#Egoismus

Ist Fairness nur für Muppets (Teil 8): Brauchen wir die Puppenspieler?

von , 14.10.13

“Wir wettern gegen das Laster und versuchen um jeden Preis, es auszurotten – doch andererseits ist es die Quelle unseres Wohlstands.” (Tomas Sedlacek1)

 
Im Sommer hatte ich den vorerst letzten Teil dieser Reihe veröffentlicht. In dieser Reihe, die auf eine Blogparade im Januar zurückgeht, spielt die Frage nach dem Umgang mit Fairness in der Wirtschaftspraxis eine zentrale Rolle.

Bisher erschienen:

 

Cut the Investigator, Grafik: Truthout, CC BY-NC-SA

Cut the Investigator, Grafik: Truthout, CC BY-NC-SA

 
Am Ende des siebten Teils überkamen mich Zweifel, weil ich Passagen dieser Reihe als zu einseitig empfinde. Und ich frage mich, ob wir uns nicht oft in der Öffentlichkeit zu selbstgerecht verhalten, wenn wir “schlechtes Verhalten” in der Wirtschaft oder Politik kritisieren. Die Zweifel kamen mit der Lektüre von Tomas Sedlaceks “Ökonomie von Gut und Böse” und dem Abschnitt über Mandeville, den Sedlacek als Vater der modernen Ökonomie bezeichnete.

 

Mandevilles Bienen

Sedlacek befasst sich intensiv mit Mandevilles Bienenfabel2 und der Kritik, die er dazu von vielen Zeitgenossen – darunter übrigens auch Adam Smith – geerntet hat. Am Beispiel des Bienenstaates will Mandeville zeigen, dass der Wohlstand nicht nur dem tugendhaften Verhalten entspringt, sondern auch aus Leidenschaften und Lastern.

“Intuitiv und durch Beobachtung der Menschen”, so interpretiert Patrick Welter3, “verstand der Arzt Mandeville, daß der Drang des Menschen nach Mehr die entscheidende Antriebskraft für die Wirtschaft ist. Sein Lob des Luxus und der dadurch entstehenden Nachfrage fand noch 1936 die große Zustimmung von John Maynard Keynes.”

Sedlacek schreibt4:
 

“Im Hinblick auf die Ökonomie von Gut und Böse ist Mandeville ganz offensichtlich überzeugt, dass die privaten Laster zum öffentlichen Wohlstand beitragen und daher von Vorteil sind. … Nach Ansicht von Mandeville sind die Märkte nicht nur Koordinatoren der menschlichen Interaktionen, sondern können auch persönliche Laster in Tugenden und damit in öffentliche Vorteile verwandeln.”

 
Wir empören uns ständig über das unfaire Verhalten der Puppenspieler, die Gier ganzer Bevölkerungsgruppen, und leiten von dort aus oft über zur Kritik am System. Wir stellen aber selten die Frage, ob wir nicht auch gerade von diesem System – in welcher Form auch immer – profitieren. Mandevilles Verdienst ist es, diese Heuchelei deutlich zu machen. Mandeville hielt der Geselllschaft seiner Zeit einen bitteren Spiegel vor, weil wir gerade den (verhassten) Lastern mehr zu verdanken haben, als wir uns eingestehen wollen. Dazu kommt, dass so manch einer, der Gier und Laster kritisiert, sich ebenso unfair verhalten würde, wenn er die Gelegenheit dazu hätte5.

 

Von konstruierten Gegensätzen zwischen “Marktvolk” und “Staatsvolk”

Wir konstruieren oft Gegensätze zwischen den “bösen Märkten” und den “guten Bürgern” bzw. zwischen “Marktvolk” und “Staatsvolk”, wie in Wolfgang Streecks Kapitalismuskritik.6 An dieser Gegenüberstellung stört sich Michael Brie in seiner Kritik an Streecks Buch zu Recht, wie ich finde. Brie schreibt:7
 

“Den hochdynamischen eigeninteressierten Kapitaleigentümern wird ein passiviertes Staatsvolk gegenübergestellt, dass höchstens durch die Staatsmacht zur Kraft wird.” Brie stört sich an dem Gegensatz der zentralen Denkfigur von “Staatsvolk” und “Marktvolk”: Hier das agile Kapital, dort die passiven Bürger? Streek und viele andere Systemkritiker erzählen oft die “Opfergeschichte”, in der das „Staatsvolk“ vom „Marktvolk“ über den Tisch gezogen wird.”

 
Brie schreibt weiter:
 

“Der neoliberale Kapitalismus konnte sich also durchsetzen, weil er diese neuen Lebensmöglichkeiten in sein Projekt integrierte und ihnen damit eine Ausstrahlungskraft gab, die der Nachkriegskapitalismus nicht hatte. Für große Teile der Bevölkerung bedeutete er den Aufstieg in eine Welt sprunghaft erhöhter Vielfalt und Chancen. Dies hieß aber auch: Der Kampf gegen den entfesselten Finanzmarkt-Kapitalismus kann die neuen Erwartungen, Lebensstile und Kommunikationsweisen nicht rechts liegen lassen. … Doch wo real eine Vielfalt herrscht, konstruiert Streeck zwei „Völker“ – Staats- oder Marktvolk –, die sich feindlich gegenüberstehen wie im orthodoxen Marxismus Arbeit und Kapital.

Würden die Bürgerinnen und Bürger in ihrer Rolle als „Staatsvolk“ dem „Marktvolk“ die Gefolgschaft aufkündigen, müssten sie sich selbst ändern. Die Mittelschichten sind zugleich „Staatsvolk“ und „Marktvolk“. Und die Klasse der Industriearbeiter ist über die exportorientierten Unternehmen vom Erfolg dieser Unternehmen auf den globalisierten Märkten abhängig. Nur die Gruppe jener, die ganz von Sozialhilfe abhängt, könnte man überhaupt fast völlig Streecks Kategorie des Staatsvolkes zuschlagen.

Aber die Daseinsvorsorge dieser sozialen Gruppen hängt völlig von den Steuereinnahmen des Staates ab und davon, wie viel nach Bedienung der Staatsschulden noch bleibt, also vom Markterfolg des Wettbewerbsstaats. Dies gilt auch für die Angestellten im öffentlichen Dienst, wie gerade die Journalisten des staatlichen Rundfunks und Fernsehens in Griechenland erfahren. Am anderen Pol bekennt sich der erfolgreiche Finanzspekulant George Soros offen zu „schizophrenem Verhalten“: Einerseits profitiert er rücksichtslos von der „Freiheit“ der Finanzmärkte und andererseits setzt er sich als Weltbürger für deren konsequente Regulierung und offene demokratische Gesellschaften ein.”

 

Heucheln wir unsere Empörung?

Es mag uns unbequem vorkommen, aber wir können Mandevilles Konzept, dass moralische Laster des Einzelnen dem Ganzen wirtschaftlichen Wohlstand bringen können, nicht einfach ignorieren. Ganz nebenbei bemerkt, bezeichnet Sedlacek übrigens Mandeville als wahren Vater der Idee der unsichtbaren Hand des Marktes, die oft Adam Smith zugeschrieben wird8.

Wir heucheln zu oft unsere Empörung, weil wir es nicht mögen, wenn jemand gegen Regeln verstößt und sich unfair verhält, gleichwohl profitieren wir häufig davon. Gleichzeitig sind wir bereit, kollektiv unsere Augen zu verschließen, wenn wir davon profitieren.

Die Welt ist jedenfalls nicht Schwarz und Weiß. Das ließe sich beispielhaft an einzelnen Personen, aber auch an kollektiven Verhaltensweisen in der Wirtschaft zeigen. Als Einzelperson nenne ich den weithin nicht nur in Wirtschaftskreisen bewunderten Steve Jobs. Wer Walter Isaacsons autorisierte Biografie über den Apple-Gründers gelesen hat, der weiß, wie wenig sich Jobs für Fairness interessiert hat.

Ein Beispiel für kollektive Ignoranz ist unser Vogel-Strauß-Verhalten gegenüber dem Finanzsektor bis zum heißen Ausbruch der Finanzkrise 2007 bzw. spätestens 2008. Und wir haben auch deswegen unsere Augen zugedrückt, weil viele, sehr viele davon profitiert haben.

Ich vertrete die These, dass wir mehr, als wir akzeptieren wollen, von den Puppenspielern profitieren. Mandeville wurde vielleicht für sein unbequemes Bekenntnis auch deswegen angefeindet, weil seine Gegner ahnten, dass er richtig lag. Eine Rechtfertigung für unfaires Verhalten lieferte Mandeville damit freilich nicht. Er sprach lediglich eine unbequeme Wahrheit aus, die wir auch heute gern verdrängen.

 


 

  1. Tomas Sedlacek “Ökonomie von Gut und Böse”, Pos. 3796
  2. Diese Fabel gibt es in verschiedenen Versionen, hier die Fassung , die 1705 anonym als Flugblatt erschienen sein soll.
  3. Patrik Welter in: Der Sonntagsökonom · Gier ist gut – sonst müßt Ihr Eicheln essen, FAZ Online am 1.5.2005
  4. Tomas Sedlacek “Ökonomie von Gut und Böse”, Pos. 3873
  5. Einen Anhaltspunkt dafür mag die Studie The Cheater’s High: The Unexpected Affective Benefits of Unethical Behavior geben. Das Fazit der Studie von Nicole E. Ruedy von der Universität Washington und ihrem Team nach einer Reihe von Experimenten: Schummeln hebt die Stimmung (vgl. Harvard Business Manager Online v. 30.9.13)
  6. Wolfgang Streeck, Gekaufte Zeit – Die vertagte Krise des demokratischen Kapitalismus, Suhrkamp 2013
  7. Vgl. Michael Brie, Vorwärts in die Vergangenheit? in: Blätter für deutsche und internationale Politik, 7/2013
  8. Tomas Sedlacek “Ökonomie von Gut und Böse”, Pos. 3723

 
Crosspost von Blick Log

Zustimmung, Kritik oder Anmerkungen? Kommentare und Diskussionen zu den Beiträgen auf CARTA finden sich auf Twitter und auf Facebook.