#Berater

Suggestion der Alternativlosigkeit: Politikberatung und Euro-Krise

von , 6.2.13

 

Politikberatung hat Konjunktur. Die Diskussion über Beratung auch. Das hat auch etwas mit der Konturlosigkeit des Begriffs zu tun. So steht das Schlagwort „Beraterrepublik“ für den Einfluss von Lobbygruppen, Kommunikations-Agenturen und Unternehmensberatungen. Gleichzeitig hat nicht zuletzt die Finanzkrise Zweifel an der Qualität wirtschaftswissenschaftlicher Experten ausgelöst.
In einer kleinen Serie veröffentlicht Carta in den nächsten Wochen Positionen von Gastautoren, die Politikberatung als Auftraggeber, Berater oder Beobachter kennengelernt haben – zwischen Mythos, Macht und Machbarkeitsglaube. Zum Abschluss der Serie widmet die Reihe Carta Diskurs dem Thema am 7. März eine Veranstaltung.

 
1. Die gegenwärtige Beruhigung der „Märkte“ mit Blick auf den Euro ist unter dem hilflos schulterzuckenden Zuschauen und Hinnehmen des demokratischen Souveräns erkauft worden:

– durch den laufenden Bruch europäischer Verträge und das Absegnen dieser Vertragsbrüche durch den Europäischen Gerichtshof und das Bundesverfassungsgericht und damit die partielle Aufgabe der „Rule of Law“ und des Rechtsstaats, wie wir ihn kennen (1);

– durch die den EU-Verträgen und Verfassungsgerichtsurteilen widersprechende Haftungsübernahme der von unfähigen und/oder korrupten Eliten in EU-Ländern mit defizitärem Rechtssystem verursachten Bank- und Staatsschulden durch deutsche Steuerzahler und Rentner in Form von – spätestens nach der Bundestagswahl – einsetzender Inflationierung („repressive inflation“) und den damit verbundenen Wohlstandseinbußen der Nicht-Sachvermögensbesitzer, also vor allem Rentner und Nichtbegüterte (2);

– durch die Installierung von EZB-Präsident Draghi als dem mächtigsten Mann am Geldhahn Europas, d. h. weitgehend Deutschlands, der in jener Zeit bei J. P. Morgan tätig gewesen war, als diese ehrenwerte Bankgesellschaft – gegen Honorar – Griechenland dabei geholfen hat, sich in den EURO hinein zu lügen.

2. Vor diesem Hintergrund nimmt sich der öffentlichkeitswirksame Feldzug gegen Lobbyisten, Unternehmens- und Politikberater, PR- und PA(wo)men, Spin Doctors und mephistophelische Einflüsterer, vor deren verderblichen Einflüssen unsere braven demokratischen PolitikerInnen dringend geschützt werden müssen, so rührend, so ehrenwert und gesellschaftlich möglicherweise ähnlich notwendig und sinnvoll aus, wie die Jugendschutzarbeit der FSK in Zeiten des freien Zugangs unserer Kinder zu den Gewöhnlichkeiten und Brutalitäten des Internets. Dieser Feldzug wirkt angesichts der fundamentalen Transformation von Recht und Politik in der EURO-Krise, bei dem – natürlich mit den besten aufklärerischen Absichten – auf die Einhaltung rechtsstaatlicher Verfahren rekurriert wird, wie ein – sicher ungewolltes – Ablenkungsmanöver (3).

3. Die Veränderung des Modus der Politik in der EURO-Krise – am intelligentesten, weil am beiläufigsten exekutiert durch die deutsche Krisenkanzlerin – hat zu einer systematischen Verengung auf den jeweils nächsten politischen Schritt geführt, der dann als der richtige nächste Schritt wahrgenommen wird, wenn öffentliche Diskussion darüber überflüssig erscheint, wenn er als „alternativlos“ angesehen wird und – aus der Sicht der Kanzlerin und ihrer BeraterInnen – dabei hilft, die langfristigen Folgen dieser Abfolge von „nächsten Schritten“ für deutsche Steuerzahler und Rentner auf keinen Fall vor der Wahl im September zum Thema werden zu lassen. Für die PolitikberaterInnen der Kanzlerin kommt es dem entsprechend darauf an, die Fiktion und Suggestion der Alternativlosigkeit ihrer Politik des nächsten Schrittes so lange aufrecht zu erhalten, bis die Macht für weitere vier Jahre gesichert ist.

4. Für Deutschland und die deutsche Gesellschaft ist diese Verengung der Politik auf den jeweils nächsten Schritt hoch riskant, und zwar ganz unabhängig von demokratietheoretischen Erwägungen, etwa mit Blick auf postdemokratische Tendenzen. Mit der Verengung der Politik auf den alternativlosen nächsten Schritt geht nämlich zwangsläufig eine Verarmung der politischen „Ideenpopulation“ (4) einher, die eine demokratische Gesellschaft als elementare Sicherheitsschleife beim Heraufziehen von „black swans“ (5) a la Fukushima und 9/11 braucht. Man stelle sich vor, das von den Draghis, Weid- und Assmännern unter der Ägide der Kanzlerin aufgebaute EURO-Kartenhaus kracht wegen externer Schocks zur Unzeit, also noch vor der Bundestagswahl, zusammen. In diesem Gedankenexperiment ist zu ermessen, wie überlebenswichtig dann alternative Ideen in alternativen Köpfen sind, und welcher kolossale Bedarf an Beratung der Gesellschaft dann explosionsartig akut werden wird.

5. Weil mit der EURO-Krise das politische System in Deutschland in seinen rechtlichen, politischen und sozialen Grundfesten strapaziert wird, ist sie wie kein anderes aktuelles Ereignis der Test- und Ernstfall für den Wert von Politikberatung bei der Beratung der Gesellschaft. Dabei sind zwei Aspekte der gesellschaftlichen Funktion von Beratung in den Blick zu nehmen:

(1) Man kann bei der medialen und politischen Verarbeitung der EURO-Krise wie Dirk Baecker (6) mit guten Gründen der Meinung sein, die zentrale gesellschaftliche Funktion der Beratung sei auch in der Computer-Gesellschaft, in der wir leben, eine therapeutische: Das „Cooling out“, das schrittweise sich Gewöhnen lassen (z. B. von Steuerzahlern und Rentnern) an das Unvermeidliche also. Diese Aufgabe wurde und wird in den Stammesgesellschaften von Schamanen mit Tänzen und Zaubereien geleistet, im verwehenden Buchdruck-Zeitalter waren dafür noch Religion und Ethik zuständig.

(2) Der andere Aspekt der Beratung der Gesellschaft, die alternative Ideenpopulation betreffend, scheint im Moment nicht so dringlich zu sein. Das ist – zumal in Deutschland – erstaunlich, weil doch gerade wir Deutschen vor gerade einmal drei Generationen erfahren haben, wie schnell und in welch grauenhaftes Inferno Enttäuschungen bzw. Enteignungen durch Inflation und durch den Ideenmangel der DemokratInnen unser Land führen können.

6. Man kann, eine Denkfigur von Ulrich Sarcinelli (7) aufgreifend, die Therapiefunktion der Beratung der „Darstellungspolitik“ zuordnen und das Sicherstellen der Ideenpopulation der „Herstellungspolitik“. In dieser Perspektive war und ist die Kanzlerin beim sich Drängen lassen zu immer neuen „alternativlosen“ Rechtsbrüchen und deren legalistischer Verbrämung durch die VerfassungsrichterInnen eine glänzende Darstellungs-Politikerin, die auf diesem Gebiet offensichtlich auch glänzend beraten wird.

Die beeindruckende Leistung der Kanzlerin als Enttäuschungstherapeutin und Hinhaltevirtuosin sichert ihr möglicher Weise noch einmal die Macht für weitere vier Jahre. Das – sollte sie durchkommen mit dieser Masche – würde allerdings erkauft durch eine weitere blitzgefährliche Verengung des Aufwuchses alternativer Ideen, die wir schon morgen Hände ringend suchen werden. Weil es mit der alternativlosen Enttäuschungsverarbeitung doch nicht so glatt läuft wie geplant, weil die „Märkte“ ihrer eigenen rekursiven Logik folgen, was die Quantenphysikerin Merkel, so darf man wohl unterstellen, inzwischen gelernt hat.

Wie berät sich dann die Gesellschaft? Woher nimmt sie dann die Ideen? Wer sind dann die BeraterInnen?

7. Um sich diesen Fragen anzunähern, lohnt zunächst ein Blick in die jüngere Vergangenheit. Als hellsichtigste Berater der Gesellschaft haben sich jene – damals allgemein, auch vom Verfasser dieses Textes belächelten – Volkswirtschaftsprofessoren und Juristen erwiesen, die vor dem Bundesverfassungsgericht gegen die verfrühte Einführung des EURO geklagt hatten. Es waren weder der Mainstream der medialen Öffentlichkeit, geschweige denn, die tragenden politischen Parteien, denen schon damals die Tragweite der Defizite in den Voraussetzungen der EURO-Einführung aufgefallen ist.

Nach dem Auffliegen des US-Derivate-Schwindels im Spätsommer 2007 als direktem Auslöser der dann später folgenden Spekulation der Wall Street gegen EURO-Länder und den EURO waren es dann eher etablierte Ökonomen wie ifo-Chef Hans-Werner Sinn, die zwar (zu) spät, aber dann lautstark auf den Alarm-Knopf gedrückt haben. Oder die – wie der Sachverständigen-Rat mit seinem Vorschlag zum „Schuldentilgungspakt“ im Sommer 2012 – kreativ nach Auswegen aus der Sackgasse gesucht haben.

Zunächst einmal ist beruhigend, dass es eine Minderheit etablierter, aber gleichwohl querdenkerischer Berater der Gesellschaft wie staatlich alimentierte Professoren und Sachverständige gewesen sind, die durch ihr Querstellen die politische Ideen-Population bereichert und damit uno actu die „Alternativlosigkeit“ als der Kaiserin neue Kleider geoutet haben.

Wenn wir zum Schluss noch einmal das Gedankenexperiment mit Blick auf einen durch externe Schocks oder durch eine schleichende Inflation ausgelöste Auszehrung des EURO (und damit des deutschen Volksvermögens) aufgreifen, dann wird man – trotz der Ernüchterung durch die ersten vier Jahre der Obama-Administration – verstärkt versuchen müssen, das Wissen, die Erfahrungen und die Fragen der Vielen, die sich heute im Netz artikulieren können, zur Verbreiterung der Ideenpopulation heranzuziehen (8).

Denn die Unbestimmtheit der Ideen- und Kommunikationsplattformen im Internet entspricht der Unbestimmtheit und Komplexität der Weltgesellschaft, in der wir und unsere Politiker heute navigieren müssen, sehr viel mehr, als die etablierten Formate für die Beratung der Gesellschaft. Die haben sich mehrheitlich als hoch anfällig erwiesen für die politische Pest der „Alternativlosigkeit“.

Gleichwohl zeigen die erwähnten Ausnahmen, dass wir froh sein können, sie zu haben, und dass wir sie – for the time being – weiter brauchen.
Anmerkungen

(1) Gunnar Beck (2013), The Legal Reasoning of the Court of Justice in the EU (HART).

(2) Hans-Werner Sinn (2012), Die Target-Falle: Gefahren für unser Geld und unsere Kinder (HANSER).

(3) Thomas Leif (2012), Mythos Politikberater – das Schattenmanagement der Lobbyisten (CARTA am 5. Juli 2012).

(4) Karl-Heinz Ladeur (2000), Negative Freiheitsrechte und gesellschaftliche Selbstorganisation. Die Erzeugung von Sozialkapital durch Institutionen (Mohr-Siebeck).

(5) Nassim Nicholas Taleb (2008), The Black Swan: The Impact of the highly Improbable (Penguin).

(6) Dirk Baecker (2007), Die Beratung der Gesellschaft, in: D.B., Wozu Gesellschaft? (Kadmos), S. 143 – 162.

(7) Ulrich Sarcinelli (2008), Politikherstellung und Politikdarstellung (Herbert van Halem).

(8) Leonard Novy (2009), Die Wiedergeburt der Politikberatung (CARTA am 25.2.2009).

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