#Autoindustrie

Warum die Familie Quandt völlig unschuldig ist

von , 17.10.13

Am Dienstag ist eine Spende der Familie Quandt an die CDU bekannt geworden. Sie hat kurz nach der Bundestagswahl 690.000 Euro an den Schatzmeister der Partei überwiesen. Der Fall ist ein gutes Beispiel dafür, wie heute Medienprozesse funktionieren. Sie operieren mit dem Instrument des nicht belegten Verdachts und verzichten auf die Analyse realer ökonomischer und politischer Bedingungen. Dazu gehört zudem eine bemerkenswerte historische Blindheit. Das alles führt zu einer Form der Skandalisierung, die allerdings mittlerweile nichts anderes als der eigentliche Skandal ist.

Aber der Reihe nach.

Die Veröffentlichung ist übrigens nicht den Recherchefähigkeiten des investigativen Journalismus zu verdanken, sondern findet sich auf der Homepage des Bundestages. Sie entsprach damit den Vorschriften des Parteiengesetzes. Solche Spenden sind keineswegs illegal. Die Familie Quandt und die Union haben sich rechtlich völlig korrekt verhalten.

Die Debatte begann wegen einer schlichten zeitlichen Koinzidenz. In Luxemburg fand nämlich eine Konferenz der EU-Umweltminister statt, wo es um ein altes Brüsseler Thema ging. Seit Jahren wird in der EU über die Verschärfung des zulässigen CO2-Ausstosses von Autos diskutiert, wie man etwa in dieser Veröffentlichung des Ifo-Instituts aus dem Jahr 2008 nachlesen kann.
 

“In kaum einem anderen Bereich ist die Klimabilanz der Bundesregierung derartig blamabel wie im Verkehr. Nicht die EU-Kommission betreibt Lobby-Politik für Frankreich und Italien, sondern Merkel, Gabriel und Glos für Porsche, Mercedes und BMW.”

 
Den Hintergrund der aktuellen Debatte findet man beim Bundesumweltministerium.

In Luxemburg ging es nun darum, die ursprünglich für das Jahr 2020 beschlossenen Grenzwerte erst im Jahr 2024 einzuführen. Aus diesem zeitlichen Kontext wurde in den Medien ein logischer Zusammenhang namens Korruption konstruiert: Ohne die Quandt-Spende in Höhe von 690.000 Euro hätte es diese Intervention der Bundesregierung in Brüssel nicht gegeben. Ansonsten machte der Begriff “Korruption” keinen Sinn. Für diese Behauptung gab es allerdings keinen einzigen Beleg. Es hat sich noch nicht einmal jemand die Mühe gemacht, diesen politischen Sinneswandel von Frau Merkel durch Geldzahlung der BMW-Aktionäre nachzuweisen. Den meisten, so ist anzunehmen, ist das auch egal gewesen. Insofern störte es niemanden, dass es vergleichbare Spenden der Quandts nach Bundestagswahlen an die sogenannten “bürgerlichen Parteien” schon immer gegeben hat.

Wie gesagt: Die Quandt-Spenden waren legal und wurden korrekt beim Bundestag angemeldet. Ein Zusammenhang zwischen der deutschen Politik in Brüssel und diesen Spenden ist nicht nachweisbar. Er ist auch absurd, wenn man denn wüsste, worum es in diesem Konflikt geht. Dafür müsste man nämlich in die Jahre 1992/1993 zurückgehen.

Damals stand das Modell Deutschland auf der Kippe. Kurz nach dem Wiedervereinigungsboom drohte den industriellen Kernen des deutschen Industriemodells der Untergang. Ob die Autoindustrie, der Maschinenbau oder die Chemie, alle Sektoren gerieten gleichzeitig in eine existentielle Krise, die die “diversifizierte Qualitätsproduktion” einem enormen Anpassungsdruck aussetzte. Neue Wettbewerber und die Anpassung der Produktion an die Bedingungen der Mikroelektronik sind die entsprechenden Stichworte.

Dieser Anpassungsprozeß ist nicht über den Preiswettbewerb mit den Asiaten oder Osteuropäern erfolgt. Diese desaströse Strategie verlangten nur neoliberale Clowns wie das IfO-Institut. Vielmehr erfolgte die Anpassung über eine Wettbewerbsstrategie, die hohe Qualität mit der Flexibilisierung von Produktionsprozessen verband. So ist die deutsche Autoindustrie heute im  Marktsegment der automobilen Oberklasse weltweit ohne Konkurrenz. Daimler, BMW, Audi und Porsche teilen sich diesen Markt untereinander auf.

Die Vorteile sind offensichtlich. In diesem Marktsegment spielt der Preisdruck nicht die entscheidende Rolle, zudem lassen sich hier noch auskömmliche Margen erzielen – und das wichtigste Argument: Dieses Segment expandiert. Mittlerweile verkaufen die Deutschen in China genauso viele Autos wie in den USA. Wenn die deutsche Autoindustrie ihr Beschäftigungsniveau seit 1992 sichern konnte, findet man hier die Ursache.

Jetzt darf sich jeder eine Frage stellen: Braucht man wirklich 690.000 Euro, damit eine Bundesregierung die komparativen Vorteile des deutschen Modells vor dem Brüsseler Interventionismus sichert? Natürlich kann man anderer Meinung sein.

Man kann auch auf die Kompetenz neoliberaler Ökonomen (oder der ökonomischen Kompetenz einer Frau Müller von Transparancy International) vertrauen, die den Sinn der “diversifizierten Qualitätsproduktion” noch nie verstanden haben. Die das Kooperationsmodell zwischen Politik, Unternehmen, Gewerkschaften (früher auch Banken) im deutschen Korporatismus schon immer als Lobbyismus denunzierten. Die nie verstanden haben, wie im deutschen Modell der Konflikt zwischen einzelnen Akteuren zum institutionellen Arrangement gehört hat. Dazu gehörte übrigens auch die Einsicht, dass in diesem System die Strukturanpassungen die entsprechende sozialstaatliche Absicherung benötigen. Von Frau Müller wird man dazu übrigens auch keine Antworten erwarten dürfen.

Über diesen Kontext ist seit Dienstag nicht gesprochen worden. Wie auch? Dafür müsste man schließlich wissen, worüber man redet. Stattdessen stellt man Kontexte her, die nicht existieren, und diffamiert rechtlich korrektes Handeln als Korruption. Natürlich kann man an den Regeln der Parteienfinanzierung etwas ändern.

Immerhin gibt es aber gegenüber den Verhältnissen in der alten Bundesrepublik einen Fortschritt: Die Namen der Parteispender sind offenkundig bekannt. Seit Helmut Kohl könnte man das als Fortschritt verstehen. Wer die Familie Quandt kritisieren will, wird ansonsten weiterhin viele gute Gründe finden können. Deren Spende an die CDU ist keiner.

Ansonsten wären die Quandts ein guter Anlaß, um mit Frau Merkel über die Einführung der Vermögensteuer zu diskutieren. Für eine Spende an die Union bliebe übrigens sogar noch nach deren Einführung genug übrig. Vielleicht sollte das die SPD in ihren Gesprächen mit der Kanzlerin zur Sprache bringen.

 

Update, Mittwoch, 16:33 Uhr

Auf Spiegel online schreibt deren Brüssel-Korrespondent Gregor-Peter Schmitz gerade:
 

Dieses ganze unwürdige Spektakel für eine Handvoll Euro? Der drohende deutsche Glaubwürdigkeitsverlust ist fatal in Zeiten, da Deutschland gern als Zuchtmeister der Euro-Krisenstaaten auftritt.

 
Nicht die Glaubwürdigkeit, sondern das substanzlose Gerede über den deutschen Zuchtmeister ist das Problem der deutschen Europapolitik. Wenn diese Spendendebatte das Gerede beendete, wäre schon viel geholfen.

Und wenn man schon über die Schieflage der deutschen Volkswirtschaft reden will, müsste man eben nicht über die Autoindustrie (und deren Interessen) reden, sondern über eine Politik, die den Binnenmarkt zu Gunsten des Exportsektors strangulierte. Wir müssen nicht weniger Autos in China oder den USA verkaufen, sondern brauchen im Binnenmarkt mehr Investitionen und höhere Einkommen. Aber das werden die “deutschen Zuchtmeister” wahrscheinlich nie verstehen.

 
Crosspost von Wiesaussieht

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