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Finanz“markt“ – eine Irreführung

von , 27.1.13

Linke Kritiker haben kein Problem damit, den Finanzsektor einen Markt zu nennen; mögen sie doch den Markt sowieso nicht, da kommt der Finanzmarkt als besonders bösartige Variante gerade recht. Für konservative und liberale Freunde des Marktes, die seine Freiheit und Effizienz schätzen, ist ganz klar, dass es auch für Geld und dessen verbriefte Varianten einen Markt geben muss. Die Finanzbranche hat ein überragendes Interesse daran, den Unterschied zu verwischen zwischen Kredit- und Anlagegeschäft und insgesamt von Finanzmarkt zu sprechen. Und die Politik plappert es nach. So wird suggeriert, hier sei durchgängig die Rationalität des Marktes am Werk.

Aber ein Wettbüro ist kein Marktplatz. Hier wird getauscht, dort spekuliert. Es ist weltfremd und hat etwas Heuchlerisches, wenn die Politik die Wettpraktiken des Finanzsystems moralisch verurteilt. Wer im Finanzgeschäft Erfolg haben will, wird die Wege gehen, die offen sind, weil er andernfalls als unfähig dasteht. Die Tragikomik der aktuellen Wirtschaftsgeschichte liegt darin, dass der Bereich des Finanzsystems, der als Markt funktioniert und die Realwirtschaft fördern soll, ausgeblutet wird zugunsten des anderen Bereichs, der als Wettbüro läuft. Die Politik hat für diese Entwicklung die Hindernisse weggeräumt und der Spekulation zusätzliche Wege eröffnet mit dem Argument, der Finanz“markt“ würde so gestärkt. Ob Täuschung oder Selbsttäuschung, der Markt des Geldes wird dadurch gerade geschwächt, gestärkt wird die Spekulation.

Der Markt genießt in der öffentlichen Meinung hohe Reputation. Seine historische Beziehung zu Freiheit, Fortschritt und Wirtschaftskraft müssen auch seine Kritiker anerkennen. Märkte haben einen inneren Regelungsmechanismus, der auf steigende Preise mit sinkender Nachfrage reagiert und auf sinkende Preise mit steigender Nachfrage. Man nennt das ein negatives Feedback. Wie viele Verzerrungen im konkreten Fall auch auftreten mögen, als Grundtendenz bewirkt dieser Ausgleichsmechanismus, dass Angebot und Nachfrage sich in einer Pendelbewegung aufeinander beziehen Hier euphorisch von Gleichgewicht zu sprechen, mag den Freunden und Förderern des Kapitalismus überlassen bleiben.

Auf den ersten Blick funktioniert auch der Finanzsektor so. Bei genauerem Hinsehen zeigt er jedoch ganz unterschiedliche Gesichter, weil Geld drei verschiedene Rollen spielt als Maßstab, Ware und Eigentum. Der Bankbeamte, der Bankkaufmann und die Berater- bzw. Investmentbank repräsentieren diese drei Funktionen des Geldes.

Maßstab: Die Zentral- bzw. Nationalbanken kümmern sich um die Maßstabsfunktion des Geldes, die Ungleiches vergleichbar und damit tauschbar macht. Dem Geldschein ist es egal, ob er gegen gekochte Kartoffeln oder gegen CD-Rohlinge getauscht wird. Um seine Rolle als Maßstab ausüben zu können, muss der Geldwert möglichst stabil sein. Der „Bankbeamte“, der Stabilität und Seriosität ausstrahlt, personalisiert diese Rolle. Inflation zu verhindern, ist in dieser Hinsicht die Hauptaufgabe. Misslingt sie, sinkt der Geldwert und die Zahl der Nullen auf den Geldscheinen steigt. Der bislang ‚größte‘ Geldschein, 2008 herausgegeben von der „Bank of Zimbabwe“, hatte 14 Nullen: One Hundred Trillion Dollars.

Ware: Geld funktioniert zweitens als käufliche und verkäufliche Ware. Auf der Rolle des Geldes als Ware basiert das Kreditgeschäft, dessen Akteure Gläubiger und Schuldner sind. Ohne Kredite kein Wirtschaftswachstum. Dürften Unternehmen nur das Geld ausgeben, das sie haben, wäre Stagnation programmiert. Den Preis des Geldes bildet der Zins. Wird Geld – bei steigenden Zinsen – teurer, werden weniger Kredite aufgenommen, wird Geld billiger, steigt die Bereitschaft sich zu verschulden. Hier ist es in der Tat berechtigt, von einem Geldmarkt zu sprechen, auf dem „Bankkaufleute“ tätig sind. Für die Geschäftsbanken, die geliehenes Geld verleihen, mithin Schuldner und Gläubiger zugleich sind, bedeutet die Waren-Funktion des Geldes, dass sie einerseits Kunden benötigen, die sparen, und andererseits solche, die mehr ausgeben als sie haben. Bereits an der Warenfunktion des Geldes ist abzulesen, dass es hier trotz aller rechtlicher Absicherungen nicht mit handfesten Dingen zugeht.

Schuldner tauschen ein Zahlungsversprechen gegen einen bestimmten Geldbetrag. Sie versprechen, die geliehene Summe plus die allfälligen Zinsen in Zukunft zu bezahlen. In der Rolle des Geldkaufmanns handelt die Bank mit einem doppelten Zahlungsversprechen, mit dem eigenen Versprechen, das sie gibt, und den Versprechen anderer, auf die sie vertraut. Als Gläubigerin erwartet sie, dass ihre Kredite nicht notleidend werden, und als Schuldnerin sieht sie sich mit der Erwartung konfrontiert, ihre Zusagen gegenüber den Geldanlegern einzuhalten. Alles eine Terminfrage. Immerhin zeigt sich bereits an dieser einfachsten Konstellation des Finanzsektors, dass in hohem Maße Zukunft, also Ungewissheit, im Spiel ist. Allerdings deuten das nur Angsthasen als Schwäche. Zukunft zu erobern, damit zu rechnen, dass sich morgen bewährt, was in der Gegenwart geleistet wird, ist das Prinzip der Wirtschaft. Sie investiert und produziert heute in der Erwartung, morgen Kunden zu finden und zu verkaufen. „Die Wirtschaft folgt nicht einer immanenten Logik des Bedarfs, sondern der Bedarf einer immanenten Logik der Wirtschaft.“ (Niklas Luhmann). Die Entscheidung zu produzieren fällt vor der Entscheidung zu konsumieren. Trotz aller Wege und Methoden, mittels Verträgen, Marktforschung und Markenpflege Sicherheiten einzubauen, bleibt dieses timelag – besser bekannt unter dem Namen Risiko – prinzipiell bestehen. Risikofreie (Geld-) Geschäfte sind weiße Rappen.

Eigentum: Auf Kaskaden des Risikos, auf das letztlich undurchschaubare Jonglieren mit Wahrscheinlichkeiten treffen wir erst, wenn das Geld seine Funktion als Eigentum voll auslebt – als ein Eigentum, das sich seine Vermehrung zum Ziel setzt. Die politisch schwer beladene Bezeichnung dafür lautet „Kapital“. Mit Blick auf die Funktion des Geldes als Eigentum kommt die Bank als Berater ins Spiel für solche Kunden, die ihr Geld ‚anlegen‘, also nicht nur verzinsen, sondern bestmöglich vermehren möchten.

Das Anlagegeschäft folgt einer ganz anderen Logik als das Kreditgeschäft, es gehorcht sogar einer genau gegenläufigen Gesetzmäßigkeit. Wer Geld anlegt, interessiert sich für wachsende Werte und vermeidet, wo immer möglich,  sinkende. Geldanlagen fühlen sich von Wertsteigerungen angezogen und fliehen vor Wertminderungen. So entsteht eine positive Feedbackschleife. Wo die Werte in die Tiefe gehen, wird Geld abgezogen, in der Regel mit der Folge, dass der Wert immer weiter sinkt. Wo die Werte in die Höhe gehen, wird Geld angezogen, nicht selten mit der Wirkung, dass die Werte weiter steigen. Hier haben wir es gerade nicht mit einem Markt zu tun. Im Anlagegeschäft existiert weit und breit kein Ausgleichsmechanismus, sondern im Gegenteil eine Automatik, die einerseits positive und andererseits negative Tendenzen verstärkt. Euphorie, die Spekulationsblasen aufbläht, und Depression, die den berüchtigten Dominoeffekt auslöst, sind wiederkehrende Normalfälle. Ob eine Krise entsteht, ist keine Sach-, sondern eine Zeitfrage.

Das Wissen um die Erwartbarkeit von Finanzkrisen ist Allgemeingut. Worin liegt die systematische Verführung, wider besseren Wissens zu handeln? Wie auch bei anderen Gelegenheiten werden in der öffentlichen Darstellung mit Vorliebe angebliche menschliche Eigenschaften verantwortlich gemacht. Im Fall der Finanzkrisen ist es die Gier. Blind vor Gier kennen die Spekulanten keine Grenzen mehr und reißen die Finanzbranche ins Desaster, lautet dann die klassische Diagnose.

Weicht man nicht auf hausgemachte Menschenbilder aus, sondern versucht eine sozialwissenschaftliche Analyse, trifft man als erstes auf einen Umstand, der schon Aristoteles Kopfzerbrechen bereitet hat: Geldreichtum ist ohne Ziel und Grenze. Es macht keinen Sinn, für Geld als Eigentum eine Schranke nach oben festlegen zu wollen. Essen, Autos, Schuhe, Schirme – Gebrauchswerte haben Grenzen, innerhalb deren sie sinnvoll nutzbar sind. Geld macht in jeder Höhe Sinn, denn es ist ein Platzhalter für Möglichkeiten. Die Gier liegt und lauert im Geld, nicht im Menschen. In seiner sozialen Dimension steht Geld für die Möglichkeit, sich die Arbeit anderer Leute zu kaufen. Dass sie mit Geld operiert, einem Medium, das den Horizont der Möglichkeiten ständig offen hält, macht einen Gutteil der Attraktivität der Wirtschaft aus. Macht hingegen, das Medium der Politik, ist dümmer. Wer seine Macht durchsetzt, raubt den Anderen Möglichkeiten, weil er auf einer bestimmten Option besteht. Wer bezahlt, reicht die Möglichkeiten, die eine bestimmte Geldmenge eröffnet, an Andere weiter und gibt sich selbst mit der einen gewählten Option zufrieden.

Dynamik kommt dadurch in das Geldgeschäft, dass sich im Kapital die beiden Geld-Funktionen Eigentum und Ware vereinigen. Ein prominenter Fall ist die Aktie. Wird Geld mit der Erwartung angelegt, dass es sich vermehrt, so ist dies nur auf  dem Weg der Spekulation möglich. Die Entscheidung, das Geld so und nicht anders anzulegen, hat als Basis – was immer an Erfahrungen, Berechnungen und Algorithmen mit hereinspielen mag – einzig und allein ‚wahrscheinliche Möglichkeiten‘. Abstrakt ausgedrückt: Eine Möglichkeit der Zukunft, von der man annimmt, dass sie eintritt, wird zur Grundlage einer gegenwärtigen Handlung, in diesem Fall einer Geldanlage. Solche Geldanlagen, die sich nicht mit einem vorab festgelegten Zins zufrieden geben, sondern auf ein Wertsteigerungs-Potential setzen, sind – Spekulationen. Die Spekulation in Hochform ist die Wette. Wer wettet, spekuliert, setzt (sein Geld) auf eine bestimmte Zukunft. Die Wette stellt den typischen Fall dar, bei dem das künftige Eintreten oder Nichteintreten einer bestimmten Möglichkeit an eine Geldzahlung gekoppelt wird. Also, es sind nicht böse Spekulanten, die in das Finanzsystem eindringen, sondern: Geld so anzulegen, dass mehr Geld daraus wird, geht nur auf dem Weg der Spekulation. Als große Gemeinsamkeit, die von der grundsätzlichen Andersartigkeit zwischen Markt und Casino ablenkt, begegnet uns – der Erfolg, bei dem kein Hahn nach der dahinterstehenden Leistung kräht.

Hedgefonds operieren mit einem ausgetüffelten Wettsystem, indem sie nicht selten Wetten und Gegenwetten gleichzeitig halten: „Wir müssen bei der Einschätzung des Marktes nur in fünfundfünzig Prozent der Fälle richtigliegen, um einen Profit zu machen“, lässt Robert Harris in seinem Roman „Angst“ den Hedgefond-Helden sagen. Man kann mehr oder weniger Geld riskanter oder vorsichtiger anlegen, es bleibt stets eine Spekulation. Darüber täuschen manche Berater der Banken ihre Kunden regelmäßig hinweg, indem sie ihnen Sicherheiten versprechen.

Im Finanzsektor treffen sich die Unendlichkeit des Geldes und die Notwendigkeit der Spekulation. Wenn man zum einen nie genug Geld haben und zum anderen Geld nicht anlegen kann – es sei denn, man begnügt sich mit fest vereinbarten Zinsen –, ohne zu spekulieren, dann ist völlig klar: Der Finanzbranche sind alle Möglichkeiten recht, aus Geld mehr Geld zu machen; und ihr stellt sich jede Beschränkung als ein Übel dar, weil sie eventuelle Chancen vereitelt. Vorhandene Möglichkeiten nicht auszunutzen, erscheint innerhalb des Finanzsystems als Versagen. Welcher Art die künftige Möglichkeit ist, auf die der Spekulant setzt, um sein Geld zu vermehren, kann und darf im Finanzsektor selbst keine Bedeutung haben; alles kommt in Frage, Aktien- und Devisenkurse, Staatsanleihen, Immobilien-, Rohstoff- und Nahrungsmittelpreise, egal ob steigend oder fallend, es kommt auf nichts anderes an als auf den Unterschied zwischen zwei Zeitpunkten – und sei es beim Wetter. Wird das Ziel, aus Geld mehr Geld zu machen, gesellschaftlich akzeptiert – und wer wollte es, außer im Zustand der Volltrunkenheit, ächten -, dann kann sich die Auseinandersetzung nur um die Frage drehen, welche Mittel und Wege erlaubt und welche verboten sind. Eine politische Öffentlichkeit, die achselzuckend zuschaut, wie Lebensmittelpreise spekulativ hochgetrieben werden, während Menschen verhungern, hat kein Recht, sich mit dem Hinweis auf unmoralische Spekulanten aus der Verantwortung zu stehlen. Zuschauen und lamentieren oder einen gesetzlichen Riegel vorschieben, darüber muss politisch entschieden werden und bekanntlich ist nicht zu entscheiden auch eine Entscheidung.

 

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