#Egoismus

Das Problem mit den großen Egos im Internet

von , 7.8.14

Das Internet ist eine tolle Erfindung. Hauptsächlich, weil jeder Mensch sehr einfach mitmachen kann. Man bekommt inzwischen so viel mehr mit von der Welt und von anderen Menschen. Man partizipiert, tauscht sich aus, und man profitiert von Erfahrungen anderer. Man befindet sich quasi in einer Dauerkommunikation, an der man jederzeit teilnehmen kann.

Natürlich bedeutet das, dass man neue Skills erlernen muss: Das Unwichtige ausblenden, das Relevante erkennen. Sich selbst so gut kennen, dass man weiß, wann man mal eine Pause braucht oder etwas weniger Dauerkontakt. Das lernen wir Menschen aber auch. Der eine schneller, der andere langsamer. Und gerne auch auf verschiedene Weise.

Der wichtigste Aspekt, den wir lernen müssen ist, dass am anderen Ende der Kommunikation ein anderer Mensch sitzt. Der anders denkt, anders fühlt, anders reagiert als man selbst, oder auch anders, als man es erwartet. Wir müssen daher auch lernen, nachzufragen, zu verhandeln oder auch, einfach mal Dinge stehenzulassen, die andere äußern.

Das sind Skills, die zu erlernen es länger braucht. Das ist offensichtlich, wenn man sich den Ton und die Menge der Hass-Kommentare auf Medienseiten anschaut oder wenn auf Twitter mal wieder ein #gate ausgerufen wird. Das ist auch nicht wirklich was Neues, in den Neunzigern ging es im Usenet auch schon gut ab, und wenn man sich mal an Zeiten erinnert, in denen man in Foren unterwegs war, wird man sich ebenfalls sofort die eine oder andere Eskalation ins Gedächtnis rufen können.

Das Problem auf Nachrichtenseiten wird man als normaler Leser nicht lösen können – das ist schlicht ein Moderationsfehler der Medien, die so was zulassen. Man selbst kann einfach aufhören, den Quatsch zu lesen. Unter 100 Müllkommentaren den einen guten zu finden, ist die Mühe auch gar nicht wert. Die Hater sind dann eben unter sich und dürfen sich kloppen, niemand Drittes wird verletzt, alles ist gut.

Die regelmäßigen Eskalationen in sozialen Medien machen mir dagegen durchaus etwas aus. Vor allem, wenn sich Leute über Themen in die Haare kriegen, die sie im normalen Gespräch miteinander ohne große Probleme ausdiskutiert hätten. Das Problem ist aber, dass das Internet – so wie es momentan funktioniert – dem ungezügelten Amoklauf großer Egos in die Hände spielt. Eskalation ist im Internet so leicht und die Belohnungen dafür sind so groß, dass man manchmal das verführende Flüstern im Ohr direkt hören kann.
 

Historic tale construction kit

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Gäbe es diese leichte, schnelle Möglichkeit, zuzuschlagen, nicht, würde man gezwungenermaßen eine gewisse Zeit brauchen, um zu reagieren. Man würde vielleicht erst mal mit jemand anderem drüber reden oder schlicht nach ein paar Stunden schon denken, “ach komm. Es gibt Wichtigeres.”

Faulheit ist eine wunderbare, deeskalierende Eigenschaft.

Aber es ist anders: Man kann sofort zuschlagen und bekommt auch sofort Applaus. Einem Ego kann nichts Besseres passieren. Es übernimmt so schnell die gesamte Veranstaltung, dass man sich oft genug einige Zeit später verwundert den Kopf kratzt, was einen da eigentlich geritten hat. Vor allem, wenn man sieht, was alles passiert ist, wenn sich der Rauch legt.

Sehr wahrscheinlich fühlt sich keiner der Kontrahenten am Ende wirklich wohl. Wenn einer dann auch noch so richtig “gewonnen” hat, es dem anderen also “ordentlich gezeigt” hat,  ist sein Lohn ja nicht ewiger Ruhm und Ehre, sondern die Erniedrigung des Gegners bis dahin, dass der andere seinen Account löschen muss, Hatemails bekommt, und dass sich auf der eigenen Seite plötzlich vermeintliche Verbündete finden, mit denen man eigentlich gar nichts zu tun haben will.

(Jemand fühlt sich zum Beispiel hoffentlich nicht wohl dabei, von frauenfeindlichen Idioten dafür gefeiert zu werden, über einen eher albernen Streit eine ihnen verhasste Frau zur Aufgabe ihres Twitteraccounts gebracht zu haben. Herzlichen Glückwunsch?)

Was das Internet eigentlich auch leicht macht ist, aufeinander zuzugehen. Die technische Hürde ist dafür genauso niedrig, wie dafür, sich die Hate-Tweets um die Ohren zu hauen. Aber es passiert nicht so häufig. Das Problem ist also weniger die Technik, sondern das, was einem im Weg steht: Das verletzte Ego möchte das nicht.

Es argumentiert damit, dass man im Recht sei und es durchsetzen müsse. Dass der andere böse, hinterhältig, unfair oder sonstwie moralisch niederträchtig sei und es somit verdiene, wenn man ein Exempel statuiert. Es sagt, wenn du dich nicht wehrst, bist du schwach, ein Opfer. Und du wirst deinen Standpunkt verlieren, der dir wichtig ist. Dass das so nicht stimmen kann, ist bei klarem Kopf eigentlich logisch, denn beide denken ja dasselbe.

Letztendlich geht es uns darum, eine Rechtfertigung zum Zuschlagen zu haben, die groß genug ist, um die Hemmschwelle zu überwinden, es nicht zu tun. Das Ego möchte rücksichtslos sein und kein Verständnis für den Gegner zulassen. Das Gefühl, das es erzeugen will, ist Wut. Die Reaktion, die es erzeugen will, ist Angriff.

 

Wie kann ich Ego-Clashes vermeiden?

Ich richte mich im Folgenden nicht an die Leute, die glauben, dass es grundsätzlich völlig in Ordnung ist, andere fertig zu machen. Die gibt’s, und das sind die Menschen, die meinen, es schränkt ihre persönliche Freiheit ein, Rücksicht auf andere nehmen zu müssen. Das sind die Vordrängler  und empathielosen Großmäuler. Oft genug auch Dauergefrustete, die ständig meinen, zu kurz zu kommen, und die man auch im echten Leben eher nicht um sich haben will.

 
1. Nicht sofort reagieren

Das ist das Einfachste – würde einem nicht sein Ego erzählen, dass man ja sofort handeln muss, weil sonst alle über einen herfallen werden. Das ist aber nicht wahr, und ich bitte darum, es auszuprobieren: 90 Prozent aller Streitereien sind schlicht und einfach dadurch vermeidbar, dass man erst mal etwas anderes tut. Wenn man es dann immer noch für wichtig hält, etwas zu sagen, ist die Chance, dass man nicht emotional reagiert, sondern sachlich, wesentlich höher als vorher.

 
2. Fragezeichen statt Ausrufezeichen

Die schnellste Möglichkeit der Deeskalation ist, echte und ehrliche Fragen zu stellen. Warum ist jemand sauer? Hab ich was total Dummes gesagt? Hab ich mich missverständlich ausgedrückt? Das kann man zunächst öffentlich tun, um den Dampf rauszunehmen und zu vermeiden, dass sich direkt Lager bilden, aber wenn sich tatsächlich ein Dialog entwickelt, sollte man den in eine private Konversation verlegen.

 
3. Wir sind alle unterschiedliche Menschen

Wir Menschen verstehen Dinge falsch, wir reagieren unterschiedlich, wir haben Schwächen und blinde Flecken, wir sind an vielen unterschiedlichen Stellen verletzbar. Keiner von uns will sich normalerweise streiten. Wenn wir das für uns selbst im Hinterkopf haben, und wenn wir das auch dem vermeintlichen Gegner noch mal sagen und an ihn appellieren, dies ebenfalls zu erkennen, kommen wir gemeinsam weiter.

Keiner muss zu Kreuze kriechen (es sei denn, man erkennt, dass man wirklich Mist gebaut hat), es geht darum, den anderen zu verstehen. Das bedeutet nicht, seinen Standpunkt aufzugeben. Es bedeutet aber manchmal, dem anderen seinen Standpunkt zu lassen.

Man muss nicht “gewinnen”, um nicht zu verlieren.

 
4. Wir sind alle gleich

Wir haben Hunger, Durst, möchten uns entwickeln und gut fühlen mit dem, was wir tun. Wir wollen gemocht werden, und wir verspüren Angst, Scham und Wut, wenn wir etwas falsch machen oder wenn jemand uns falsch behandelt. Wir haben Vorurteile und Schubladen. Sich das zuzugestehen, ist gut. Aber wir müssen es anderen auch zugestehen. Es gibt ‘nen Songtext von Marillion, der lautet “Everyone is only everyone else. Everybody’s got to know. Everybody lives and loves and laughs and cries And eats and sleeps and grows and dies …

Vielleicht ist es gut für uns alle, ein wenig dieser Zen-Auffassung zu verinnerlichen. In dem Moment, in dem wir uns bewusst sind, dass sich nicht alles nur um uns selbst dreht, können wir viel entspannter miteinander leben.

Crosspost von jensscholz.com 2.0

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