#Journalistische Qualität

Wissenschaft, Journalismus, Internet: Das große Desinteresse der Forscher

von , 5.4.09

“Die unabhängige Wissenschaftsberichterstattung ist vom Aussterben bedroht.” – Das sagt Wall Street Journal-Wissenschaftsjournalist Robert Lee Hotz und ist zugleich das Ergebnis einer Studie, die das britische Wissenschaftsmagazin Nature in seiner jüngsten Ausgabe veröffentlicht hat [via Medienlese].

In Deutschland sei der Negativtrend noch nicht angekommen, zitiert das renommierte Wissenschaftsmagazin Holger Wormer, Kommunikationswissenschaftler an der Universität in Dortmund, der sich auf die klassischen Wissenschaftsseiten von überregionalen Zeitungen wie der FAZ bezieht und betont, sie hätten Vorbildfunktion auch für die regionale Presse (mehr dazu hier).

Falsch! Wissenschaftsjournalismus war in Deutschland immer schon eine Bleiwüste aus Kongressberichterstattung und Verlautbarungen. Und die beschworenen Regional- und Lokalzeitungen benutzen die bunte Welt der Forschung vor allem, um damit durch Anzeigen verschuldete Restflächen auf dem Papier zu füllen. So ist es auch kein Wunder, dass die spannendsten Debatten über die gesellschaftlichen Auswirkungen von Wissenschaft in den Feuilletons geführt werden – in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung genauso wie etwa in der Süddeutschen, die übrigens gerade diskutiert, ob sie sich ihr ambitioniertes WISSEN-Magazin weiter leisten will oder nicht.

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Kein Wunder, dass die spannendsten Debatten über die gesellschaftlichen Auswirkungen von Wissenschaft in den Feuilletons geführt werden

Die wichtigen Fragen sind nicht, wer wann was und auf welchem Kongress gesagt hat. Wichtig wäre zu beschreiben, wie Forschung und Technik sich auf unsere Welt auswirkt, was sie an unserem Alltag ändert, wer die Menschen sind, die den Wandel herbeiführen und was für Ziele sie antreiben. Wer gibt das Geld dafür? Mit welchen Motiven? Wer kontrolliert? Wer blickt überhaupt durch?

Viele dieser Fragen lassen sich nicht in 1:30 im Fernsehen beantworten oder als Zweispalter zusammenfassen. Der Qualitätsjournalismus, der mehr ermöglicht als Agenturmeldungen zusammenzufassen, ist jedoch in der Tat rasant im Schwinden begriffen – vor allem mit dem Untergang vieler Wochen-Medien stirbt eine Debattenkultur, die gerade dort wichtig ist, wo es keine einfachen Antworten, sondern Einstellungen, Meinungen und Haltungen gibt, die im Fluss sind – und bleiben müssen.

Diejenigen also, die – wie in Nature zitiert – kritisieren, dass die Online-Welt den Dingen nicht wirklich auf den Grund gehe, sollten realistischer zurückblicken (siehe auch hier). Gute Science Writer sind sich dessen schon längst bewusst und sammeln immer mehr Anhänger in ihren Blogs (z.B. Chris Mooney bei Discover oder Michael Pollan bei der New York Times). Plattformen wie Scienceblogs sind wahre Fundgruben für Interessierte und Engagierte, auch wenn deutsche Wissenschaftler sich noch schwer tun, die Öffentlichkeit auch nur ernst zu nehmen.

Das nämlich ist hierzulande eines der Hauptübel – das Desinteresse vieler Wissenschaftler, über ihren Tellerrand hinauszusehen und gesellschaftliche Verantwortung zu übernehmen. Es geht nicht nur darum, „hochwissenschaftliche Themen mit kritischer Distanz“ zu sehen, wie Caroline Neumann auf Medienlese schreibt. Als Wissenschaft vermittelnde Journalisten müssen wir konkrete Bezüge zu den Menschen herstellen, ob in Print, TV oder Netz.

Das Internet erweist sich dabei zunehmend als überlegenes Medium der Wissen(schaft)svermittlung. Der Wissenschaftsjournalismus muss mit bloggenden Wissenschaftlern um Deutungshoheit und Vermittlungskompetenz ringen. Nach einer Phase der Verwirrung sollte ihn dies bestärken, sich neu zu erfinden. Hingegen herrscht gerade auch bei der deutschen Wissenschaft erheblicher Nachholbedarf in Sachen Online-Dialog.

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