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Humanitäre Hilfe oder “Putins Trucker-Show”?

von , 14.8.14

Im Krieg um die Ost-Ukraine gab es seit Monaten einen Vorwurf seitens der Regierung in Kiew und des Westens, die lange Grenze zwischen Russland und der Ukraine sei praktisch nicht zu kontrollieren. Über diese Grenze erhielten die Separatisten im Bürgerkrieg Nachschub für ihren Konflikt mit der Zentralregierung. Das ist durchaus plausibel. Ohne die Unterstützung aus Russland hätten die Separatisten kaum so lange durchhalten können.

Wie aber mittlerweile der Westen seiner eigenen Propaganda zum Opfer fällt, lässt sich an der Posse um die Hilfslieferungen aus Russland für die Zivilbevölkerung in Lugansk und Donezk erkennen. Es könnte sich bei “Putins Trucker-Show” um ein trojanisches Pferd handeln, so der Vorwurf. Russland wolle statt humanitärer Hilfe militärischen Nachschub an die Separatisten schicken. Oder dieser Konvoi solle sogar eine militärische Intervention Russlands in der Ost-Ukraine vorbereiten.

In Wirklichkeit hat der Westen ein Problem mit seiner eigenen Wahrnehmung. Er ist so in der Logik des geopolitischen Konflikts mit Moskau um die Kontrolle der Ukraine gefangen, dass er die Wirklichkeit ausblenden muss, um noch handlungsfähig zu bleiben.

Moskau könnte noch heute den Einmarsch in die Ost-Ukraine befehlen. Die vom Westen unterstützte ukrainische Armee wäre kein ernsthafter Gegner. Sie hat bekanntlich schon Schwierigkeiten, die Separatisten zu besiegen. Glaubt jemand ernsthaft, Russland brauchte dafür das genannte trojanische Pferd unter der Maskerade humanitärer Hilfslieferungen?

Die Ost-Ukraine ist für Russland offen wie ein Scheunentor. Da braucht niemand die List des Odysseus. Die territoriale Integrität der Ukraine hängt alleine vom Willen des Kreml ab, wenn der Westen nicht bereit sein sollte, mit Russland einen Krieg zu beginnen. Das war zwar seit Beginn der Krise klar, ist aber im Westen in Vergessenheit geraten. Der hat spätestens nach dem Abschuss von MH17 die Realpolitik an der Garderobe abgegeben, um stattdessen alle möglichen Bedrohungsphantasien durch eine wiederauferstehende Sowjetunion zu entwickeln.

Das Baltikum, so die These der westlichen Propagandisten, werde jetzt in Lugansk und Donezk verteidigt. Nur, dass die Ukraine nicht zur NATO gehört. Insofern Kiew auch keinen Anspruch auf die Solidarität jenes Bündnisses hat, dem es aus guten Gründen nicht angehört.

Der Westen nimmt aber diese Differenz nicht mehr zur Kenntnis, sondern betrachtet die Ukraine nur noch als den Ort eines geopolitischen Kampfes mit Russland um Einflußsphären. Er macht sich damit von der Regierung in Kiew abhängig. Diese sieht jetzt keinen Grund mehr, den Konflikt in der Ost-Ukraine als die vielbeschworene “innere Angelegenheit” zu betrachten, sondern lediglich als Ergebnis einer Intervention Russlands.

Das ist offenkundig falsch. Der Konflikt um die Ost-Ukraine war von Beginn an ein Bürgerkrieg mit Beteiligung auswärtiger Mächte. Die Regierung in Kiew hat seit dem Umsturz auf dem Maidan keine Idee, wie sie die desaströsen ökonomischen und sozialen Probleme des Landes lösen soll. Ihre einzige Hoffnung bestand daher in der Orientierung an den reichen Onkeln aus dem Westen. Was hat sie auch ansonsten der Bevölkerung anzubieten, außer sinkende Einkommen, steigende Energiepreise und explodierende Arbeitslosigkeit?

Die Fortsetzung des geopolitischen Großkonflikts mit der Frage der Mitgliedschaft in EU und NATO liegt daher im Interesse Kiews. Ein Ausgleich mit den Interessen Russlands oder der skeptischen Minderheit in der Ost-Ukraine ist dabei nur hinderlich. Das störte nämlich die schöne Utopie, der Westen könnte für Kiew die ukrainischen Probleme lösen.

So steht die Wirklichkeit der eigenen Propaganda schon einmal im Weg. Die fixe Idee, in der Ost-Ukraine sei ohne die Russen alles in bester Ordnung, bekommt Risse. Oder wie ist es eigentlich zu erklären, dass 700.000 Menschen nach Russland geflohen sind? Im Westen sieht man darin das Ergebnis der Agitation russischer Medien. Jede andere Sichtweise nur noch als Propaganda zu deklarieren, wird selbst zur Propaganda.

Diese Posse um die russische Hilfe für Lugansk und Donezk ist ein gutes Beispiel dafür. Selbstredend hat der Kreml ein politisches Interesse an dieser humanitären Aktion. Er will in der Ost-Ukraine die Zentralregierung in Kiew bloßstellen. Bekanntlich versucht sie gerade, beide Städte mit dem Einsatz militärischer Gewalt zurückzuerobern. Die Erwartung, dort als Befreier begrüßt zu werden, ist nicht gut begründet, auch wenn viele Menschen die Separatisten und den Krieg leid sind.

Die These vom trojanischen Pferd ist nichts anderes als der hilflose Versuch, dieses Legitimationsproblem der Zentralregierung propagandistisch zu ignorieren. Russland erzielt einen Propagandaerfolg, so die bei uns zu lesende These, etwa bei SpOn, SZ oder FAZ.

Wohl wahr: Während die Armee der Ukraine Donezk und Lugansk mit Artillerie beschießt, schickt der Kreml Lebensmittel, Medikamente und Notfall-Generatoren. Das wird der Zentralregierung in Kiew sicherlich nicht positiv angerechnet werden, selbst wenn sie am Ende die Separatisten besiegt haben wird. Dann wird aber deutlich werden, dass der Konflikt in der Ost-Ukraine vor allem ein Bürgerkrieg gewesen ist – und kein geopolitischer Großkonflikt zwischen Russland und dem Westen.

Weder Russland, noch der Westen werden die Probleme der Ukraine lösen können. Auch wenn die Regierung in Kiew und die Separatisten in der Ost-Ukraine das bis heute glauben – und die Propagandisten aller Seiten diese Legende gerne erzählen, aus welchen Gründen auch immer.

Je eher das alle Seiten begreifen, umso besser vor allem für die geschundene Bevölkerung in der Ost-Ukraine. Wer was als Propagandaerfolg deklariert, kann ihr allerdings mittlerweile gleichgültig sein.

 

Updates

13. August, 14:04 Uhr

  • In der Wirtschaftswoche gibt es eine Zusammenfassung mit Mythen über den Ukraine-Konflikt. Es ist eine Auseinandersetzung mit Propaganda. Was fehlt? Die Analyse.
  • Dieser Artikel von Gabor Steingart ist immer noch aktuell.
  • Über die ökonomischen Folgen der Sanktionen berichtet morgen auch die Zeit. Man kann sie ja politisch unterschiedlich beurteilen, aber deren Wirkungen werden andere sein, als vom Westen erwartet. Er wird von der zunehmenden Desintegration in den Weltmarkt sicher nicht profitieren.
  • Jetzt erst gesehen: Auch in der Wirtschaftswoche hält man jetzt die These vom trojanischen Pferd nicht mehr für so überzeugend. Na sowas.
  • Ansonsten noch die Meinung des Chef-Dilettanten in Kiew.

17:34 Uhr

  • Anderer Ort, nämlich Israel und Gaza, aber das gleiche Thema: Umgang mit dem Krieg, von Stefan Schulz bei den Sozialtheoristen.

Crosspost von Wiesaussieht

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