#Auslegung

Einsatz der Bundeswehr im Inneren?

von , 19.8.12

Das Bundesverfassungsgericht hat heute ein Urteil zum Einsatz der Bundeswehr im Inneren erlassen. Es ist hier zu lesen. Den Hintergrund schildert Thomas Wiegold in seinem Blog. Das Interessante an dem Urteil ist nicht die grundsätzliche Erlaubnis zum Einsatz der Bundeswehr. Der war bei Naturkatastrophen oder in der Notstandsgesetzgebung schon lange geregelt. Auch hat das Bundesverfassungsgericht eindeutig klargestellt, wann ein Einsatz nicht erlaubt ist: Nämlich bei Demonstrationen. Tatsächlich handelt es sich um eine Art Vorratsbeschluß des Bundesverfassungsgerichts für einen nicht eindeutig bestimmbaren Fall. Er soll die Handlungsfähigkeit der Exekutive sicherstellen. Also für Ereignisse, die über den Einsatz bei Naturkatastrophen hinausgehen, aber zugleich die Ausrufung des Notstandes nicht rechtfertigen. Um es an einem Beispiel deutlich zu machen: Mit dieser Regelung wäre beim Attentat auf die israelischen Sportler bei den Olympischen Spielen 1972 der Einsatz der Bundeswehr verfassungsrechtlich möglich gewesen. Allerdings nur dann, wenn die Polizei – im Gegensatz zu heute (GSG 9) – keine eigenen Einsatzkräfte zur Verfügung gehabt hätte. Oder sie für die Gefahrenabwehr unzureichend gewesen wären.

Nun ist es nicht nachvollziehbar, wenn etwa der Kollege Oliver Das Gupta twittert:

“Als Soldat würde ich jetzt den Dienst quittieren.

Tatsächlich hat das Bundesverfassungsgericht lediglich eine Lücke geschlossen. In einer Notsituation hat die Bundesregierung die politische Verantwortlichkeit für ihr Handeln. Die kann ihr niemand abnehmen. Bisher bestand aber das zusätzliche Problem, dass dieses politische Handeln in einer verfassungsrechtlichen Grauzone stattgefunden hat. Besitzt die Bundesregierung überhaupt die Kompetenz, um handeln zu dürfen? Das Bundesverfassungsgericht hat diese Grauzone heute beseitigt. Und gleichzeitig klargestellt, dass die Bundeswehr nicht als modifizierte Bundespolizei eingesetzt werden darf, wie es durchaus in anderen europäischen Staaten der Fall ist. Das sollte aus historischen Gründen (und wegen des föderalen Aufbaus des Bundesstaates) in Deutschland weiterhin ausgeschlossen bleiben.

In seinem Sondervotum hat der Bundesverfassungsrichter Gaier auf die Problematik der fehlenden Klarheit in dem heutigen Urteil hingewiesen:

“Der Plenarbeschluss kann mit den von ihm entwickelten Kriterien eine Umgehung der engen Voraussetzungen des inneren Notstandes nach Art. 87a Abs. 4 GG durch die weniger strengen Voraussetzungen des Katastrophennotstandes nicht verhindern. Der Versuch der weiteren Eingrenzung des bewaffneten Streitkräfteeinsatzes durch das Erfordernis eines „unmittelbar bevorstehenden“ Schadenseintritts „von katastrophischen Dimensionen“ wird der nötigen Klarheit und Berechenbarkeit nicht gerecht. Es handelt sich um gänzlich unbestimmte, gerichtlich kaum effektiv kontrollierbare Kategorien, die in der täglichen Anwendungspraxis – etwa bei regierungskritischen Großdemonstrationen – viel Spielraum für subjektive Einschätzungen, wenn nicht gar voreilige Prognosen lassen. Das ist jedenfalls bei Inlandseinsätzen militärisch bewaffneter Streitkräfte nicht hinnehmbar. Im Schatten eines Arsenals militärischer Waffen kann freie Meinungsäußerung schwerlich gedeihen.”

Das Argument ist sachlich richtig, aber politisch falsch. Natürlich kann niemand ausschließen, dass eine Bundesregierung ihre exekutiven Handlungsbefugnisse missbraucht. Aber das muss letztlich politisch entschieden werden. Und zwar vom Parlament und der kritischen Öffentlichkeit. Die Bundesregierung ist rechenschaftspflichtig, auch und gerade nach diesem Urteil. Sie kann keineswegs machen, was sie will. Und übrigens ihre Handlungsunwilligkeit in Zukunft auch nicht mehr verfassungsrechtlich kaschieren. Manche, die sich heute über das Urteil freuen, werden sich noch wundern. Nicht handeln zu dürfen, ist nämlich für die Politik bisweilen eine bequeme Option.

Das Urteil ist als ein Schritt in Richtung Normalisierung zu werten. Insofern erinnert es an die Urteile des Bundesverfassungsgerichts zu den Auslandseinsätzen der Bundeswehr. Auch damals wurde versucht, politische Entscheidungen rechtlich auszuschließen.

Was aber an verfassungsrechtlichen Grauzonen oder gar an der verfassungsrechtlich verordneten Handlungsunfähigkeit einer Regierung fortschrittlich sein soll, war mir schon immer ein Rätsel.
 
Crosspost von Wiesaussieht
 

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