#Ethik

Heiteres Berufe zertreten oder: Der Blog als Beichtstuhl und Pranger

von , 6.2.09


Die „Medienlese“ scheint eine neue Boulevardform entdeckt zu haben: den „anonymen Brief“ zur Denunzierung eines Berufsstandes. Alle mal herhören: Solche Deppen und Faulpelze arbeiten in der Medienbranche. Redakteure! Arrogant, schleimen nach oben, treten nach unten. Freie Journalisten: weltfremde Jammerlappen, arm wie Kirchenmäuse. Das heitere Berufezertreten ist eine grandiose Idee fürs Netz und steht den Trashkunstwerken „Dschungelcamp“ und „Deutschland sucht den Superstar“ in nichts nach. Missgunst, Schadenfreude & Ekel als Programmversprechen.

Doch halt!

Es könnte sein, dass hier etwas nicht stimmt. Dass hier ein begabter „Reporter des Satans seine Ereignisse selber schafft, um sich anschließend an den Löscharbeiten, pardon, den Klickzahlen zu erfreuen. Denn der Schreiber der Briefe weiß: Auf die Holzmedien und ihre Protagonisten einzudreschen, das funktioniert im Netz so todsicher wie eine Breitseite im Spiegel gegen „faule Lehrer“. Vermutlich lesen wir bald schon den nächsten „anonymen Brief“: Den Brief eines anonymen Studienrats, der aus der Schlüssellochperspektive über die Vorkommnisse im Lehrerzimmer herzieht. Oder den Brief eines anonymen Verlagsangestellten, der den Büroalltag im Vorzimmer des Chefs ausspäht.

Was ist der Sinn solcher anonymen Aufreger-Briefe? Ein Ventil zu schaffen für die Unzufriedenen? Eine Anklagebank zu zimmern für all die Stammtischgeschädigten, die seit 100 Jahren belogen und betrogen werden? Einen neuen Pranger zu errichten für moderne Hexen und Sündenböcke? In Wirtschaftskrisen wie diesen kann jeder rotten neighbor, der mal faul in der Hängematte liegt, über Nacht zum Schuldigen werden.

Es ist ja so einfach, aus der Anonymität heraus zu denunzieren. Kein Fakt muss belegt, kein Name genannt werden. Und wenn man die Texte studiert, so fällt schnell auf, dass in diesen vermeintlichen „Insider“-Geschichten Namen und Orte fehlen. Es sind Flurfunk-Geschichten vom Hören-Sagen. Und deshalb sind anonym veröffentlichte Briefe gezielte Verleumdungsaktionen.

Schon Brecht wusste: Jedes Verbrechen hat Name, Anschrift und Gestalt. Das Gleiche gilt für Zivilcourage.

Zustimmung, Kritik oder Anmerkungen? Kommentare und Diskussionen zu den Beiträgen auf CARTA finden sich auf Twitter und auf Facebook.