#Debatte

Über die Bedeutung des Skandals für Geheimdienste

von , 8.12.13

Aus dem Fundus auf den Festplatten von Edward Snowden ist erst ein kleiner Teil an die Öffentlichkeit gekommen. Insofern scheint für die Geheimdienste im Allgemeinen und die NSA im Besonderen für die Zukunft ein unbequemer Anspruch sichergestellt zu sein: an Transparenz, wenn auch ungewollt. Die bisherige Praxis, die Akten als Ausdruck von Taten erst Jahrzehnte später der historischen Forschung zur Verfügung zu stellen, ist – Snowden sei Dank – aufgehoben worden. Dass die Geheimdienste und die Politik darüber nicht begeistert sind, ist soweit nachvollziehbar.

Die jüngste Veröffentlichung betrifft die Meldung der Washington Post, die NSA werte jeden Tag Milliarden von Handydaten aus. Sie scheint darin kein ernstes Problem zu sehen und gibt daher keinen Hinweis auf ein eventuelles Unrechtsbewusstsein. Insofern erinnert die NSA durchaus an die Stasi: Diese hielt auch alles für machbar, was im Rahmen der “sozialistischen Gesetzlichkeit” von der führenden Partei erlaubt worden war.

Nun stellt man sich ratlos die Frage, wie man diesem Treiben der NSA Einhalt gebieten kann.

Das Beispiel der Stasi ist dafür nützlich: Es war nämlich niemand auf die Idee gekommen, den ostdeutschen Geheimdienst in die bundesdeutschen Strukturen zu übernehmen. Dabei hatte der in der Vergangenheit durchaus seine Effizienz bewiesen. So war etwa in der DDR Terrorismus kein Problem, vielmehr hatte sich “Horch und Guck” bei der Integration von bundesdeutschen Terroristen in den Alltag einer sozialistisch genannten Gesellschaftsordnung verdient gemacht. Das widersprach zwar dem Strafverfolgungsinteresse der westdeutschen Justiz, aber gleichzeitig zweifellos dem Sicherheitsinteresse der bundesdeutschen Polizei.

Das änderte allerdings nichts an der Abwicklung der Stasi im Zuge der Wiedervereinigung. Der Sinn eines funktionierenden Sozialstaates wurde dabei auch bewiesen. Die Stasi-Agenten verloren zwar ihren Job, aber nicht ihre Rentenansprüche. Das erleichterte deren Integration in ein demokratisch verfasstes Gemeinwesen.

Was bedeutet das jetzt für die NSA?

In der bisherigen Debatte werden immer zwei Lösungsvorschläge zur Wiederherstellung elementarer Bürgerrechte genannt. Zum einen die naive Forderung nach Auflösung aller Geheimdienste, zum anderen die Propagierung technischer Lösungen zur Verhinderung des Zugriffs der Dienste auf die Online-Kommunikation. In der Debatte hat sich dabei eine Sichtweise durchgesetzt, die die rechtsstaatliche Regulierung geheimdienstlicher Aktivitäten für aussichtslos hält.

Das kommt etwa in diesem Artikel von Niels Fallenbeck zum Ausdruck. Er schreibt:
 

“Was mich verzweifeln lässt, sind der Glaube und die Erwartungen an den rechtlichen Rahmen und die regulatorischen Richtlinien. Wenn er [René Obermann] schreibt, dass es eine klare Regelung für das Abhören von Daten und deren Auswertung geben muss, dann ist das etwa so blauäugig, wie die Erwartung, dass Verkehrskontrollen künftige Übertritte der Höchstgeschwindigkeit verhindern, wenn man den Polizisten vorher die Augen verbindet und die Radarpistolen entsorgt.

Es liegt im Wesen des Regulatorischen und der Rechtsprechung, dass Übertritte sanktioniert, nicht aber verhindert werden. Es ist das Element der Abschreckung, mit dem sie arbeiten, basierend auf einer umfänglichen und zuverlässigen Überwachung. Doch erkennt einer die Sinnhaftigkeit der Regelungen nicht und wird darüber hinaus nicht einmal überwacht, wird er sich von ihnen nicht abhalten lassen. Wer bleibt nachts an einer roten Fußgängerampel stehen, wenn die Straße leer ist?”

 
Nehmen wir einmal das Beispiel der Fußgängerampel. In Deutschland ist das Phänomen zu beobachten, sich daran zu halten, selbst wenn es objektiv nicht erforderlich ist. Fallenbeck zwar scheinbar nicht, aber selbst er wird nachts mit seinem Auto an einer roten Ampel halten, obwohl niemand zu sehen ist; weder ein anderer Verkehrsteilnehmer, noch die Polizei.

Was ist der Unterschied zwischen dem Fußgänger und dem Automobilisten? Es gibt keinen, außer einem: Fallenbeck meint, sich als Fußgänger diesen Verstoß gegen die Straßenverkehrsordnung leisten zu können, und als Automobilist nicht. Dafür gibt es zwei Gründe. Zum einen die Sanktionsdrohung: Die Polizei wird den Fußgänger wohl nicht sanktionieren, den Autofahrer aber schon.

Zum anderen ist man vom Sinn dieser Regel überzeugt, selbst, wenn sie im konkreten Einzelfall als sinnlos erscheint. Fallenbeck unterstellt nämlich einen Konsens über die Akzeptanz dieser Regel bei allen anderen Verkehrsteilnehmern. Und dieser Konsens über deren Nutzen für die Funktionsfähigkeit des Straßenverkehrs motiviert Fallenbeck, an der roten Ampel zu halten – oder im Fall der Übertretung, die Sanktionierung zu akzeptieren.

Fallenbeck als Naturwissenschaftler unterliegt einem rechtsphilosophischen Irrtum. Regulierung soll nicht Übertritte verhindern oder gar unmöglich machen. Dieser Anspruch wäre auch totalitär zu nennen. Regulierung formuliert vielmehr einen Konsens über legitimes Handeln. An diesen Anspruch haben sich alle Gesellschaftsmitglieder zu halten, ob sie es im Einzelfall tun oder nicht, spielt dabei erst einmal keine Rolle.

Die Sanktionierung hat dabei nur die Funktion, diesen Konsens sicherzustellen. Gesetze sind ohne ihn sinn- und wirkungslos. Deshalb wird es auch wenig Zweck haben, etwa in Mogadischu eine Ampel aufzustellen, ob nun für Fußgänger oder Automobilisten.

Für die Geheimdienste in Rechtsstaaten gilt das gleiche Prinzip. Sie müssen sich an den Konsens halten, der in den entsprechenden Gesetzen über deren Handeln formuliert worden ist. Das Problem der NSA ist zur Zeit, dass sie diesen Konsens nicht nur nicht teilt: Sie ist sogar überrascht, dass der bisherige Konsens über die legislativen Möglichkeiten ihres Handelns in Frage gestellt wird.

Die Dienste betrachten immer noch den Primat ihres Überwachungsanspruchs als Ausdruck des gesellschaftlich akzeptierten politischen Willens. Erst die Festplatten von Snowden stellten diesen Konsens in Frage. Sie kommen den Diensten wie eine Ampel in Mogadischu vor. Plötzlich sollen sie an der Stelle halten, die ihre Kritiker Bürgerrechte nennen.

Kein Wunder also, dass sie sich jetzt fühlen wie der Fußgänger Fallenbeck nachts vor der roten Ampel. Sie unterliegen dem gleichen rechtsphilosophischen Irrtum, wahrscheinlich, weil in den Diensten zu viele Informatiker und Soldaten aktiv sind.

Laut der Debatte über die Rolle der Geheimdienste in der digitalisierten Welt ist eben nicht die Regulierung gescheitert. Soweit sind wir noch gar nicht, weil es noch keinen Konsens über das gibt, was Geheimdienste in Zukunft tun dürfen – oder eben nicht. Die Debatte hat vielmehr die Funktion, einen solchen Konsens neu zu formulieren. Sie soll zudem klarmachen, warum es zwischen der Stasi und Geheimdiensten in westlichen Rechtsstaaten einen entscheidenden Unterschied gibt, sonst hätten wir tatsächlich die Stasi nach der Wiedervereinigung übernehmen können. Notfalls kann man die bisherigen Damen und Herren in den Diensten, wie die ostdeutschen Kollegen, in den wohlverdienten Ruhestand schicken. Aber selbst dann wird es in Zukunft Verstöße gegen diese regulatorischen Rahmenbedingungen geben.

Bei Geheimdiensten nennt sich das bekanntlich Skandal. Er dient dazu, den Konsens sicherzustellen. Die Vorstellung einer technologischen Lösung gegen die Überwachung ist dagegen naiv. Es nützt bekanntlich auch nichts, die Ampel zu perfektionieren, wenn sich keiner daran hält.
 

Update

Hier die Antwort von Günter Hack auf den Beitrag
 
Crosspost von Wiesaussieht

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