#Ausstellung

#EMAF2014: We, the enemy

von , 25.4.14

In diesem Jahr stellen sich die teilnehmenden Künstler mit dem prägnanten Slogan „We, the enemy – Leben unter Verdacht“ den Themen Macht, Herrschaft und Digitalisierung.

Obwohl dieses Thema durch das Bewusstwerden der eigenen Öffentlichkeit – jeder steht unter Verdacht, ist ein potentieller Feind und wird zur person of interest – überall präsentiert werden könnte, rahmt Osnabrück es in einzigartiger Weise.

 

Der richtige Ort

 

„Die Friedensverträge [von Osnabrück und Münster] beendeten den Dreißigjährigen Krieg in Deutschland. […] Er [der Osnabrücker Friedensvertrag] schuf zudem für das Reich eine Verfassung, die bis zu dessen Auflösung im Jahre 1806 Gültigkeit behielt.“

 
Diese positive Einschätzung bleibt nach Wikipedia nicht ungeteilt.
 

„In der Zeit direkt nach dem Westfälischen Frieden und auch noch während des 18. Jahrhunderts wurde der Friedensschluss hingegen ganz anders gesehen. Er wurde mit großer Freude begrüßt und galt als neues Grundgesetz […]“

 
An dieser Stelle muss die Diskussion über die Unart, jede Art von Verfassung in ein „Grundgesetz“ umzutaufen, natürlich unterbleiben, doch bietet Osnabrück mit dieser Geschichte eine Kulisse, die darauf wartet, dass Fragen nach Rechtsbrüchen, Verfassungsfragen und der Souveränität von Staaten gestellt werden.

Eine Frage, die sich dem Foucault-geschulten Leser aufdrängt, ist jedoch fast wichtiger, weil thematisch relevant. Die wunderschöne Ausstellungshalle, eine gotische Kirche, die vom Dominikaner-Orden erbaut wurde, kann selbst als Symbol einer Herrschaftsform, der Pastoralmacht, gesehen werden. Ruoff charakterisiert diese als „eine Art der Menschenführung, die sich auf jede Lebenssituation erstreckt und die gesamte Existenz des Menschen bis in die feinsten Detailfragen bestimmen will.“ (Ruoff, 2007: Foucault-Lexikon, 161f.)

Wenn in diesen ehemals heiligen Hallen Abbildungen von Überwachungskameras hängen, entsteht eine Dopplung, die bemerkenswert ist und eine eigene Texttafel verdient hätte. Auch hierauf hätte man leicht das Thema „We, the enemy“ beziehen können.

 

Die Ausstellung

In der Ausstellung geht es um Überwachung in ihren vielfältigen Formen. Auch, wenn die Ausstellungsmacher einen expliziten Bezug zu Snowden herstellen, ist er doch nur schwer zu entdecken. Der zweite Bezugspunkt, Orwells 1984, scheint passender. So begrüßt die Besucher beim Eintreten in die Ausstellungshalle das Standbild eines Polizeihubschraubers. Der Helikopter schwebt auf einer Stelle, nur die Rotoren bewegen sich. Die Assoziation eines rüttelnden Falken, der sich gleich auf seine Beute stürzt, dürfte gewollt sein.

Einen anderen Blick erlaubt Google Streetview, dessen Pannen daran erinnern, dass selbst die digitalisierte Fassung der Welt nicht fehlerfrei ist, was wiederum die altbekannte Frage nach der Presse-Ethik aufwirft, wenn etwa Bilder von Unfallopfern aufgezeichnet wurden.

In „Under the radar“ der Schweizer Christoph Wachter und Mathias Jud wird das Thema Überwachung in seiner ganzen Breite angesprochen: Von der Überwachung über den Hinweis auf die scheinbare Nähe aus großer Distanz – die Illusion, eine „Revolution durch Mausklick zu unterstützen“ -, die Gefahr, „Kommunikationsbedingungen mit fundamentalen Rechten, wie die Freiheit“ zu verwechseln, bis hin zu den kommerziellen Grundlagen unserer Kommunikation, der „Abhängigkeit von Infrastruktur und Kommunikationsplattformen“.

Als eine Möglichkeit, sich aus dieser Abhängigkeit zu befreien, sehen sie in „qual.net die Aufhebung von Infrastruktur und individueller Nutzung“. Als Netzwerk von Endgeräten mit WiFi-Übertragung kann es in Krisensituationen, in denen kein Netz zur Verfügung steht, zumindest als Alternative benutzt werden.

Der Autor des Films, der Israeli Omar Fast, nimmt die ZuschauerIn in seinem Beitrag „5.000 Feet is the Best“ mit in die Welt eines Drohnenpiloten und des (all)täglichen Kriegs. Das Bild wechselt, plötzlich begleitet man eine Familie auf deren gemeinsamer Autofahrt, auf der sie in eine „Straßenkontrolle“ kommen und … Einen Ausschnitt des Films kann man sich als Vimeo anschauen.

Künstler und AusstellungsmacherInnen bemühen sich allerdings, auch Alternativen zum Überwachtwerden aufzuzeigen und integrieren auch den Protest in das Konzept, etwa mit dem Hinweis auf den Blog Everyday Rebellion.

Eine ganz andere Sichtweise auf Demonstranten nimmt Elena Artemenko ein. Sie hat sich die (Sonntags-)Protestierer als Kunden für eine Demo-allround-Ausstattung gedacht, in der das Transparent als abwischbares Whiteboard genauso enthalten ist, wie der Schirmhalter und der Schal. Einen Werbefilm hat sie auch darüber gedreht. Wenn man das Augenzwinkern nicht mitbekommt, könnte ein windiger Geschäftsmann tatsächlich an mancher Montagsdemo so eine Kombilösung loswerden.

Es gibt noch einen zweiten Teil des Festivals, das der Nachwuchsförderung dient, das Media-Campus-Projekt. Zu diesem Projekt gehört auch die Arbeit von Sissel Marie Tonn: Sie hat mithilfe von Google Earth die Perspektive von Drohnenpiloten eingenommen und „hinterfragt die Arbeit, wie wir andere Menschen auf dem Monitor wahrnehmen“.

Da die Ausstellung auf unterschiedliche Orte aufgeteilt ist, habe ich beim Besuch des Cafés Stadtgalerie ein weiteres Projekt gefunden: Die Designerin Nora Peters arbeitet hier an ihrem persönlichen Iris-Scan-Projekt „eye could see“. Sie fotografiert die Augen ihrer BesucherInnen mit hoher Auflösung, so dass Strukturen und Muster der Iris erkennbar werden. Als Nächstes wird das Bild am Computer bearbeitet und dann mittels eines USB-Sticks auf elektronische Strickmaschinen übertragen. Heraus kommt dann mit einiger Verzögerung das gestrickte Motiv der Iris.
 

Nora Peters mit den gestrickten Iris-Scans, Foto: © K. Alidusti

Nora Peters mit ihrem Beitrag “Eye could see” auf der EMAF, Foto: © K. Alidusti

 
Als ich die gestrickten Augen vor mir liegen sah und mein Auge als Modell zu Verfügung stellte, musste ich dann doch verdrängen, dass der Iris-Scan auch Bestandteil der biometrischen Erkennung sein kann. Ich habe leider vergessen, zu fragen, wann das Bild auf der Kamera wieder gelöscht wird – soviel zur digitalen Selbstbestimmung.

Als kleine Lehre ziehe ich aus dem Tag in Osnabrück, dass der Austausch zwischen den verschiedenen Gruppen, die sich mit dem Thema Überwachung beschäftigen, verbesserungsfähig ist.

 

Das Festival und das vielfältige Rahmenprogramm laufen bis Sonntag, 27. April, die Ausstellung ist noch bis 25. Mai zu sehen. Ich empfehle die Konferenz „Burning Clouds“, auf der Fachleute aus unterschiedlichen Bereichen das Thema Überwachung behandeln. Auf der Homepage des Festivals findet sich auch das Programm.

 
Kyrosch Alidusti bloggt auf Punkgebete

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