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„Raus aus der fatalistischen Agonie“ – Interview mit Michael Seemann

von , 29.1.14

Webseiten wie Startnext oder Krautreporter ermöglichen heute auch jenseits etablierter Institutionen und Verlage interessante und innovative Projekte. Finden sich genügend Unterstützer in der Community, können die Kreativen loslegen.

 

Michael, Du hast innerhalb kürzester Zeit per Crowdfunding einen Honorarvorschuss von 15.000 Euro für dein geplantes Buch “Das neue Spiel” erhalten. Ist das ein Beweis, dass du im Netz bereits eine Marke bist, der man blind vertrauen kann?

Ich denke, es ist ein Beweis dafür, dass ich bekannt genug bin. Niemand muss Angst haben, dass ich mit dem Geld einfach untertauche. Außerdem spielt sicher eine Rolle, dass die Leute schon einiges von mir gelesen haben. Das heißt, sie trauen mir das Buch zu. Um die ‚Marke Seemann’ wird es deshalb in den nächsten Monaten erst mal still werden. Ich hab ja jetzt zu tun. Weiter plane ich nicht. Das widerspricht meiner Natur.

 

Der “Kontrollverlust” ist schon lange dein Thema. Nun willst du ihn überwinden. Ist das der von Sascha Lobo geforderte neue Internet-Optimismus?

Es gibt sicher einen Zusammenhang zwischen Saschas Aufruf zu einem neuen Internetoptimismus und meinem Projekt. Denn genau das war ja mein Grundgedanke: Raus aus der fatalistischen Agonie, aber diesmal bitte ohne Naivität. Einfach mal den Werkzeugkasten entstauben und nüchtern gucken, was die Veränderungen gebracht haben. Ich würde mein Projekt deshalb durchaus als optimistisch bezeichnen. Wer immer noch glaubt, seine unverletzte Privatsphäre zurückerobern zu können, wird mich allerdings für einen Pessimisten halten. Was Sascha genau gemeint hat, weiß ich nicht. Mehr als diesen Halbsatz hat er ja nicht geliefert.

 

Im Lösungs-Teil deines Buches spielen die Plattform und die Plattformneutralität eine große Rolle. Was meinst du mit Plattform? Kannst du den Begriff an einem Beispiel erläutern?

Wir sehen heute bereits, dass Plattformen wie Facebook, Twitter, Google, aber auch viele andere  – mehr noch als die dahinter stehenden Unternehmen – die Handlungsmöglichkeiten der Menschen strukturieren. Nicht national, sondern transnational. Das ist gut und gefährlich zugleich. Einerseits gibt es den Menschen ungeahnte Möglichkeiten, andererseits machen sie sich von Infrastrukturen abhängig, für die wir keine politischen Einflussmechanismen haben.

Plattformen vernetzen Menschen mit Ideen und Gegenständen und überformen damit viele Institutionen, die wir kennen. Das geht bis zum Eigentum. In meinem Freundeskreis besitzt z.B. kaum noch jemand ein Auto, dafür haben wir Zugang zu drei Car-Sharing-Diensten. Plattformen sind das Organisationsparadigma des neuen Spiels. Und deswegen muss die Politik hier in Zukunft ansetzen.

Mein Vorschlag der Plattformneutralität orientiert sich an der Idee der Netzneutralität. Als erstes muss es einen diskriminierungsfreien Zugang zu Plattformen geben, denn wenn sich dort vermehrt Gesellschaft abspielt, kann ein Ausschluss ein Ausschluss aus wichtigen gesellschaftlichen Zusammenhängen sein. Das ist gar nicht so einfach, weil Plattformen speziellen ökonomischen Gesetzen unterworfen sind, wie ich im Buch ausführen werde.

Darüber hinaus ist das Konzept der Plattformneutralität ebenso gut auf andere politische Bereiche übertragbar. Der ständig lauter werdende Ruf nach einem bedingungslosen Grundeinkommen ist z.B. ein plattformneutraler Gedanke.

 

Steht deine Plattform-Metapher auch für eine neue Staatsutopie? Dass wir künftig über Plattformen unsere öffentlichen Angelegenheiten regeln? Was unterscheidet die Plattform vom Staat in älteren politischen Theorien?

Die Plattform und das gesamte Internet stehen für mich in Systemkonkurrenz zum Staat. Das machen sich die meisten, die nun wieder ein Primat der Politik fordern (sie meinen eigentlich nur wieder das Primat der nationalen Politik), nicht recht klar. Dennoch glaube ich nicht, dass Plattformen Staaten ersetzen werden. Es ist ein bisschen wie mit der Post-PC-Ära. Wir haben alle noch Laptops und Desktop-Rechner, aber es gibt inzwischen x mal so viele Tablets und Smartphones. Das heißt, der PC ist nicht weg, aber er wird zunehmend irrelevant für das Gesamtgefüge. Etwas Ähnliches wird mit den Staaten passieren. In der Politik ist eine solche Angst durchaus zu spüren, weshalb sich Politiker immer gerne als die großen Google-Regulierer aufspielen.

 

Bist du ein Idealist?

Ich habe nicht den Eindruck. Ich sehe mich eher als Realist und Pragmatiker. Mir ist die Beobachtung wichtiger als das Prinzip. Wenn ich Entwicklungen entdecke, die meiner Auffassung von der Welt widersprechen, passe ich meine Auffassung an, nicht umgekehrt. Ich halte nichts davon, Ideen aus Prinzip hinterherzulaufen. Deswegen ist mir das Gejammere um das Ende der Privatsphäre auch fremd.

 

Du sagst: Wer die Plattform beherrscht, hat die Macht. Forderst du damit einen neuen Marsch durch die (Plattform-)Institutionen?

Wir leben, was unseren politischen Einfluss auf diese Dinge angeht, ja noch im Feudalismus. Die Großplattformbetreiber diktieren uns die Regeln und wir sind Datenleibeigene. Ich will damit die Plattformbetreiber nicht verteufeln. Sie schaffen Möglichkeiten, die man anders derzeit nicht hinbekommt. Aber klar ist auch, dass wir uns davon emanzipieren müssen. Wir brauchen dezentrale Plattformen, wie das Internet und auch das Web weitestgehend sind. Dann verändert sich auch unsere Machtposition gegenüber den zentralen Anbietern. Allein die Existenz von Linux hat den Betriebssystemmarkt enorm verändert, auch die proprietären Anbieter können sich nicht mehr so viel erlauben.

 

Wann wird dein Buch vorliegen?

Bis zur Frankfurter Buchmesse will ich damit draußen sein. Mein Schreibprozess soll sechs Monate dauern. Bis Ende Juli.

 

Und wenn dein Buch nie fertig wird? Zahlst du dann alles zurück?

Diese Option gibt es nicht.

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Interview: Wolfgang Michal
 

  • Interessant zum Weiterlesen: Stefan Hetzel über Michael Seemanns Thesen.

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