#Besitzstandswahrung

Jeder Satz ein Seufzer

von , 16.8.14

Die Frankfurter Allgemeine Zeitung hat in dieser Woche einen alten Text wiedergefunden, mit ein paar aktuellen Beispielen versehen und als Debattenbeitrag zum Medienwandel veröffentlicht. Das war jedenfalls mein Eindruck beim Lesen. Cordt Schnibben vom Spiegel wies bei Facebook darauf hin, dass ungefähr das Gleiche vor einem Jahr im Spiegel stand. Und wenn man seinen Text googelt, stößt man direkt auf die Replik von Thomas Knüwer, der schon damals fand, dass auch Schnibbens Text nicht so richtig viel Überraschendes zu bieten hatte.

Das Thema ist auch wirklich undankbar. Egal, was man über die Zeitungskrise liest, überall schreiben sie, dass eigentlich keiner so richtig weiter weiß. Die drei Autoren der FAZ-Geschichte, Patrick Bernau, Rainer Hank und Winand von Petersdorff, sehen zwei mögliche Szenarien: ein gutes und ein schlechtes, wobei aus ihrer Sicht eigentlich beide schlecht sind.

Wenn es gut läuft, gibt es nach der Krise zwar noch eine Handvoll Verlage, aber die Zeitung wird von jungen, billigen Redakteuren gemacht, und damit das Geschäft überhaupt möglich bleibt, müssen die Verlage auf die Printzeitung weitestgehend verzichten.

Die andere Utopie beschreiben sie so:
 

„Es wird böse enden. Die Finanzierungsbasis der klassischen Zeitung erodiert. Ein großes Zeitungssterben setzt ein.“

 
Kurzfristig wäre das natürlich ziemlich dramatisch. Viele Menschen würden ihren Job verlieren. Aber vielleicht wäre es in der Diskussion gar nicht so schlecht, wenn man sich von der kurzfristigen Perspektive einmal lösen würde. Denn es besteht ja zumindest die Möglichkeit, dass nur Zeitungsleute diese Variante schlecht finden, sie aber für alle anderen ganz günstig ist.

Man hat jedenfalls lange niemanden mehr gehört, der darüber klagt, dass die Kerzenindustrie den Bach runtergegangen ist, seit es die Glühbirne gibt. Und wahrscheinlich liegt das auch daran, dass mit der Glühbirne einiges besser geworden ist.

Es gibt viele Beispiele für journalistische Angebote, die im Netz funktionieren. Aber wenn Zeitungsredakteure über die Zeitungskrise schreiben, werden die nur selten erwähnt. Thomas Knüwer hat hier mal einige zusammengestellt. Auf Karsten Lohmeyers Seite lousypennies.de sind auch eine Menge zu finden.

In der Diskussion um die Zeitungskrise geht es immer nur darum, wie man die gegenwärtige Ordnung möglichst ohne große Verluste in die Zukunft retten könnte. Aber wahrscheinlich wird es einfach nicht so sein, dass irgendwann ein Boot anlegt und alle, die nicht untergehen wollen, einsteigen können.

Wenn man vor all dem, was kommen könnte und vielleicht etwas anders aussieht, schon von vornherein Vorbehalte und Angst hat, wird es wahrscheinlich tatsächlich übel enden. Jedenfalls für die Journalisten. Für die anderen vielleicht nicht.

Die gegenwärtige Situation hat nämlich auch große Nachteile. Vor allem für die Leser. Wirklichen Wettbewerb gibt es auf den regionalen Zeitungsmärkten so gut wie nicht. Oligopole sind die Regel. Und als Zeitungsleser kann man schon froh sein, wenn man es mit einem Oligopol zu tun hat. Die Tendenz geht nämlich eher zum Monopol. Und das ist für Zeitungsleser und Redakteure gleichermaßen eine Katastrophe.

Vielleicht wäre es also gar nicht so schlecht, wenn sich an dieser Marktsituation hier und da etwas ändern würde. Ich wünsche keinem Verlag dem Tod. Ganz im Gegenteil. Ich arbeite selbst für Verlage und hoffe, dass sie es schaffen, ihren Arsch irgendwie zu retten. Aber ich würde mir wünschen, dass sich die Zuversicht verbreitet, dass es nach Ende der Krise eher besser als schlechter werden wird – jedenfalls für alle, die nicht hauptberuflich Besitzstandswahrer bleiben wollen.

Wenn eine Zeitung verschwindet, entsteht eine Marktlücke, und die wird sich wieder schließen. Passiert das nicht, war es vermutlich keine Marktlücke. Aber selbst dieser Fall wäre nicht das Ende.

Kann ja sein, dass es in einigen Gegenden wirklich keinen Markt mehr für eine Zeitung gibt. Und wenn es dort tatsächlich nicht gelingt, die Menschen in allen Winkeln des Landes von privatwirtschaftlichen Firmen mit Nachrichten versorgen zu lassen, müsste man vielleicht tatsächlich über Subventionen nachdenken. Ob das dann gut ist, wäre eine andere Frage. Aber dass das nicht so abwegig ist, sieht man ja an der Diskussion um den Mindestlohn für die Zeitungsboten.

Und dann gibt es ja auch noch die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, die eine größere Bedeutung bekommen könnten. Die FAZ-Autoren haben sicherheitshalber schon mal einen Teufel an die Wand gemalt. Von der Politik kontrolliert. Zwangsabgaben. Das will natürlich niemand. Aber wo müssten die Öffentlich-Rechtlichen denn Lücken füllen? Möglicherweise hier und da im Lokalen.

Und wäre das tatsächlich so grauenvoll, wenn deren Bedeutung im Lokalen wachsen würde? In einigen Regionen sind das die einzigen lokalen Medien, die einigermaßen kritisch berichten. Natürlich können diese Sender nicht den Umfang an Nachrichten bieten, den eine Zeitung hat. Aber andererseits: Wie viel von dem, was in den Lokalzeitungen steht, ist denn wirklich nötig? Und was davon müssen Journalisten machen?

Man kann ja versuchsweise mal die eigene Zeitung durchblättern und sich die Frage stellen, auf was man wirklich nicht verzichten möchte. Die Pressemitteilungen von Stadt und Polizei, die Nachrichten der Vereine, die Termine – um das zu veröffentlichen, braucht man keine Journalisten. Wirklich wichtig ist nur ein kleiner Teil. Und um den herzustellen, bräuchte man einen Computer und ein paar Leute. Tatsächlich aber sind riesengroße Organisationen damit beschäftigt, Nachrichten und PR-Texte auf Papier zu drucken und in der Stadt zu verteilen.

Dass sich das ökonomisch nicht mehr lohnen kann, ist kein großes Wunder. Da helfen wahrscheinlich auch kein Leistungsschutzrecht und keine Ausnahme vom Mindestlohn. Da muss man als Kunde hoffen, dass das Unternehmen auf die richtige Größe schrumpft, um sich zu retten – oder neue Verlage gegründet werden, die besser organisiert sind und ihre Kosten wieder reinholen.
Die drei FAZ-Autoren wünschen sich das natürlich nicht. Sie schreiben:
 

„Wer in dieser guten alten Zeit der selbstbewussten Zeitungskultur aufgewachsen ist und später selbst Journalist wurde (…), dem geht die derzeitige Krise der Zeitungen nahe.“

 
Und so klingt leider auch ihr Text. Jeder Satz ist ein Seufzer. Sie sprechen immer noch von Bloggern und Journalisten oder von der aus ihrer Sicht fürchterlichen Entwicklung, dass auch Unternehmen inzwischen Magazine herausgeben, in denen Texte stehen, die leider nie kritisch sind. Und während ich versuche, mich an kritische Artikel über das Leistungsschutzrecht in der FAZ zu erinnern, lese ich diesen Absatz:
 

“Das Internet vermiest den Zeitungen nicht nur das Anzeigengeschäft, es untergräbt auch ihre Autorität. Wir Journalisten haben das Monopol als Experten für Nachrichten und Kommentare ein für alle Mal verloren. Für die Leser ist die neue, vielfältige Welt großartig. Die Journalisten allerdings sind entmachtet. Ihre Hoffnung bleibt, dass sie doch noch gebraucht werden.“

 
Ja, jemand, der aus dem Gefängnis ausbricht, hat seine Zelle verloren. Das stimmt. Aber statt das zu beklagen, könnte man doch auch die andere Seite sehen.

Noch nie kamen Journalisten so leicht an Informationen. Sie können innerhalb von Minuten Menschen auf der ganzen Welt finden, die sich besser auskennen als sie selbst. Wenn sie Fehler machen, können sie die sehr schnell korrigieren, nicht erst in der nächsten Ausgabe. Und Journalisten machen, anders, als man früher dachte, durchaus Fehler. Jetzt wird die Welt auch nicht gerade unkomplizierter. Aber auch das ist eine gute Nachricht, denn aus diesem Grund muss sich kein Journalist Sorgen machen, in Zukunft nicht mehr gebraucht zu werden.

Wenn man sich das alles so anschaut, kann man eigentlich nur zu einem Schluss kommen. Alle Journalisten, die mehr wollen, als nur ihre Privilegien zu retten, können sich über diese Entwicklung nur freuen. Allen anderen wünsche ich viel Glück!
 
Crosspost von Operation Harakiri
 

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