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Nano geht alle an

von , 11.12.13

Nanotechnologie erscheint in den unterschiedlichsten Garderoben: Mal in Form von winzigsten Schaltungen im Smartphone, mal als viruskleine Partikelchen, die UV-Strahlung abblocken oder Brillengläser und Parkettböden kratzfest machen, und mal als hauchdünne Silberschicht an der Innenseite von Fensterglas, die Wärmestrahlung reflektiert und sie am Verlassen des Wohnraums hindert.

Wegen der vielen Erscheinungsformen ist es treffender, von „den Nanotechnologien“ zu sprechen, also den Plural zu benutzen. Jedenfalls tun diese winzigen Techniken in mehr als 1600 Konsumprodukten ihre Arbeit. Man kann sagen, sie haben einen wachsenden Einfluss auf unseren Alltag.

Die wirtschaftlichen Zahlen bestätigen dies: Deutschland investiert jährlich Hunderte von Millionen Euro in die Erforschung winziger Technik, 2010 machte die Wirtschaft 13 Milliarden Euro Umsatz mit Nanotechnologien und beschäftigte 61.000 Menschen in diesem Bereich.

„Nanotechnologie“ steht aber nicht nur für profane Alltagsprodukte mit netten Zusatzfunktionen wie eben Kratzfestigkeit, sondern auch für ein großes Zukunftsversprechen. Krebstherapien ohne Nebenwirkungen, super-effiziente Solarzellen oder Nanoroboter, die die Zellen eines Menschen über hundert oder zweihundert Jahre gesund halten, oder die verseuchte Meeresregionen säubern, sind nur einige Beispiele.

 

Heilsträume und Horrorvisionen

„Nano“ löst neben Heilsträumen aber auch Horrorvisionen aus. Am bekanntesten ist die von Amok laufenden Nanorobotern, die die halbe Erde auffressen, um sich selbst zu vermehren. Befürworter und Gegner der Nanotechnologien stehen sich entsprechend unversöhnlich gegenüber: Oft zügellose Technik-Begeisterung auf der einen, und mancher Ruf nach einem Forschungsstopp angesichts von zwar nur möglichen, aber bei Eintreten als untragbar angesehenen Risiken auf der anderen Seite.

Diese Extreme zeigen schon, dass das Thema nicht nur sehr faszinierend ist, sondern eine echte Herausforderung für eine auf Technologie und deren Weiterentwicklung basierenden Gesellschaft.

Angesichts ihrer breiten Bedeutung für den Alltag sollten die Entwicklung und auch die Regulierung der Nanotechnologien nicht nur von den oft ideologisch argumentierenden Interessengruppen wie Industrie-, Umweltschutz- oder Verbraucherverbänden, sondern in der Öffentlichkeit debattiert werden.

Journalisten spielen dabei eine wichtige Schlüsselrolle, schließlich haben sie keinen unerheblichen Einfluss darauf, worüber das Land debattiert, und worüber nicht. Entscheidend ist, dass sie aus neutraler Warte ein von Interessengruppen unabhängiges Bild der Nanotechnologien zeichnen, das Risiken und mögliche negative Konsequenzen genauso ins Auge fasst wie die Chancen. Denn der Preis, den wir als Gesellschaft für eine nanotechnologische Anwendung bezahlen, sollte in Rechnung gestellt werden.

Die führenden deutschen Printmedien leisten das bislang noch nicht.

Sie berichten überwiegend positiv über Nanotechnologien, nennen Risiken nur selten, lassen vor allem Wissenschaftler und Wirtschaftsvertreter zu Wort kommen und greifen selten Debatten und Diskussionen auf. Dazu kommt, dass sie vor allem über verbraucherferne Anwendungen wie Luft- und Raumfahrt, Rüstung oder Energiewirtschaft schreiben. Kein Wunder, dass ein Großteil der Deutschen trotz jährlich über hundert Artikeln in den führenden Printmedien mit dem Begriff Nanotechnologie wenig anfangen kann.

Diesen für FAZ, Süddeutsche, Die Zeit, Die Woche, BILD, Focus und Spiegel wenig schmeichelhaften Befund publizierte das Bundesinstitut für Risikobewertung vor wenigen Tagen.

Das von uns, drei freien Wissenschaftsjournalisten (Aitziber Romero, Dino Trescher und ich), gegründete „nanomagazin.net“ sieht den Befund des BfR als Herausforderung. Wir wollen ein unabhängiges Bild der Nanotechnologien zeichnen, das ihren Lichtseiten auch Schattenseiten gegenüberstellt. Debatten wollen wir nicht aus dem Weg gehen, sondern sie im Gegenteil fördern, wofür wir die Möglichkeiten der sozialen Medien nutzen wollen.

Auch mit Crowdfunding-Projekten wollen wir mehr Transparenz in die Nano-Debatte bringen. Das Erste haben wir vor Kurzem bei Krautreporter gestartet, es befasst sich mit Einflussnahme auf die Regulierung von Produkten, die nanotechnologisch hergestellte Materialien enthalten.

 

Günstige Phase im Hype-Zyklus

Die Zeit scheint uns günstig, um die Nanotechnologien kritisch unter die Lupe zu nehmen und sie öffentlich zu debattieren. Haben Sie schon einmal vom Hype-Zyklus gehört? Demnach erzeugt eine neue Technologie in der ersten Phase überzogene Erwartungen auf der einen und ebenso übertriebene Ängste auf der anderen Seite. Im Fall der Nanotechnologien waren das Dinge wie “Werkstoffe, die zehnmal stärker sind als Stahl mit nur einem Bruchteil von dessen Gewicht“ (Bill Clinton), oder auf der dunklen Seite der Macht sich selbst vermehrende Nanoroboter oder Terroristen, die sich Baupläne für nanotechnologische Vernichtungswaffen aus dem Netz ziehen (z.B. Bill Joy).

Die Hype-Phase ist vorbei. Die Berichterstattung über Nano hat abgenommen. Der Hype-Zyklus befindet sich seit einiger Zeit in der Phase der Ernüchterung.

Die Nanotechnologien liefern bislang keine spektakulären Innovationen, sondern bleiben im Alltag eher im Hintergrund, weil sie meist bestehende Produkte verbessern, also Plastik-Bierflaschen gasdicht machen oder transparente Sonnencreme mit hohem Lichtschutzfaktor ermöglichen.

Und dort, wo man sich von Nano mehr erhofft hat als graduelle Produktverbesserungen, zeigt sich die Tücke der Praxis, wie der Autor Niels Boeing in seinem ersten Beitrag für das nanomagazin, „Die Tücken der Nanopartikel-Therapien“, anhand des Beispiels Nanomedizin zeigt.

Auf der anderen Seite der Medaille ist auch die Nano-Panik abgeebbt, weil die Risikoforschung seit Jahren keine Meldungen vom Kaliber „Kohlenstoff-Nanoröhrchen sind ähnlich schädlich wie Asbest“ mehr produziert hat.

Daraus den Schluss zu ziehen, Nanotechnologien würden weder funktionieren, noch Risiken mit sich bringen, wäre verfrüht. Laut Hype-Zyklus folgt der Ernüchterung die Erleuchtung, in der ein realistisches Bild der Chancen, Grenzen und auch der Risiken der Technologie entsteht. Diese Phase scheint bei Nano gerade anzulaufen.

Zwar werden die Nanotechnologien erst einmal keine Science-Fiction-Wunder bringen, wie etwa alle Krankheiten kurierende Nano-U-Boote in der Blutbahn. Da sie aber Querschnittstechnologien sind, also in vielen Technikbereichen von der Chip- bis zur Autoindustrie eine Rolle spielen, werden sie in naher Zukunft fast jeden Lebensbereich beeinflussen, ähnlich wie heute schon eine andere Querschnittstechnologie, das Internet.

Auch die Nano-Panik dürfte in der Phase der Erleuchtung einer nüchternen, realistischen Betrachtung der Risiken und ethischen Fragen weichen. Einer Entwarnung kommt dies bei Weitem nicht gleich.

Noch ist die Giftigkeit von Nanomaterialien längst nicht erschöpfend erforscht. Wie sich Nanopartikel im menschlichen Körper und in der Umwelt verhalten, ist noch nahezu unbekannt. Auch Langzeiteffekte von Nanopartikeln sind kaum untersucht.

Neben den toxikologischen bergen die Nanotechnologien weitere, womöglich viel bedeutendere Risiken. So arbeiten Forscher bereits an Sensoren oder Kameras, die so winzig sind wie Staub, wie Gerhard Samulat für nanomagazin recherchierte („Spiönchen für den Hausgebrauch“). Dies könnte die Debatte um den Schutz der Privatsphäre noch mehr Brisanz geben als sie angesichts der NSA-Spionage schon hat.

 

nanomagazin nimmt sensible Technologiefelder unter die Lupe

In den kommenden Wochen wird nanomagazin weitere sensible Technologiefelder beleuchten, die durch Nanotechnologien gewaltig an Zündstoff gewinnen könnten. Etwa den Bau von gehirnähnlichen Computern, miniaturisierte Militärtechnologie, die sich der heute üblichen gegenseitigen Rüstungskontrolle zwischen Staaten entziehen wird, oder künstliche Mikroorganismen, mit denen Terroristen allein mit Wissen aus dem Netz zu gefährlichen Waffen kommen könnten.

nanomagazin will Ihnen, liebe Leser, ein Fenster in die Welt der winzigen Techniken öffnen. Lesen Sie mindestens einmal im Monat eine neue Titelgeschichte und in der Zeit dazwischen aktuelle Meldungen oder Podcasts rund um die Nanotechnologien. Nehmen Sie das Geschehen rund um Nano mit nanomagazin unter die Lupe. Denken und reden Sie mit, wenn es um „Nano“ geht. Verschaffen Sie sich Gehör, denn das ist bislang zu kurz gekommen, wie unser Autor Manfred Ronzheimer in seinem Beitrag „Ungehörte Botschaft der Bürger“ und seinem Kommentar „Echte Beteiligung oder Show?“ zeigt.

Vielmehr scheint die Debatte noch mehr in Expertenzirkeln zu verschwinden, so, als handele es sich bei den Nanotechnologien um eine Nebensächlichkeit. In so genannten Fachdialogen bringt das Bundesumweltministerium derzeit Experten aus Wissenschaft, Industrie, Umweltverbänden, Regierung und Behörden zusammen. Als in Europa einzigartig lobt das Ministerium diese Dialoge – als sei der Ausschluss der Öffentlichkeit eine besondere Leistung.
 

Das ist bei nanomagazin anders. Wir freuen uns auf Ihre Kommentare, Ihre Twitterbotschaften, Ihre Themenanregungen und Debattenbeiträge. Einen Einstieg in die Diskussion finden Sie bei unserem ersten Diskussionsthema “Braucht es eine Kennzeichnungspflicht?“

 

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