#Bilder

Am Anfang war das Bild

von , 2.11.13

Es sieht ganz so aus: Im Netz jedenfalls wird ein immer größerer Teil unserer Kommunikation per Bild oder Video abgewickelt.

Jetzt hat Twitter einen weiteren Schritt in diese Richtung vollzogen: Bilder oder Kurzvideos, die mit Apps aus dem Twitter-Reich angefertigt werden, werden direkt in der Timeline angezeigt. Ein weiterer Klick, um das Bild zu sehen, ist nun nicht mehr erforderlich.

 

Sprache wird verdrängt

Wieder wird Sprache zu Gunsten des Bildes verdrängt. Vor dieser Änderung war es erforderlich, kleine Teasertexte zu schreiben, um dafür zu sorgen, dass ein Bild möglichst oft angeklickt wird. Ein Art kleine Gehirngymnastik war das – ein Moment der Reflexion, in dem man sich selbst noch einmal Gedanken machen musste, was es mit dem Bild überhaupt auf sich hat. Was oder wen sehen wir? Was bleibt verborgen? In welchen zeitlichen oder räumlichen Kontexten steht das Bild? Was ist das Besondere? Solche Fragen mussten wir uns zunächst selbst beantworten.

Nun können wir auch auf Twitter „gedankenlos“ Bilder posten. Schon kurz nach dem Start dieser Funktion dominieren die Bilder die nur-Text-Tweets und erlangen alleine dadurch eine größere Aufmerksamkeit.

Bildkommunikation im Netz ist in vielen Fällen reflexhafte Kommunikation, grandios unterstützt und vereinfacht durch entsprechende Apps und Funktionen in den sozialen Netzwerken. Das fängt beim Scharfstellen der Kamera an, geht über die Anwendung von Farbfiltern und den automatischen Upload in das Netzwerk der Wahl bis hin zur selbständigen Auswahl der besten Bilder durch einen unterstützenden Algorithmus.

Auf das absichtsvolle Betätigen des Auslösers folgt eine Kaskade von automatischen und kaum mehr zu beeinflussenden Verarbeitungsschritten. Das alles passiert aus der Erkenntnis der Betreiber der sozialen Netzwerke heraus, dass ihre Bewohner das Verfassen sinnvoller Texte – allein aus Zeitgründen – eher meiden, dass aber das reflexhafte Posten von Bildern auch ohne jeglichen kognitiven Prozess gelingen kann.

Es ist ihre Absicht, auf diese Weise die Nutzer soviel Content wie möglich produzieren zu lassen. Kurze Bildbeschreibungen und Tags reichen dann aus, um die Bilder in den Vermarktungsstrom einzuschleusen. Automatische Bilderkennung wird auch das bald überflüssig machen.

 

Das Bildvolumen steigt unaufhörlich

Der Erfolg gibt ihnen Recht: Die Zahlen über das Volumen der bildgestützten Kommunikation sind beeindruckend. Pro Minute werden 100 Stunden Videomaterial auf Youtube hochgeladen. Vine und Instagram haben das neue Format der Microvideos etabliert, täglich werden Millionen Kurzvideos hochgeladen.

Der Bereich Foto wächst ebenso gewaltig: Allein zum Jahreswechsel 2012/2013 wurden auf Facebook 750 Millionen Fotos hochgeladen – ein neuer Rekord. Auf den Servern von Google, Facebook, Twitter und Co. lagern mittlerweile mehrere Milliarden Bilddateien. Und mit Tumblr hat sich eine Plattform etabliert, deren Wurzeln erstmals nicht in der Schriftsprache liegen, sondern die von Anfang an als wichtigsten Informationsträger das Bild bevorzugte.

Maeve Duggan, Autorin einer am Donnerstag veröffentlichten Studie des PEW Research Centers, hebt dabei besonders den mobilen Aspekt hervor:
 

“Pictures document life from a special angle, whether they relate to small moments, personal milestones, or larger news and events. Mobile connectivity has brought these visuals into countless lives in real-time. This all adds up to a new kind of collective digital scrapbook with fresh forms of storytelling and social bonding.”

 
Die Studie bestätigt: Fotos und Videos sind integraler Bestandteil der Nutzungserfahrung im Netz. 62 % aller Internetnutzer laden eigene Fotos und Videos hoch oder verbreiten Material anderer Nutzer weiter – gegenüber einer Erhebung aus dem vergangen Jahr ein Anstieg um sechs Prozentpunkte.

Wobei noch nicht einmal klar ist, was ein Bild in diesen neuen Netzzusammenhängen überhaupt ist. Generationen von Wissenschaftlern haben sich in der Bildtheorie abgemüht, den Ausdruck in den Griff zu bekommen, doch Phänomene wie „Foodporn“ oder „Selfies“ warten noch auf ihre theoretische Einordnung.

 

Sprechen mit Bildern – eine Form der Geste

All das mag daran liegen, dass das Zeigen – ich zeige meinem Gegenüber mit Gesten oder einem Bild etwas – weit vor der Entwicklung der Sprache in unserem Gehirn angelegt ist. Insofern gestikulieren wir, wenn wir im Netz unsere Bilder zeigen. Schau: Das habe ich gegessen, das ist unsere Katze, da war ich in Urlaub, auf diesem Konzert bin ich gewesen. Realität wird mehr und mehr lückenlos dokumentiert (Google Glass lässt grüßen).

Was nicht als Bild oder Video irgendwo gezeigt ist, ist nicht passiert. “Wir lassen (den anderen) etwas sehen”, wenn wir ein Bild zeigen, wie es der Philosoph und Bildtheoretiker Lambert Wiesing ausdrückt.

Der Reiz des Bildes ist, dass man vordergründig glaubt, mehr zu sehen bzw. zu verstehen. Das Bild scheint näher an der Realität als ein geschriebener Text, der im besten Fall vor unserem geistigen Auge ein Bild entstehen lässt, immer aber unsere eigene Interpretation ist. Wenn wir uns da mal nicht täuschen!

Viel steht hier auf dem Spiel: Zunächst und an erster Stelle die Abkopplung von einer Schriftkultur, einem Bereich der Kultur, der entscheidend für die Organisation und Funktion unseres Zusammenlebens ist. Indem wir mit Bildern kommunizieren, werden wir von Zusammenhängen, Begründungen und Kontext entkoppelt. Es ist die freiwillige Aufgabe der Interpretationshoheit und die Unterwerfung unter neue, vielleicht sogar unbeabsichtigte Zusammenhänge.

Denn gleich neben der Reflexhaftigkeit bei der Verbreitung von Bildern steht die Reflexhaftigkeit der Auffassung. Für die Verarbeitung von Schrift und Bild sind unterschiedliche Instanzen in unserem Gehirn verantwortlich. Sender und Empfänger eines Bildes nehmen quasi eine Kommunikationsabkürzung unter Ausklammerung von Sprache und Denken. Ein sehr plakatives Beispiel für diese Form der Simplifizierung ist das jetzt in Deutschland gestartet Portal Upcoming.de, ein weit entfernter Verwandter von Buzzfeed, mit Beiträgen wie „Sag mir wie du heißt, und ich sag dir, wie doof deine Eltern sind“.

Meine Befürchtung: Über kurz oder lang entstehen neue Machtstrukturen, die die Sprachmächtigen vom Rest der Gesellschaft trennen. Aber vielleicht ist das auch zu kulturpessimistisch gedacht – schließlich erleben wir beispielsweise auf Vine auch ganz neue Formen der Kreativität, und Youtube ist eine großartige Plattform, die das Bewegtbildmonopol der TV-Sender für immer beerdigt hat.

 
Julius Endert bloggt auf Netz-Lloyd.

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