniswelten zu erhalten. Was in Deutschland unter Management verstanden und praktiziert wird, lässt weder diese Entwicklungsgeschwindigkeit zu, noch bietet es die Strahlkraft, die Energie und die Eleganz, die Unternehmen brauchen, damit ihre Produkte weltweit auf dynamischen Märkten auch in Zukunft als unentbehrlich wahrgenommen werden.

Die Welt hat sich in den letzten zehn Jahren revolutioniert und sie wird es in den kommenden fünf Jahren wieder tun. Die deutsche Industrie ist derzeit noch der Allradantrieb im Management: kraftvoll und effizient. Was wir aber brauchen, um den Anschluss an amerikanische und asiatische Wirtschaftssysteme nicht zu verpassen, sind Eleganz und Geschwindigkeit. Dabei geht’s nicht nur ums Digitale, sondern um das große Ganze. Wir brauchen in Deutschland und Europa nicht nur dickere Glasfaserkabel und vernünftige Regelungen zur Störerhaftung, die Herausforderungen sind viel grundsätzlicher: Wir brauchen eine Managementwende.

Die Managementwende wird, im Gegensatz zur Energiewende, von keinem Kanzler und von keiner Kanzlerin jemals ausgerufen werden. Die Frage, welche Managementkultur Entscheidungsträger in den ihnen überantworteten Organisationen, Projekten und Unternehmen pflegen, obliegt allein ihnen und ihren Kontrolleuren: Gesellschaftern, Aufsichtsräten, Aktionärsversammlungen und Betriebsräten. Dabei ist die Frage von äußerster Relevanz, denn sie entscheidet darüber, wo deutsche und europäische Unternehmen im globalen Vergleich in Zukunft stehen werden. Sie entscheidet darüber, welche Autos wir fahren, welche Lebensmittel wir essen und ob wir uns in unseren Kommunikationswelten auf Datenschutz und freien Datenverkehr verlassen können. Ob deutsche Unternehmen an der Welt von morgen mitarbeiten, ist fundamental wichtig für Fragen, die das Leben eines jeden Menschen auf diesem Planeten beeinflussen. Unter dem Stichwort Industrie 4.0 entstehen zurzeit nicht nur neue Produktionsabläufe, auch wenn auf diesem Aspekt gerade der Fokus der Beteiligten liegt. Hier entstehen zurzeit neue Arbeitszeitmodelle, hier stellen sich Fragen von Umweltschutz und Mitbestimmung völlig neu.

Als Angela Merkel vor gut einem Jahr das Internet als Neuland bezeichnete, traf sie die Häme der digitalen Community. Dabei war ihre Aussage je nach Sichtweise entweder saudumm oder prophetisch. Gesellschaftliche Veränderung beruht auf technischer Innovation. Da das Internet nun schon zwanzig Jahre auf dem Buckel hat, ist es für niemanden mehr Neuland. Aufbauend auf der neuen Technik entstehen Geschäftsmodelle. In diesem Prozess sind wir gerade mittendrin und würden gerne etwas mehr mitmischen, statt uns von der „Weltregierung“ (Spiegel Nr.10 vom 28. Februar 2015) aus Apple, Uber, Google, Yahoo und Facebook antreiben zu lassen. Als Resultat dieser Phase werden Beziehungen neu verhandelt. Es ist kein Zufall, dass Anbieter wie Uber sich mit Taxiverbänden ebenso vor Gericht treffen, wie Hotelbesitzer mit den Betreibern entsprechender Angebotsplattformen für Übernachtungen. Nationale Gesetze können nur schwer erfassen, was das Internet mit seinen weltweit aufgestellten Serverfarmen und global verteilten und vernetzten Arbeitskräften bewirkt.

Vor zweihundert Jahren haben neue Methoden der Landwirtschaft erst die Produktions- und dann die Lebensbedingungen der Menschen verändert. Vor einhundert Jahren war es das Auto, das uns nach und nach Mobilität, Arbeitsplätze, Verkehrskollaps und Klimaerwärmung bescherte. Heute krempelt das Internet alles, wirklich alles um. Das fein ausbalancierte Gebilde, das wir Gesellschaft nennen, gerät ins Wanken und je mehr wir daran festhalten, desto brüchiger scheint es zu werden. Gewerkschaften, Industrieverbände und Politik sind nicht mehr die mächtigen Blöcke, die unser Leben in Arbeitszeit- und Entgeltmodelle aufteilen, sie suchen selber nach ihrer Rolle von morgen.

Überlassen wir amerikanischen und asiatischen Unternehmen das Feld, wird nicht alles schlechter. Aber wir haben dann nicht mehr viel mitzubestimmen in der Beziehung zwischen Anbietern und Abnehmern, Verkäufern und Kunden, Unternehmen und Konsumenten.

Was tun?

Erstens: Ein Umfeld für Gründung unterstützen.

Deutschland ist zum Glück schon jetzt nicht ganz außen vor, wenn es um neue Entwicklungen geht, auch wenn wir neue Sichtweisen nicht als erstes bei etablierten Unternehmen finden werden. Die reagieren eher verunsichert: Unsere PKW- und Bohrmaschinenhersteller verkünden im Chor, dass Google ihr eigentlicher Konkurrent sei. Soweit die Analyse. Strategie? Fehlanzeige. Innovation ist nur schwer zu verordnen und kommt meist von unten. Es sind junge Gründer, die beispielsweise in Berlin-Brandenburg gemeinsam mit Hochschulen und einigen engagierten, privaten wie öffentlichen Institutionen einen sehr lebendigen Lebens- und Arbeitsraum gebildet haben. Man trifft sich an der Freien Universität bei „Business & Beer“, tauscht am Grill oder am (gesponserten und immer vollen) Getränkekühlschrank Erfahrungen aus und lauscht den Geschichten derer, die es geschafft haben.

Die Vorbilder sind Gründer wie Jan Reichelt, der gemeinsam mit Kommilitonen die Idee hatte, ihr Studium zu erleichtern. Sie haben Mendeley, eine Plattform zum Bearbeiten und Teilen von wissenschaftlichen Artikeln aufgebaut und nach fünf Jahren für 70 Millionen Euro verkauft. Ihnen lauschen aufmerksam Studentinnen und Studenten, die selbst Ideen haben, Gründerteams, die am Anfang ihres ungewissen Weges stehen. So ähnlich muss es zugegangen sein, wenn Alexander von Humboldt oder Charles Darwin nach einer erfolgreichen Expedition ihre Vorträge gehalten haben um anschließend wieder aufzubrechen zu neuen Ufern.

Der Traum liegt in diesen Veranstaltungen klar erkennbar vor den Studenten, und es ist nicht der sichere und gut dotierte Job in der deutschen Industrie. Gründung kostet Geld, und da Entwicklungsgeschwindigkeit hier ein entscheidender Faktor ist, geht es um viel Geld. Und das möchten die meisten am liebsten in Kalifornien finden, bei Google oder einem der tausend namenlosen, aber sehr erfolgreichen US-amerikanischen Unternehmen. Firmen, die schnell und beweglich agieren, die neue Märkte entwickeln indem sie Angebote machen, die Vielen unentbehrlich erscheinen. Der Traum zahlreicher gut ausgebildeter Gründerinnen und Gründer ist es, Deutschland zu verlassen. Sie versprechen sich Geld und Unterstützung, Entwicklungsmöglichkeiten und Risikobereitschaft, Spaß, und Schnelligkeit, eine ansprechende Unternehmenskultur eben.

Innovation entsteht unten, technische und wirtschaftliche Weiterentwicklung findet oben statt: Facebook kauft Instagram und Whatsapp, und macht was draus. Wer weniger Geld als gleich ein paar Milliarden ausgeben möchte, muss noch sensibler und aufmerksamer sein für Innovatoren, sie lange vor der Marktreife aufspüren und ihnen ein Angebot machen, das sie nicht ablehnen können. Innovation, Mut und Energie auf der einen Seite, Geld und Know How, im Sinne von Erfahrung, auf der anderen Seite müssen Hand in Hand gehen.

Zweitens: Märkte anders verstehen und neu schaffen.

Apple und Uber denken laut darüber nach, zukünftig Autos zu produzieren, Google-PKW fahren bereits von Geisterhand gesteuert als Prototypen durch Kalifornien. Sobald sie serienreif am Start sind, werden sie nicht als PKW angeboten werden, sondern als Teil eines unbeschwerten und smarten Lifestylepakets. „Blue Ocean“ nennt die Managementlehre eine Entwicklungsstrategie, die im Kern nur eine Frage stellt: Was können wir an unserem Produkt weglassen, obwohl es eigentlich „üblich“ ist? So entsteht nicht Minder-, sondern Mehrwert – und dadurch neue Märkte. Mehrwert durch weglassen? Das hatte sich auch Apple gedacht, als es das Telefon mit einer einzigen Taste präsentierte – und damit dem Markt der Smartphones schuf. Wir erinnern uns: Wer damals wichtig war, kommunizierte mit BlackBerry – einem sperrigen Gerät, das vor allem aus Tastatur bestand. Je mehr Tasten, desto besser – bis Apple das Telefon neu erfand. Der Lohn: auf diesem Markt war Apple ein paar Jahre mit seinen Kunden allein und konnte sich einrichten.
Die meisten Innovationen sind gar nicht technischer Natur, sondern Geschäftsmodellinnovationen. Stellen wir uns vor, an einem belebten Platz in der Innenstadt gibt es bereits fünf Cafés, die offensichtlich bestens laufen. Wir planen die Eröffnung eines sechsten Cafés, denn wir sagen uns: „Bei gleicher Lage, gleicher Größe und vergleichbarem Angebot ist der Erfolg berechenbar.“ Gehen wir einmal davon aus, dass die angestammten Betreiber so freundlich sind, uns Einblick in deren Buchhaltung zu gewähren – jetzt ist der Erfolg doch eigentlich vorprogrammiert, oder?

Sicher ist zunächst nur, dass wir als Neuling Innovationstreiber sind und sein müssen. Wir betreten als Gründer immer Neuland. Allein die Tatsache, dass unser Café neu ist, ergibt fundamentale Unterschiede hinsichtlich des Bekanntheitsgrades (schlecht!), des Images (nicht vorhanden!) und des Teams (völlig unerfahren!). Schlechte Karten? Nein! Wir haben unseren Konkurrenten gegenüber unschätzbare Vorteile! Wir sind beweglich, unser Konzept ist noch nicht eingefahren, der Teamspirit ist noch durch den Slogan „Auf zu neuen Ufern“ geprägt!

Als neuer Cafébetreiber können wir unseren Gästen jetzt eine völlig neue Erlebniswelt entwerfen, indem wir uns in eines der etablierten Häuser setzen und uns fünf Leitfragen stellen:

  • Was gefällt mir? (Das mache ich auch)
  • Auf was könnte ich verzichten, obwohl es als „üblich“ gilt? (Das lasse ich weg)
  • Wovon wünsche ich mir etwas mehr? (Das betone ich)
  • Wovon wünsche ich mir etwas weniger? (Das minimiere ich)
  • Was fehlt, weil es „üblicherweise“ in Cafés nie Teil des Angebots ist? (Das erfinde ich)

Wir ahnen, dass es Google oder Amazon sein werden, die uns mit neu gedachten Angeboten überraschen werden, wahrscheinlich nicht DHL oder Volkswagen. Die deutsche Wirtschaft quer durch alle Branchen sitzt satt in ihren gut laufenden, etablierten Cafés und entwickelt keinen Blick für neue Angebote. Es reicht aber nicht aus, den Vorsprung zu verteidigen, wir müssen uns öffnen für all die neuen Gründer, auch wenn sie uns suspekt erscheinen, mit ihren Ideen, Visionen und Phantasien. Sind sie erst marktreif, ist es häufig zu spät, sie benötigen die Aufmerksamkeit, Geld, Know How und die Netzwerke etablierter Unternehmen zu einem früheren Zeitpunkt. Nicht aus dem Motiv der Großzügigkeit gegenüber den Kleinen, sondern damit beide Seiten voneinander lernen und profitieren.

Drittens: Einfach mal die Richtung ändern.

Wenn wir an amerikanische Unternehmen denken, die den Markt der Kommunikation global dominieren, dabei die Konkurrenz zurücklassen, während sie ganze Rechts- und Gesellschaftssysteme vor sich hertreiben, haben wir das Bild eines Wettlaufs vor Augen. Kurz vorm Ziel die Großen, wir rennen hinterher. Entwicklung ist aber kein 100 Meter Lauf, sie ist eher wie ein Tintentropfen, den wir in ein Glas Wasser fallen lassen. Er verändert sich schnell, nicht berechenbar und vor allem in ganz unterschiedliche Richtungen. Solange wir auf Google und Uber starren und versuchen, den Vorsprung abzuschätzen, den wir einholen müssen, kommen wir nicht wirklich voran, denn wir akzeptieren dadurch unausgesprochen Richtung und Regeln des Wettkampfs. Dabei können wir jederzeit einen Richtungswechsel selbst herbeiführen, indem wir Kriterien als wichtig einstufen, die zurzeit wenig Beachtung finden.

Mit dem Thema Datenschutz zum Beispiel haben Google und Facebook erhebliche Glaubwürdigkeitsprobleme. Dass Geschäftsmodelle, die auf neuen Kriterien basieren, schnell erfolgreich sein können, hat das soziale Netzwerk Ello gerade gezeigt. Eine übersichtliche Nutzeroberfläche, einfache Funktionen, das Nutzerrecht, Klarnamen durch Phantasienamen zu ersetzen und ein weitreichender Datenschutz haben den Machern von Ello schnell eine Million Mitglieder beschert. Ob Ello es schafft, Facebook dauerhaft zu gefährden, ist offen, aber die Strategie, dem Wettrennen einfach mal eine andere Richtung zu geben, war richtig.

Viertens: Eine Balance aus Prozessoptimierung und Entwicklung herstellen.

Um die Jahrtausendwende entwickelte der wenig bekannte Managementguru Dave Snowden für IBM ein Framework, das unterschiedliche Situationen in Unternehmen voneinander abgrenzt. Sehr vereinfacht beschrieben gibt es einerseits einfache Situationen, die durch permanente Prozessoptimierung eine perfekte Steuerung von Qualität und Kosten zulassen. Hier ist Deutschland Weltmeister, deshalb exportieren wir die meisten Autos und die besten Laubsauger. Auf der anderen Seite müssen sich Unternehmen zutrauen, das kreative Chaos für Entwicklungen zu nutzen. Kreativität braucht Raum und Zeit, Zielorientierung ist hier eher hinderlich, denn Entwicklung ist nicht berechenbar. Wenn der Raum der Entwicklung zu klar strukturiert ist, wenn auch hier schon die Prozessoptimierung dominiert, dann dürfen wir hier keine Überraschungen erwarten.

US-amerikanische Unternehmen scheinen die Balance aus Prozessoptimierung einerseits und dynamischer Entwicklung andererseits zurzeit einfach besser hinzubekommen. Das kreative Chaos herrscht in Deutschland, wie schon an anderer Stelle erwähnt, bei Gründern. Auch hier wäre ein Austausch gut, etablierte Unternehmen und Startups können voneinander lernen: die einen vom Mut, in den Tag hinein nach immer neuen Lösungen für immer neue Probleme zu suchen. Die anderen von der Fähigkeit, Prozesse zu strukturieren und Routinen aufzubauen und täglich zu verbessern.

Fünftens: Die 360° Perspektive einnehmen.

Der Kopf ist ja bekanntlich rund, damit das Denken die Richtung ändern kann. Auch Innovation verläuft nicht linear, und deshalb lässt sich nicht vorhersagen, wo sie beginnt, wie sie verläuft und wo sie endet. Statt sich eindimensional auf Produktinnovation zu fixieren ist es für Unternehmen wichtig, Veränderung auf allen Ebenen zuzulassen und zu fördern: Unternehmenskultur, Kundenbeziehungen und Management sind Handlungsfelder, die mindestens ebenso nach Innovation fragen, wie unsere Angebotspalette.

Ein schönes Beispiel ist ein Feld, in dem deutsche Unternehmen eigentlich gut dastehen: das Eintreten für gesellschaftliche Fragen. Dass etablierte Firmen Verantwortung für die gesellschaftlichen und ökologischen Folgen ihres Geschäftsmodells übernehmen, ist nicht neu. Aber selbst hier sind Werkzeuge häufig starr und einfallslos: Nachhaltigkeitsmanagement und CSR-Berichterstattung nach Indikatoren, Standards und Richtlinien, die kaum ein Experte, geschweige denn der Kunde versteht, die dafür aber internationalen Normen entsprechen. Diese Nachhaltigkeitsberichte liest kein Mensch, hier wird Verantwortung zwischen zwei Deckeln Recyclingpappe eingeheftet und abgelegt. Damit vergeben wir eine riesige Chance, Kunden, Partner und die Öffentlichkeit interessiert nämlich, was für sie herausspringt, wenn Unternehmen Geschäfte machen. Aber die Kommunikation ist nicht einfallsreich, nicht elegant und durch nichts inspiriert.

Dabei warten innovative Köpfe, Ideen und Geschäftsmodelle geradezu darauf, von den Großen entdeckt zu werden. Social Entrepreneurs sind hyperaktiv und gut vernetzt, Betterplace, The Changer und Ashoka bilden nur einen kleinen Teil der riesigen Gemeinde von Akteuren ab, deren Ideen manchmal naiv, manchmal visionär und häufig voller Energie vorangebracht werden. Gesellschaftliches Engagement wird hier nicht in klassischen Vereinsstrukturen oder in Bürgerinitiativen angepackt, sondern mit den Mitteln des Unternehmertums. Ein ideales Recruitingreservoir für die Personalmanager und Trendscouts der klassischen Wirtschaft eigentlich, doch findet die Vernetzung etablierter Firmen mit den jungen und sozialen Wilden noch zu wenig statt.

Zusammengefasst hat jetzt eigentlich jeder seine Hausaufgaben, er muss sie nur erledigen. Politik, Gewerkschaften und Verbände müssen Räume schaffen, in denen sich junge Wilde mit Etablierten treffen und zum gegenseitigen Vorteil austauschen. Große Unternehmen sollten ihre Hemmungen ablegen, sich mit neuen Akteuren abzugeben. Es gibt genügend Wettbewerbe und andere Veranstaltungen, auf denen man sich treffen und beschnuppern kann. Das kann ein wichtiger Baustein in der Renovierung der Managementkultur des eigenen Unternehmens werden. Veränderung beginnt bekanntlich im Kopf, wir können also jederzeit damit anfangen.

 

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