#Absolute Mehrheit

Wolfgang Kubicki scheitert an der 50%-Hürde!

von , 12.11.12

Nein, ich meine nicht die ermüdenden Debatten um den Unsinn politischer Twitter-Nutzung – was, außer heißer Luft, kann man in 140 Zeichen schon übertragen? Ach, na gut, vielleicht die Nachricht, auf die in der Nacht von Dienstag auf Mittwoch auf der ganzen Welt gewartet wurde. Ein gewisser @BarackObama twitterte am Dienstag um 20.16 Uhr Chicagoer Zeit „Four more years.“ Mit diesen sechzehn Zeichen setzte er dem Warten auf den neuen Präsidenten ein Ende – anstatt, wie üblich, auf die Auszählungen der Fernsehsender zu warten.

In Deutschland registrierte eine Regionalzeitung, dass mal wieder eine Piratin unangenehm aufgefallen war, und ein Magazin notierte in einer klickfreundlichen Fotostrecke 20 Gründe, warum Politiker nicht twittern sollten. Als dann auch noch mit Jürgen Trittin und Kathrin Göring-Eckardt gerade diejenigen Kandidaten bei der Urwahl der Grünen erfolgreich waren, die mit der Echzeitkommunikation nicht auf Kriegsfuß stehen, war klar: Schlimmer kann es mit der politischen Kultur nicht werden.

Doch dann, dann kam Stefan Raabs „Absolute Mehrheit“. Folgt man den aufgeregten Vorab-Kommentaren, dann liegt das politische System Deutschlands beim Erscheinen dieses Texts schon in Trümmern. Es musste kein Wort im Sendestudio gesprochen werden, um ein Urteil über die Sendung zu fällen – Preisgeld für den Sieger! Im Privatfernsehen! Mit Raab! Gegen Jauch! Dabei ist der Ansatz doch tatsächlich originell: Die Sendung kombiniert das (populäre) Talk-Format mit (populären) Gameshow-Elementen und setzt so einen anderen Anreiz für die Diskutanten. Der leicht beleidigte Zwischenruf von Ernst Elitz, die Sendung sei bloß ein Abklatsch des alt-ehrwürdigen „Pro und Contra“ zielt an dieser Stelle ins Leere – denn Aufmerksamkeit ist längst nicht mehr die Währung, mit der man das Redepersonal bei Jauchplasbergmaischbergerwillbeckmann herausfordern kann. Im Angesicht der Quote wird geredet und gestritten – koste es, was es wolle.

Auch wenn die erwarteten Totalkritiken an der Sendung nicht lange auf sich warten ließen („Politischen Diskurs kann man nicht kaufen“), so gab es doch auch Gegenmeinungen („Neue Zielgruppen für die Politik erreichen, kann keine schlechte Sache sein“). Inhaltlich soll an dieser Stelle gar nicht über Sendung, Teilnehmer und Format geurteilt werden – das überlassen wir mal den professionellen Fernsehschauern. Nur soviel: am Ende wirkte dann die gar nicht so unsubtile 50%-Quote, denn auch der in einer Polit-Gesprächsrunde am professionellsten agierende Wolfgang Kubicki erreichte nicht den von Raab angerührten monetären Fleischtopf. So kam es auch gar nicht zum eigentlichen Realitäts-Test für die Vollblut-Politiker: in Tagen wie diesen kann schließlich kein Volksvertreter einen sechsstelligen Betrag aus der Hand eines TV-Zampanos annehmen. Oder etwa doch?

Damit kommen wir zu den wirklich interessanten Fragen, die sich nach der Sendung stellen lassen. Was war das eigentlich, was da zu später Stunde über first und second screen flimmerte? Instinktsicher hatte ProSieben am Sonntag einen „Social Media“-Thementag ausgerufen: ein Galileo-Spezial und „Social Network“ leisteten solide Vorarbeit – der Hashtag #AbsoluteMehrheit lief schon vor Diskussionsbeginn heiß. Neben Werbetweets des Senders und exklusiven Backstage-Infos gab es schon im Vorfeld reichlich Hinweise darauf, dass die Sendung auch eine „politikferne Zielgruppe“ erreichen würde.

Und tatsächlich führt der Social Media-Pfad in die richtige Richtung: „Absolute Mehrheit“ ist nicht wirklich eine Fernsehsendung, sondern vielmehr der Angriff des Politainment auf die übrige Zeit (frei nach Alexander Kluge).

Man sollte das in vielen Sendeminuten übereifrige und verbesserungswürdige Engagement von Stefan Raab nicht allein mit den Maßstäben des deutschen TV-Talk messen. Viel eher ist die Pilotfolge des Privatfernseh-Talks im Geiste eines political humor zu verstehen, wie er in den USA von Jon Stewart und Stephen Colbert propagiert wird. Colbert hatte im Vorfeld der US-Präsidentschaftswahl ein eigenes SuperPAC (Unterstützer-Komitee) gegründet und die neuen rechtlichen Rahmenbedingungen zur Wahlkampf-Finanzierung ad absurdum geführt: „No money was harmed in the making of this ad“.

Insofern war die Sendung ein Schuss vor den Bug der anderen politischen Gesprächssendungen und ein Signal an die Politik, dass der Zug in die reichweitenstarken Unterhaltungsformate auch auf eine Art Widerstand treffen kann. Wenn sich Sender und Produktion nun auch noch von den vermeintlichen Basics der Fernseh-Unterhaltung lösen (Pseudo-Kompetenz in Gestalt von Senior Vice Presidents oder aktuellen Zwischenständen bei Tele-Votings), dann kann auch aus überladenen und fehlerhaften Gesprächssendungen wie „Absolute Mehrheit“ noch ein konstruktiver Beitrag für ein sonst wenig aufregendes Polit-TV werden.
Crosspost von Antrobius

 

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