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Eine ungeheuer starke Stimme gewinnt in Frankfurt den Deutschen Buchpreis 2013

von , 8.10.13

Mitten in diese Stille hinein wird die Gewinnerin des diesjährigen Buchpreises genannt, vorgestellt, auf die Bühne geholt, wo sie noch warten muss, bis die Jurybegründung verlesen ist, die „länger als üblich“ ausfällt.

Dann Dankesrede, mit ebenso aufrichtigem wie unprätentiösem Dank an die Mutter, Dank aber auch an „das Dorf“, das nicht nur für das gesunde Aufwachsen eines Kindes nötig ist, sondern auch für die Entstehung eines Buches, eines Buches in diesem Umfang, mit diesen Themen und dieser so ungewöhnlichen Dramaturgie.

„Das Ungeheuer“ heißt das Buch, das von Darius Kopp handelt, hinter dem alle Brücken abgebrochen werden, man muss es so ausdrücken, der auf der Straße ist, dem nichts anderes übrig bleibt, als sich mit der Asche seiner Frau in einer Urne auf dem Beifahrersitz auf den Weg zu machen, der sozusagen gegen den Strom der vorangegangenen Ereignisse zurückführt in das Land, aus dem Flora stammt, zurück nach Ungarn. Und dann über Ungarn hinaus, und auch über sein bisheriges Leben hinaus.

 

Terézia Mora, März 2010, Foto: Amrei-Marie, CC BY-SA

Terézia Mora, 2010, Foto: Amrei-Marie, CC BY-SA

Ungarn, das ist das Land, in dem Terézia Mora geboren ist, das sie schon als Kind verlassen wollte und 1990 verlassen hat, als sie in Berlin ankam, um zu studieren. Zweisprachig aufgewachsen, verfügt sie über die seltene Gabe, am selben Ort zu stehen und aus zwei Perspektiven auf einmal sehen zu können, zwei Sprachen zur Verfügung zu haben, um zu beschreiben, zu denken und zu fühlen – nicht nur, aus der einen in die andere zu übersetzen.

1999 hat sie für eine Erzählung aus ihrem Debüt „Seltsame Materie“ den Ingeborg-Bachmann-Preis bekommen, wenige Jahre später folgte für den ersten Roman „Alle Tage“ der Preis der Leipziger Buchmesse und der Mara-Cassens-Preis für das beste Romandebüt des Jahres.

2009 erschien „Der einzige Mann auf dem Kontinent“, um eben jenen Darius Kopp, der im soeben preisgekrönten Roman erkennen muss, dass er zwar mit ganzem Herzen liebte, aber nichts, überhaupt nichts wusste über seine Frau. Die sich nach ihrem Tod umso unerbittlicher einmischt in sein Leben, in Form ihres Tagebuches, ihrer Texte, abgespeichert auf Darius’ Laptop, „die Dateien in chronologischer Reihenfolge, die Ereignisse nicht“.

Von da an, ab Seite 82, liest man zweistimmig. Entweder im oberen Teil der Seite Darius, oder im unteren Flora. Mal ist es Kommentar, mal bitterer Widerspruch, mal eine dieser Ergänzungen, die man sich im eigenen Leben wünscht, wenn man an vergangene Lieben denkt und sich vorstellt, wie es wäre, man könnte noch einmal eine Nacht zusammen an einem Küchentisch sitzen und zwischen all den „Weißt-du-nochs“ die eigentlichen Fragen stellen.

Und während man sich das vorstellt und weiterliest in Terézia Moras Buch, will man diesen Gedanken wieder zurückhaben, weil Darius seine Antworten aufgezwungen bekommt. Weil er eben nicht danach gefragt hat. Weil er nun allein ist, während er sie aushalten muss, weil etwas Unausweichliches geschehen ist, nämlich der Suizid seiner Frau, womöglich in genau der Zeitspanne, die er, mit Blumen von der Tankstelle auf dem Schoß, vor ihrem Häuschen im Wagen auf sie gewartet hat.

 

„Da ich im Besitz aller shortlist-Titel bin, bin ich automatisch im Besitz des Preisträger*innenbuches. Tippe auf Terézia Mora“

 
habe ich vor ein paar Tagen auf twitter geschrieben, und ich muss sagen, ich bin sehr glücklich darüber, dass ich Recht behalten habe. Die Mechaniken eines solchen Preises sind nicht immer durchschaubar, die shortlist hat mich sogar ausgesprochen ratlos zurückgelassen. Gewonnen hat nun aber ein Buch, das sich nicht aufhält mit formalen oder sprachlichen Spielereien, das man vor allem nicht reduzieren darf auf sein Konzept der parallel laufenden Erzählungen, sondern eines, das mit ungewöhnlich starker Stimme eine ganz und gar aus seinen Figuren stammende, äußerst vielschichtige Geschichte erzählt.

 

Terézia Mora, Das Ungeheuer, Luchterhand, 22,99 €
www.tereziamora.de

 
Pia Ziefle ist Autorin des Romans Suna und bloggt auf Pia Ziefle | Autorin
 

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