#G+J

Stern-Deuter

von , 23.3.13

7.3.2013. Vorgeschichte.

Der Stern hat ab dem 14. März ein neues Gesicht. Was die Botox-Kur gebracht hat, zeigt er in einer Vorschau im Web: „Der neue stern – Modern. Groß. Planbar.“ Eine echte Revolution! Der Stern ist bald planbar! Das heißt, bis heute ist er es nicht, also planlos. Wofür haben mein alter Abendblatt-Kollege Thomas Osterkorn und sein Co Andreas Petzold in den 14 Jahren ihrer Chefredaktions-Regentschaft dann bloß ihre Millionen bekommen?

Groß. Das finde ich toll. Während Tageszeitungen das Format für besseres Handhaben verkleinern, wird der Stern groß. Erscheint er im Rheinischen Format? Laut Video-Trailer nicht. Groß? Aha.

Unter dem Motto sind Bilder. Darin stehen die nächsten Parolen: „Veränderung ist Fortschritt.“ Bravo! Als die Schleckers anfingen, ihr Imperium zu verändern, wurden in der Folge 10.000 Schlecker-Frauen entlassen. Jawohl, Veränderung ist Fortschritt. Als der Stern die Geschichte verändern wollte, veröffentlichte er die Hitler-Tagebücher. Bravo, Veränderung ist Fortschritt.

Im nächsten Bild steht „Sorry Henri Nannen, es musste sein.“ Im neuen Blog heißt es dazu: „Immer wenn sich etwas ändert, liegt die Frage nahe: Was hätte wohl der Gründer, Übervater, Vordenker vergangener Tage gesagt.“

Ich glaube, er hätte getobt. Liebe Kollegen, ich habe in der Grundschule gelernt, dass am Ende einer Frage ein Fragezeichen steht. Falls Ihr meinen Deutschlehrer interviewen wollt, suche ich Euch gern den Namen raus. Wird aber wohl schwierig werden, ihn zu erreichen.

Dann kommt das dicke Versprechen: „Neuer Look, neue Struktur, neue Haltung.“ Neue Haltung, oho. Zum Glück erklärt mir die Redaktion das mit acht Schlagwörtern:
1. Zuversicht, 8. Optimismus. Liebe Kollegen, ich bin ja ein Blödi und hab nicht studiert. Bitte, bitte, erklärt mir den Unterschied!

Die neue Struktur gliedert sich in Angebote für „Kopf, Herz und Bauch“. Die Abteilung Kardiologie wird mit „Reportagen, Portraits, Essays…“ beschrieben. Der Duden-Band 9 „Richtiges und gutes Deutsch“ teilte schon 1985 mit, dass die Schreibweise Portrait veraltet ist. Veränderung ist Fortschritt. Oder eher Rückschritt?

Unter dem Rubrum „Das Making of des neuen stern“ (welch eine Zeile!) findet sich ein Video. Darin kommt auch Johannes Erler, „stern art Director“, zu Wort: „Wir sind hier in der Entwicklungsredaktion, in der geheimen Kammer, in der über Monate niemand rein durfte und wo es geschah.“

Ich darf in die Kammer der Verheißung schauen! Dass der Stern mir so vertraut, ehrt mich. Ich möchte davon aber lieber keinen Gebrauch machen. „Die Kammer, in der niemand rein durfte“ ist zumindest sprachlich für mich eher die Kammer des Schreckens.

Lieber Herr Direktor, eine kleine Frage am Rande: Wenn über Monate niemand in die Kammer durfte, was ist dann drinnen passiert? Haben dort der Heilige Geist und die renommierte Zeitschriften-Designerin Fata Morgana etwas Neues erschaffen? Niemand weiß wie, aber es geschah. Wie schön für den Stern.

Die Redaktion bloggt dann auch. Das Grußwort hat Dominik Wichmann geschrieben, seit Januar neuer Chefredakteur: „Und wo viele Menschen zusammenarbeiten wird diskutiert, bisweilen gestritten, werden viele Entscheidungen getroffen, großartige Dinge geschaffen und Fehler gemacht.“ Zumindest das mit den Fehlern stimmt. Nach zusammenarbeiten kommt ein Komma.

Zusammengenommen wundert mich das alles nicht. Der Stern ist seit jeher ein großer Sprachpanscher, wie mein früherer Chef, Kollege und Freund Wolf Schneider das nannte. „stern art Direktor“: Stern klein, Art klein, Direktor groß. Wieso schreibt man Stern überhaupt klein? Bloß weil irgendein Grafiker das vor Jahrzehnten schick fand, werde ich doch nicht falsches Deutsch schreiben. Und Namen schreibt man groß.

Schulter an Schulter kämpfen Stern und Spiegel auch seit Jahrzehnten für die Abschaffung des Genitivs. „Die Macher des neuen stern.“ Das ist ein so schlechtes Deutsch, dass es mich graust. Eigennamen werden im Deutschen gebeugt. Trotzdem äffen mittlerweile ganze Hundertschaften von Journalisten das nach, selbst bei den öffentlich-rechtlichen Sendern, die sich angesichts ihrer sieben Milliarden so gern auf den Qualitätsanspruch berufen.

Dass es auch anders geht, habe ich mit meinem guten Kollegen und damaligem Chef Ralf-Dieter Brunowsky (zehn Jahre Chefredakteur Capital) bei der Geldidee bewiesen. Als Daimler und Chrysler „Hochzeit im Himmel“ feierten (Vorstandsvorsitzender Jürgen Schrempp), schenkte ihnen das Marketing für den gemeinsamen Hausstand den Namen DaimlerChrysler. Bruno und ich haben entschieden, uns weder der Hauspolitik des Konzerns zu beugen noch seiner Marketingabteilung. Wir schrieben konsequent Daimler-Chrysler. Korrektes Deutsch war uns wichtiger.

Leider sind solche Haltungen anscheinend so staubig geworden, dass sie heute vom global-denglischen Marketing von den Bürostühlen geputzt werden. Veränderung ist Fortschritt. Stimmt. Aber manchmal in die falsche Richtung.

Mein Fazit der Vorschau: Viel hohles Marketing-Getöse, erschreckend viele Fehler für ein Magazin mit diesem Anspruch, der neue Look ist für mich ein Me-too-Design, eben was man derzeit so macht. Nur dass der Stern dafür um die Welt gejettet ist und mit den teuersten Leuten gesprochen hat.

 

Irrflug im Arroganz-Nebel?

Der Stern blamiert sich. Warum gibt das Blatt bloß 25 Millionen Euro aus, um sich zu blamieren? Ich schaffe das schon mit zwei Bier und meiner großen Klappe.

1) Heute hatte ich zum Glück eine rettende Idee. Der neue Stern! Für bloß 1 Euro! Gerade noch rechtzeitig, bevor morgen der Teure kommt! Ab zum Kiosk. Ich war dann doch etwas verwundert, dass 1 Euro heute 6,50 Franken sind. Offensichtlich habe ich eine dramatische Kursentwicklung verpasst. Ich muss morgen mal Remo anrufen, der hat Wirtschaft studiert.

Das Einzige, was mich beruhigt: Google hat das auch verschlafen. Die sagen mir doch glatt, 6,50 CHF seien 5,32 Euro! Das kann natürlich gar nicht sein, schließlich kostet der neue Stern nur 1 Euro.

2) Als Erstes habe ich mich auf „Was uns bewegt“ geworfen. Der Chefredakteur tauft sein neues Kind. Welch bewegender Moment! Mich hat nur eine Winzigkeit gestört. Wichmann schreibt im selben Satz in Zeile 2 „Gründer des stern“ und in Zeile 4 „des Norddeutschen Rundfunks“. Aha. Was will Wichmann damit sagen?

Vermutlich, dass der Stern einzigartig ist, auf höchstem nur denkbaren Niveau arbeitet und ihm niemand auch nur das Wasser reichen kann. Deshalb werden die Namen anderer Redaktion gebeugt. Wie es sich gehört. Der Rangniedere beugt das Knie vor dem Ranghöheren. Jungs, hat das Navi Euch bei Eurem Sternen-Flug auf die falsche Route geführt? Habt Ihr Euch im großen Arroganz-Nebel verflogen?

2) Ich war wahnsinnig gespannt auf die neue Struktur Kopf-Herz-Bauch. Endlich mal dasselbe Thema aus verschiedenen Blickwinkeln beleuchtet. Neben dem Polit-Artikel steht die wirtschaftliche Betrachtung, und das Feuilleton-Stück philosophiert über die gesellschaftliche Bedeutung. Allein, ich finde Kopf-Herz-Bauch nicht.*

Der Stern hat immer noch die klassische Rubriken-Einteilung. Politik, Gesellschaft, Wirtschaft. Wo, bitte, sind jetzt Kopf, Herz und Bauch?

3) Eine Entscheidung der Chefredaktion finde ich besonders konsequent: Das Journal gibt es nicht mehr. Chapeau! Trotzdem steht es im Inhaltsverzeichnis. Aha. Es hat jetzt aber andere Inhalte. Das alte Journal heißt nun Extra. Das neue Journal heißt Journal. Das hilft mir wirklich weiter. Ich weiß nur nicht, wie.

Was sagte der Stern in seiner Vorschau? „Veränderung ist Fortschritt.“ Liebe Kollegen, seid Ihr da wirklich sicher?

Ich bin jetzt auf Seite 7 des neuen Sterns. Ich muss abbrechen. Ich muss zum Physiotherapeuten. Irgendwie habe ich meine Muskeln beim Kopfschütteln schon wieder zu sehr beansprucht.

 

* Pardon. Das ist natürlich alles Unsinn, was ich da geschrieben habe. Ich hatte das Kleingedruckte im Ankündigungsversprechen nicht gelesen. Aber hellgraue Schrift auf weißem Grund ist für alte Männer eben manchmal mühsam. „Große Interviews“ sind Herz.

Groß ist das Gespräch mit Gorbatschow wirklich; also erstmal lang. Aber hervorragend gefragt und geschrieben. Vorne ist es sehr herzlich. Wenn sich allerdings die letzten sieben Spalten mit Themen wie „Die Folgekosten beliefen sich auf viele Milliarden Dollar“ (Anm.: in der Sowjetunion) beschäftigen, frage ich mich, was das mit Herz zu tun hat.

Aber der Text muss in die Herz-Abteilung. Denn es ist ja ein großes Interview. Für mich hätte es in die Politik gehört. Warum nicht für den Stern?

Kleine Fragen am Rande: Wieso wurde in der UdSSR eigentlich in Dollar bezahlt? Wann wurde der Rubel denn abgeschafft?

 
Crosspost von Deleatur (Teil 1 und Teil 2 werden hier als ein Text veröffentlicht). Berndt Schramka lebt in der Schweiz und war 11 Jahre Stellvertretender Leiter der Henri-Nannen-Journalistenschule, die von Gruner+Jahr, ZEIT und Spiegel getragen wird.

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