#Beeinflussung

Was die Niedersachsen-Wahl für die Zukunft der Piratenpartei bedeutet

von , 23.1.13

Die! große Frage, die sich so ziemlich jeder Pirat nach dem Wahlsonntag in Hannover gestellt hat, lautet doch: Hä, wieso auf doch nur wieder 2%? Wo sind die 7 – 8% vom letzten Jahr hin?

Eine Frage, deren Beantwortung nicht ganz so einfach, an die aber eine gute Näherung sicher möglich ist. Und wenn man diese Frage richtig angeht, kann man vielleicht auch wieder dahin zurück, wo wir uns selber sahen: Nämlich als ernstzunehmende politische Alternative.

Auf der Suche nach den „verlorenen“ Wählerstimmen müssen wir uns zuerst ein wenig mit den letzten zwei Jahren und dem Wechselspiel zwischen medialem Mainstream und öffentlicher Meinung beschäftigen.

Als die Berliner Piraten in den Wahlen 8,9% der Wählerstimmen erreichten, zogen sie nicht nur ins Berliner Abgeordnetenhaus ein, sondern sie zeigten auch, dass es eine Nachfrage nach einer neuen politischen Kraft gibt. Die konnten die Berliner mit innovativen Inhalten und einem neuartigen Politikstil bedienen. Gleichzeitig wurde durch diesen Wahlerfolg auch ein weiteres Tor aufgestoßen: Der Zugang zum Medienmainstream. Das hohe Wahlergebnis entspricht ja auch einem hohen öffentlichen Interesse und ist für die Medien wiederum interessant: Der Nachrichtenwert der Piratenpartei erhöhte sich ungemein. So wurde über uns in den folgenden anderthalb Jahren berichtet, als säßen wir schon im Bundestag. Klar zogen wir, auch in Folge der Berlin-Wahl, in drei weitere Parlamente ein. Nur muss man hier hinterfragen, ob diese Wahlerfolge aus denselben Gründen wie in Berlin resultierten, oder ob sie eher eine Folge des höheren Nachrichtenwerts der Piratenpartei waren. Wohl kaum zogen die Piraten in die Parlamente des Saarlands, NRWs und Schleswig-Holsteins ein, weil sie so kompetente Landespolitik vorzuweisen hatten.

Ein weiterer positiver Begleitumstand waren herausragende Piratenpersönlichkeiten, die es verstanden, unsere Inhalte im Medienmainstream anzubringen. Wiederum erhöhte sich unser Nachrichtenwert, da der Nachrichtenwert von diesen Personen auf den der Gesamtpartei abstrahlte. So wurde letztlich, ausgehend vom Berliner Erfolg, der Piratenpartei eine Bedeutung für die deutsche (und internationale) Politik zugeschrieben, die sie letztlich nicht mit Inhalten füllen konnte. Auch, weil sie nicht gewillt war, auf das konservative Politikmodell „Köpfe statt Themen“ zu setzen. Man kann auch bildlich davon sprechen, dass die Medien den Piraten einen Vertrauensvorschuss oder ideellen Kredit gegeben haben (von dem die Medien selbst auch leben), den die Piraten erst einmal euphorisch annahmen, aber nicht verstanden, ihn zurückzuzahlen.

Und genau an dieser Stelle liegt der Knackpunkt unseres Abstiegs: Der fehlende Masterplan der Piratenpartei im Umgang mit den Massenmedien führte zu einem eher positiv freundlichen Umgang der „professionellen“ Stellen der Öffentlichkeitsarbeit der Piratenpartei mit dem Mainstream. Sozusagen die humanistische Fallback-Option, wenn man selbst mit copy & paste nicht mehr weiterkommt, da die politische Theorie bzw. Einordnung zur Ablehnung des Machteinflusses des Medienmainstreams auf die öffentliche Meinung fehlt.

Die Piratenpartei ist 2009 erst so groß geworden, weil sie einen Pool bildete, in dem frustrierte und gebildete Wähler sich zu einer Bewegung zusammenschließen konnten, um damit ein Gegengewicht zu den Massenmedien aufzubauen. Sie war die Internetpartei, die (informationelle) Vernetzung, Medienkompetenz, Bildung und Meinungsvielfalt lebte, und damit die einzige politische Alternative für alle Wähler, die den Schlüssen der Massenmedien nicht folgen wollten. (Da sie genügend Medienkompetenz besaßen, das Totschlagargument, eine Endwahrheit, umgehen zu können.) Gewissermaßen erzeugte die Netzsperrenkampagne von Zensursula und Co. erst die politische Schlagkraft der Piratenpartei.

Wobei wir mitten drin sind in der Erklärung eines Phänomens, welches der eigentliche Ursprung der Piratenpartei ist, denn in diesem Phänomen liegt auch die Quelle für die Notwendigkeit einer gesellschaftlichen Gegenreaktion.

Mediokratie = Unrepräsentative Beeinflussung des Wählerwillens bzw. der öffentlichen Meinung durch den Medienmainstream.

Wieso ist die Piratenpartei die Gegenbewegung zur Mediokratie?

Das zu verstehen, ist auch der Schlüssel für die Beantwortung der Frage, “wo sind unsere Prozente hin?”. Wie schon erwähnt, wird in der Mediokratie der demokratische Prozess durch Massenmedien so stark beeinflusst, dass das Wahlergebnis zwar eine Entsprechung des Wählerwillens ist. Dieser Wählerwillen entsteht jedoch nicht auf der Basis medienkompetenter individueller Nachrichtenselektion und Verwertung, sondern setzt sich vermehrt durch die von Massenmedien aufbereiteten Informationen zusammen. Aufgrund der Notwendigkeit von Nachrichtenselektion der Massenmedien – besonders hinsichtlich Auflage bzw. Quote -, der Beeinflussung des redaktionellen Bereichs durch Werbung, Astroturfing, Lobbying und Campaigning, und der zunehmenden Selbstreferenzierung (andere Zeitung als Quelle, keine Originalquellen) formen sich Nachrichten, die über den Medienmainstream die öffentliche Meinung beeinflussen.

Dabei werden Sichtweisen der Bürger verändert, geformt und gelenkt. Zwar immer auch mit einer gewissen Unschärfe, was die Effektivität der Manipulation angeht. Aber es gibt verschiedene Hebel, die benutzt werden. Tiefgreifende menschliche Gefühle wie z.B. Angst sind sicherlich die effektivsten, um Informationen weitreichend zu transportieren und daraus Sichtweisen zu formen. (Beispiele: Nuklearwaffen, Diktatoren, Statusverlust, Kinderpornografie.)

Womit wir wieder beim 2009er Geschehen sind. Die Massenmedien gaben weitestgehend unreflektiert die Netzsperrenkampagne der damaligen Familienministerin Ursula von der Leyen wieder und erzeugten damit eine klare öffentliche Meinung: „Deutschland braucht Netzsperren, um den armen Kindern zu helfen!“. Aber glücklicherweise wurde unterschätzt (falls es diese Überlegung überhaupt gab), dass es in Deutschland eine Generation von Menschen gibt, die eben – medial kompetent und politisch gebildet – einen dringenden Handlungsbedarf gesehen haben. Sie haben sich zu einer Bewegung formiert, die es schaffen konnte, dem Druck der Massenmedien etwas entgegenzuhalten und die öffentliche Meinung alternativ zu beeinflussen. Aufzuklären. Die das humanistische Ideal des mündigen Bürgers verteidigen konnten. Schließlich ging es um das hohe Gut der Meinungsfreiheit bzw. der Chance des Internets als (alternativem) Informationsanbieter.

Und genau aus dieser Perspektive stammt auch die diffuse Ablehnung der Massenmedien und die Suche nach einer anders gestalteten Öffentlichkeitsarbeit. Den genauen Modus haben wir noch nicht gefunden, Gott sei Dank aber haben uns unsere Prinzipien davor bewahrt, im Hype um die Piraten der Post-Berlin-Ära das Bündnis mit dem Medienmainstream einzugehen, wie es die etablierten Parteien taten. Und die damit nach Regeln spielen (müssen), die einer aufgeklärten Demokratie zuwider laufen. Das Bündnis zwischen Massenmedien und Parteien tendiert leider immer in Richtung Propaganda, da beide Player dadurch ihre Win-win-Situation generieren.

In diesem Sinn hat uns der Medienmainstream auch „fallengelassen“, als wir dem überhöhten anfänglichen Nachrichtenwert nichts nachgeliefert haben. Wenn die Massenmedien über uns berichteten, dann tendenziell negativ, was nicht immer Absicht war: unser Nachrichtenwert war schlicht zu niedrig. Was auch daran lag, dass wir nicht verstanden haben, unseren Nachrichtenwert unabhängig von den Massenmedien zu generieren. Also nicht PMs wie blöde zu lektorieren und verschicken, um zu hoffen, dass diese wenigstens einmal abgedruckt werden würden … Brute Force war ein Ansatz. Nice Try, jetzt aber ein anderer bitte.

Womit wir auch zu der Antwort auf die eingangs gestellte Frage kommen: „Wie bekommen wir unsere Prozente zurück?“ Die Stärke der Piraten besteht ja gerade in der Kombination aus Politik und Medienkompetenz und in ihrem humanistischen Grundvertrauen in die Mündigkeit jedes einzelnen, wenn er die Möglichkeiten hat, sich zu entwickeln. Aus dieser Stärke heraus sollten wir in Zukunft unsere Inhalte medial kompetent aufbereiten und streuen, viel mehr noch als bisher, und vor allem: Auf die neuen Medien setzen, stärker Initiativen fördern wie Piraten-Streaming und OwnTube, Plattformen, die die Möglichkeit haben, aufgrund ihrer einfachen Bedienbarkeit und Konsumierbarkeit einen alternativen Medienstrom zu erzeugen. Ein Ansatz dazu wäre das Zusammenführen der Vernetzungs-, Informations- und Abstimmungstools in Apps. Letztlich bedeutet es die Neuausrichtung der Öffentlichkeitsarbeit der Piraten, weg von den etablierten Mainstream- (in der Übergangsphase parallel) hin zu alternativen Medien (= Informationsanbieter).

Damit würden wir wieder einem Trend entsprechen, den wir diesmal selbst anschieben und unterstützen müssen. Die Massenmedien sind im Printbereich auf dem absteigenden Ast, im Fernseh- und Radiobereich halten sie sich noch, aber nur aufgrund der Aufgabe redaktioneller Freiheiten, was wiederum deren Inhalte abwertet. Im Internet haben kommerzielle Anbieter Schwierigkeiten, individuellen Blogs ernsthaft etwas entgegenzusetzen, besonders inhaltlich. Außerdem erfüllen wir uns dadurch einen weiteren Wunsch, nämlich den der Instandsetzung der Demokratie durch die Förderung mündiger Bürger.

Alles in allem auch Dinge, die Nachrichtenwerte generieren – aber nur in zweiter Linie interessant für die Massenmedien. Je mehr und je besser die Inhalte aufbereitet sind, desto größer wird der Druck, diese Informationen auch zu Nachrichten umzusetzen.

Wie hoch sind die Erfolgsaussichten für die Piratenpartei als Schaufel für das Grab der Massenmedien? Nun ja, vollständig ersetzen können und wollen wir sie nicht. Das müssen wir auch nicht, denn zunächst bedarf es einer alternativen Kraft, die auf die öffentliche Meinung wirkt. Und dafür gibt es auf jeden Fall einen Markt, bzw. eine individuelle Notwendigkeit.

Was hat der Einzelne davon? Er kann Inhalte anbieten, er kann Inhalte konsumieren: Ohne Werbung, ohne Ideologie, ohne Manipulation, im Unterschied zu den kommerziellen Angeboten aus z.B. Youtube, Facebook usw. Und er kann im Zweifel dort über Informationen recherchieren, schneller und vertrauenswürdiger als im Medienmainstream. Der Selektionsprozess der angebotenen und konsumierten Informationen wäre in Richtung des Gemeinwohls gestärkt. Die Zukunft liegt in einem Informationsangebot, das durch die Gemeinschaft selbst generiert und konsumiert wird. Us now!

Crosspost von Piraten Sachsen-Anhalt

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