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Zwischen Information und Unterhaltung: Publizistische Divergenz in der Medienkonvergenz

von , 12.6.14

Insbesondere Verlage, Blogs und Fachdienste, die im Kern Nachrichtenjournalismus betreiben, also Tages-, Wochenzeitungsredaktionen wie auch Nachrichtenmagazine, vergegenwärtigen den Unterhaltungsjournalismus als neues, nächstes „Problem“ des Medienwandels. Unter dem Eindruck, nicht mehr im ausschließlichen oder prominenten Fokus des Publikums und der Werbungtreibenden zu stehen, mehren sich die beleidigten, verzweifelten und unreflektierten Stimmen.
Dazu melden sich zu allem Überfluss noch die Betreiber von Heftig.co mit dem Hinweis zu Wort, gar keinen Journalismus betreiben zu wollen, oder wie Buzzfeed Nachrichten eher im Stil der RTL 2 Action News aufzubereiten.

 

Undankbares Medienpublikum und opportunistische Werbekunden

Die Reaktionen reichen also von Empörung über Konsterniertheit bis hin zu Vereinnahmungen in den eigenen Betrieb. Man stünde der Entpolitisierung des Publikums hilflos gegenüber und sehe in der hohen, technisch gemessenen Reichweite die Kumulation des an sachlicher Berichterstattung desinteressierten Boulevards sowie einen weiteren, schweren Rückschlag in dem Bemühen, Werbekunden an die eigenen Angebote zu binden.

Die Medienkritik sieht in der Nachfrage einen neuen Tiefpunkt im Verhältnis zwischen Nachrichtenangeboten und einem Publikum, das diesen offenbar zu wenig Beachtung zuteil werden lässt und somit als undankbar und ignorant angesehen wird.

Redaktionen und Verwaltungseinheiten suchen, so scheint es, hier erneut bevorzugt die Erklärung für den Status quo bei Dritten, statt sich selber in den erkennbaren Marktnischen von Nachricht und Kommentar nachhaltig (und ohne die Sicherheit auf unternehmerischen Erfolg) zu positionieren.

Diese durchaus als snobistisch anzusehende Haltung weiter Teile des in der Tradition des Printjournalismus agierenden Nachrichtenbetriebs lässt in der Antizipation der Rolle der klassischen Massenmedien im Internet auch im Jahr 2014 Unsicherheiten erkennen.

 

Medienkonvergenz und publizistische Divergenz

Die Digitalisierung der Kommunikationswege hat die Medienlandschaft verändert. Ließen sich bis zu Beginn des 21. Jahrhunderts noch klar erkennbare Grenzen zwischen den Mediengattungen Zeitung, Zeitschrift, Radio und Fernsehen ziehen, lösen sich die Unterscheidungsmerkmale in der internetgestützten Verbreitung journalistischer Inhalte zunehmend auf.

Die Mediengattungen finden allesamt gemeinsam über den hybriden Kommunikationskanal Internet statt und sind für ein Publikum parallel mit annähernd gleichen Transaktionskosten abrufbar. Zeitungen bieten Videonews, Zeitschriften aktualisieren ihr Angebot in kurzen Takten, Fernsehen bietet im Netz alternativ Texte und Bildergalerien, und das Radio überwindet die Reduzierung auf den Ton.

Die Angebote werden linear als Stream oder Live-Ticker genauso verbreitet wie nichtlinear als Abrufdienste. Dazu wird das Publikum via Social Media „abgeholt“ und zunehmend über mobile Endgeräte in das Programm mit einbezogen. Jeder Inhalt ist zu jeder Zeit an jedem Ort mit jedem Kommunikationsgerät verfügbar und bettet sich in die unbeschreibbare Breite von Netzinhalten und -funktionen ein.

Für diesen Zustand werden gemeinhin die Begriffe Medientransformation und Medienwandel synonym verwendet, wenngleich es einer Differenzierung zwischen den einzelnen sich aufeinander zubewegenden oder gar verschmelzenden Medienbereichen bedarf.

Neben der funktionalen Konvergenz (technisch; Endgeräte), vertikaler Konvergenz (Stufen der Wertschöpfungskette), horizontaler Konvergenz (Branchen bearbeiten ein und denselben Vertriebskanal) scheinen es in dieser Sache vor allem die Formen von allgemeiner Medienkonvergenz – prozessuale Konvergenz; Crossmedia & publizistische Konvergenz; Annäherungen auf inhaltlicher Ebene – zu sein, die für einen Eindruck vermeintlich gemeinsamer publizistischer Publikumsmärkte sorgen.

Der hier hinterlegte Zustand einer publizistischen Konvergenz von Informations- und Unterhaltungsangeboten entstammt ursprünglich der medienpolitischen Diskussion um Annäherungen des öffentlich-rechtlichen Rundfunkprogramms an das der privat-kommerziellen Sender und taucht deshalb vornehmlich im Public-Value-Komplex auf.

Mangelnde Trennschärfe, insbesondere im Unterhaltungssegment, soll/wird durch entsprechende Formulierungen im Rundfunkstaatsvertrag unterbunden (werden). Eine Ausprägung ist beispielsweise das Ausstrahlungsverbot von eingekauften, bereits erfolgreich gelaufenen TV-Serien zur Vermeidung von ökonomischem Wettbewerb zwischen den Rundfunkorganisationen des dualen Rundfunksystems.

In diesem Licht betrachtet führt die feuilletonistische Schlacht und Publikumsschelte um die Rolle von Unterhaltungsangeboten als konkurrierendes Angebot zum Nachrichtenjournalismus in die Irre. In der Phase der Medientransformation lösen sich Gattungsgrenzen in mehreren Dimensionen auf (Vertrieb, Vermarktung, Nutzung, Darstellung), nicht aber kommunikative Genres.

 

Kommunikative Genres erlauben den Zugang zu Publikumsinteressen

Nach Gernot Wersig (Einführung in die Publizistik- und Kommunikationswissenschaft; S. 126-127) lassen sich kommunikative Genres in solche unterteilen, die dem Mediennutzer eine Orientierung in der Welt bereitstellen – „Information“ – und solche, die dem Mediennutzer eine Orientierung in sich selber zulassen – „Unterhaltung“.

Es besteht somit eine deutliche Trennung zwischen den kommunikativen Genres mit den Polen sachlicher Nachrichtenjournalismus und einem Unterhaltungsangebot ohne expliziten Informationsanspruch. Unter dem Eindruck kommunikativer Genres lässt sich statt einer publizistischen Konvergenz vielmehr eine publizistische Divergenz in konvergierenden Medienumgebungen ausmachen.

Unterhaltung, angeboten durch kontinuierlich journalistische Inhalte publizierende Massenmedien, war und ist in der Summe der Angebote von Zeitungen, Wochenzeitungen, Special Interest- und General Interest-Zeitschriften, Fernsehen und Radio quantitativ immer dominierend. Daran hat sich durch den Medienwandel nichts geändert.

Neu ist die Erkenntnis jedoch für die aus der Verlagssphäre stammenden Nachrichtenmedien: sie sind nicht mehr prominente Anbieter über den Vertriebskanal Internet ohne Konkurrenz im Verhältnis zu den gedruckt ausgelieferten Auflagen und sehen sich einer Plattform unterschiedlicher kommunikativer Genres ausgesetzt, die sie nicht gleichmäßig bedienen können/wollen, noch jemals bedient haben.

Fernsehen und/oder Hörfunk, wie auch auf den Boulevard spezialisierte oder daran orientierte Verlagsangebote wie BILD, Huffington Post & Focus,sind gegenüber den auf Nachrichtenjournalismus ausgerichteten Zeitungs- und Zeitschriftenverlagen in der Lage, beide kommunikativen Genres, Information und Unterhaltung, über ihre Marken zu transportieren.

Reinen Nachrichtenmedien fällt dieser Spagat weitaus schwerer und ist quantitativ unterrepräsentativ (Comic-Strecken in Tageszeitungen). Erschwert wird die Differenzierung zwischen publizistischer Konvergenz und publizistischer Divergenz durch homogene, quantitative Messverfahren der Publikumsnachfrage im Internet.

 

Konsequenzen für den intermediären ökonomischen und publizistischen Wettbewerb

Die Fokussierung auf Klickzahlen oder Flies, die streng genommen erst einmal nichts anderes besagen, als dass einer Site/Subsite oder einem Inhalt eine trotz dauerhafter Speicherung flüchtige Sympathiebekundung zuteil wird, verschleiert die Trennlinie der kommunikativen Genres um den Preis der Werbevermarktungsoption. Nur liegt einem werbungtreibenden Unternehmen oder dessen Agenten weniger an einer politisierten oder zerstreuten Gesellschaft, als vielmehr an spezifischen Zielgruppendefinitionen als Konsens für ein konstruiertes Publikum, das wenig mit einem sozialen Abbild der Summe an Individuen gemein hat.

Orientieren sich nun die Bediener des kommunikativen Genres Information auf die quantitativen Substrate aus dem kommunikativen Genre Unterhaltung, ist das Missverständnis des Publikums und auch der vermeintlichen Konkurrenz vollkommen.

Das Publikum möchte sowohl das eine als auch das andere in seiner Optionsvielfalt nutzen und trifft damit keine qualitative Aussagen zur Wertschätzung eines Angebots oder Rankings zur gesellschaftspolitischen Verfasstheit einer Grundgesamtheit (Likes und Shares implizieren dies zwar, lassen sich dahingehend aber nicht ausreichend verifizieren; es bleibt eine ad hoc-Sympathiebekundung).

An diesem Zustand lässt sich weder durch die Bediener des einen kommunikativen Genres etwas ändern, noch durch die des anderen. Die Entscheidung, in welcher Verfassung welche Kommunikationsformen angestrebt werden, trifft alleine das Individuum, und das nahezu autark auf Basis der grundlegenden Disposition des Gemüts zu einem bestimmten Zeitpunkt (Uwe Hasebrink: „Ich bin viele Zielgruppen“).

Unter Konkurrenzaspekten weist die Auseinandersetzung der Informationsmedien mit den Unterhaltungsmedien auf einen hilflosen, missinterpretierten publizistischen Wettbewerb hin. Doch nicht nur das, auch im ökonomischen Wettbewerb ist deutlich geworden, dass die Werbefinanzierung online eine zunehmend geringere Rolle im Erlösspektrum von Massenmedien spielt.

Wenn Redaktionen und Verwaltungseinheiten von Nachrichtenjournalismus-Verlagen oder verlagsnahen journalistischen Akteuren eine gegenüber der Internet- und Publikumsrealität unnütze und abwegige Allianz mit der Fokussierung auf Reichweitenrankings als gemeinsames Wirkungsziel bilden, ist das maximal der Wunsch nach Skalierbarkeit des nicht ausreichend Skalierbaren.

Das Angebot an Werberaum übersteigt schlicht die Nachfrage und wird auch absehbar nicht das notwendige Preisgefüge entstehen lassen.

Die Akklimatisierung mit einem Nischenbewusstsein abseits publikumsbindender Großereignisse im Medien- und damit auch Oberflächenwandel und den daraus zu ziehenden Konsequenzen für das Geschäftsmodell ist trotz des ersten Eindrucks in den Zehner-Jahren nicht allen Playern des Medienbetriebs gleichmäßig gelungen.

Douglas C. Adams Metapher des Stroms (des Nachrichtenjournalismus) der sich im Ozean (des hybriden Kommunikationskanals Internet) auflöst, ist aus dieser Perspektive auch 19 Jahre nach der Veröffentlichung treffend. (Wired, Nr.1, 1995, britische Ausgabe nach „Lachs im Zweifel“, S. 155-160)

Die Annahme konvergenter kommunikativer Genres offenbart die Missdeutungen der Nachrichtenjournalismus-Verlage, die Reichweitenwerte mit Informationsbedürfnis gleichsetzen, an die Gratifikationserwartungen des Publikums. Dabei handelt es sich grundsätzlich um zwei unterschiedliche Kommunikationsziele, die jedoch über den gleichen Vertriebskanal bedient werden. Der Weg in ein gänzlich neues Mediensystem ist entgegen der Auffassung vieler Nachrichtenjournalismus-Verlage noch nicht abgeschlossen.

Die Diskussion um Unterhaltungsangebote, und insbesondere die um neue Akteure wie Heftig.co, zeigt, nüchtern betrachtet, einen ungezwungenen Vergleich von Äpfeln mit Birnen, oder einfach nur den Neid um qualitativ nicht verifizierbare Messeinheiten. Die Qualität des Werberaums definiert sich nach dem Werbeumfeld, das nicht zwangsläufig einem bestimmten kommunikativen Genre entsprechen muss, um für Werbeeinschaltungen attraktiv zu sein.

Der Medienwandel verändert Zugriffs- und Handhabungsbedingungen, nicht aber die kommunikativen Funktionen. Die Annahme einer solchen kommunikativen Konvergenz ist ein Missverständnis. Die Funktionen bleiben stabil, sind jedoch eng zusammengedrängt. Auch dafür steht der Begriff „Konvergenz“, mathematisch sogar korrekt.

 

Exkurs Urheberrecht

Ableitungen für urheberrechtliche Aspekte zwischen Branchen, die unterschiedliche Geschäftsintentionen und keinen wechselseitigen redaktionellen Austausch pflegen erscheinen obligat; dafür bietet die Unterscheidung nach kommunikativen Genres einen belastbaren Ansatz, ohne die Schnittmenge „Satire“ als politisch motiviertes Unterhaltungsangebot aus dem Informationsmedien-Komplex herauslösen zu müssen. Ob dies für Der Postillon gilt, mag strittig sein.
 

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