#Republica 2011

Die Säulen der Gemeinschaft: Eindrücke von der re:publica 11

von , 17.4.11

Vielleicht verdankt Markus Beckedahl seinen Status als gefeierter Cheerleader der Internetgemeinde ja der Kunst des Lippenlesens. Als er am Donnerstag um 16 Uhr – also in der symbolischen Mitte der re:publica 11 – zur Gründung von „Die Digitale Gesellschaft“ Stellung nahm, sprach er ein großes Wort gelassen aus und schien damit nahezu einhelligen Beifall zu finden: die digitale Gesellschaft werde fortan „als Verein“ geführt.

Da ist es wieder: das Vereinswesen, auf das sich „genesen“ so wunderbar reimt und in dem sich die Deutschen seit jeher ihren Staat im Staate eröffnen können – allerdings als eine Form der Gemeinschaftsbildung, deren Regelwerk mit dem aggressiven Romantizismus Carl Schmitts mehr zu tun hat als mit Hegels (der Gesellschaft abstrakt gegenüberstehenden) „Not- und Verstandesstaat“.

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Die re:publica 11 ist eine äußerst polemische Veranstaltung, aber sie tut nicht so. Wie in einem Kramladen bietet sie ihr reichhaltiges Angebot dar, aus dem sich jeder nach seinen Bedürfnissen bedienen darf. Und um diesen Eindruck nicht zu stören, wird tunlichst vermieden, zu einem Befund zu kommen. Es kostet einige Mühe, zentrale Fragestellungen zu identifizieren, die sich wiederum auf Leitthesen zurückführen ließen. Aber es gibt sie.

Die Zusammenstellung der über 150 Einzelveranstaltungen folgt einer normativen (polemischen) Kernprämisse, die sich über weite Strecken streng empirisch kostümiert: alles „objektive Befunde“. Die zuweilen offensiv vorgetragenen Forderungen nach der weiteren Zukunftsfähigkeit des „Status Quo“ durch Netzausbau und Reengineering des Urheberrechts ist da nur die Sahne auf der Torte, mit der über die wahre Kalorienarmut hinweggetäuscht wird.

Wie lautet nun die ideologische Klammer, die als stillschweigendes Abkommen die große Gemütlichkeit der re:publica sicher stellt? In einer einzigen der von mir besuchten Veranstaltungen hat es dazu einen Hinweis gegeben – der allerdings in der effektiv arbeitenden Echokammer keinen Widerhall fand. Benedikt Köhler äußerte – mit den Instrumenten des Soziologen – erhebliche Zweifel an der „Freiheit“ des Internets, weil die großen Player die Teilnahmebedingungen an dieser „Freiheit“ in ihre AGBs versenkt hätten.

Wo das Grundgesetz als fundamentales Regelwerk mit einer Zweidrittelmehrheit Eingriffe erlaubt, kann ich als Internetbürger nur die Entscheidung treffen, die mir der Akzeptanzbutton lässt: ja oder nein. Schuhe ausziehen und reinkommen oder Schuhe anbehalten und draußenbleiben. Hier ist er wieder, der Verein. Diesmal als Kapitalgesellschaft.

Aber es gibt ja auch Blogs und Foren, an denen jeder über die Kommentarleiste teilnehmen kann, mag man einwenden. Hier kommt der zweite Zweifel Köhlers zum Tragen: aus der starken Fragmentierung des Netzes erwächst ein Bedürfnis nach Heimat, das wir aus allen Globalisierungsdebatten kennen. Als Sehnsucht nach „Gemeinschaft“ skizziert Köhler das und will es streng von „Gesellschaft“ unterschieden wissen.

Während letztere sich nämlich in ihrer „Kultur“ das Forum der Reflexion über die eigenen Kommunikationsbedingungen gibt – bis hin zur Infragestellung der eigenen Identität -, vermeidet Gemeinschaft solche Fundamentalkritik an den eigenen Voraussetzungen. „Gemütlichkeitsbildung“ möchte ich das nennen.

Vielleicht war ja auch Jens Best in diesem Sinn in den Blogs unterwegs, als er mir einmal in einem Kommentar bescheinigte, ich habe „das Internet nicht verstanden“ – und damit die Diskussion beendete. Selbstverständlich kann nur ein Versteher „des“ Internets als Türwächter fungieren, wie sollte er sonst seinem eleganten dezisionistischen Gewerbe nachgehen können? Das sattsam beklagte Phänomen der nach außen schalldichten Echokammern hat vielleicht mit dieser Selbstreinigungsaskese von Meinungsplattformen zu tun.

Schwerwiegender als die Frage nach dem Umgang mit Shitstorms scheint mir die unter dem Titel „attention catcher“ notorisch verfolgte Diskussion von erfolgversprechenden Aufmerksamkeitsökonomien. Es ist nur zu logisch, dass Fundamentalbegriffe, die rassistische, sexistische oder andere zynische Aspekte des gesellschaftlichen Diskurses enthalten, aus didaktischen Gründen bedient werden müssen. Dass sex and crime hervorragend verkauft, gilt natürlich ebenfalls für das Internet; wenn man es auch nicht so platt machen muss wie BILD.

Aber warum sollten Internetbürger – und auch Blogger gehören dazu – bessere Menschen sein als offline? Und selbst wenn: an den knallharten Kommunikationsökonomien der Wettbewerbsgesellschaft kommt man nicht deshalb vorbei, weil man nun digital kommuniziert. Ein seitenlanges Memorandum zum abendländischen Logozentrismus ist womöglich im Internet noch ermüdender als auf Papier. Und das Ermüdende hat sicherlich keinen Platz in einer Welt, wo 140 Zeichen gerade große Karriere machen.

Helmut Plessner hat einmal, Anfang der zwanziger Jahre und mit gutem Grund wie wir heute wissen, vom „Schreckbild der Gemeinschaft“ gesprochen: sie hege die Illusion der Überwindung der Gewalt im Inneren – um sie desto mächtiger nach außen in Bewegung zu setzen.

Selbstverständlich geht es mir hier um keine historistischen Schreckensszenarien, die ihren Gegenstand sowieso nicht treffen. Ich frage mich bloß, warum es auf der re:publica 11 neben der fast schon notorisch guten Laune der Teilnehmer weder eine thesenstarke Eingangs- noch Abschlusspolemik zum Selbststatus gegeben hat noch wirklich verstörende, metakritische Reflexionen zur eigenen Erkenntnisfähigkeit und womöglichen Statusinkonsistenz.

Wenn die ideologische Klammer – deren Sichtbarkeit in der schieren Vielstimmigkeit der Beiträge verloren geht – tatsächlich wie von mir behauptet zur Herstellung einer Gemeinschaft von Netzaktivisten dient, müsste sich das Panorama der verhandelten Themen letztlich auf einen Kern zurückführen lassen. Mein Versuch, die von mir fleißig besuchten Sessions strukturell zu ordnen, hat vier thematische Blöcke ergeben:

  • Remix-Kultur
  • Lobbyismus der digitalen Gesellschaft
  • Community Management
  • Netzorientiertes Arbeiten

Zusammenfassend könnte ihnen diese Leitthese durch die Macher unterlegt sein: Das Internet hat eine „Remix-Kultur“ erzeugt, die als genuine Ausdrucksform der Gesellschaft nun der entsprechenden flächendeckenden Infrastruktur und einer nachholenden Ausformulierung in sanktionierenden Regeln (hier ist der Gesetzgeber gefragt) bedarf.

Dazu braucht es eines entsprechend starken Interessenskaders, der die politische Willensbildung offline vorantreibt. Online hingegen geht es vor allem um operative Kommunikationsregeln, mit denen der eigentliche Zweck des Ganzen gemanagt werden kann: das netzorientierte Arbeiten im „many-to-many-Prinzip“ als Wertschöpfungsressource. Oder um es mit den Worten zweier IBM-Mitarbeiter zu sagen: das Internet als Traum vom globalen „activity stream“.

Die Zusammenfassung zusammengefasst könnte lauten: „Schafft endlich die den Produktionsmitteln adäquaten Produktionsverhältnisse, damit wir auch mal an die Fettnäpfe kommen!“

Produktion und Reproduktion oder – um die langweiligen marxistischen Kategorien fallen zu lassen – Business und Entertainment: die zwei Stützen der Gemeinschaft. Die sich übrigens auch nicht von dem unterscheiden, was als erster Hegel in seiner Analyse der bürgerlichen Gesellschaft feststellte: dass der für den Staat bis dato traditionell gebrauchte Ausdruck societas civilis in Bezug auf die arbeitsteilige Markt- und Konkurrenzgesellschaft mehr Sinn mache.

Von da an markiert „Gesellschaft“ eine Entität, deren Subjekte vor allem an ihrem persönlichen Interesse orientiert sind und das soziale Allgemeine (sprich: Staat) in diesem Sinn instrumentalisieren. Punktuelle Gemeinschaftsbildungen (Verein) dienen dieser erkalteten Gesellschaft dann als Wärmekissen.

Wenn dieser Befund stimmt, dann ist die re:publica ein Instrument zur Netzwerkbildung für das Netz, mit dem sich die selbst ernannten Innovatoren („Die Zukunft gehört uns!“) einen Wettbewerbsvorteil in der Weltgesellschaft verschaffen wollen – und vermutlich auch können.

Ein gehöriger Teil der Gruppenanstrengung gehört – wie immer bei Neuaufbrüchen – der Selbstlegitimation, die zunächst mangels Teilnehmermasse über den insistierenden Hinweis auf den eigenen hohen Wertekanon läuft (vgl. die Anfänge der Anti-Atomkraft-Bewegung und der Grünen).

In diesen Kontext gehörten die Veranstaltungen zu politischen Themen – bis hin zu Gunter Duecks (IBM) scheinbar naiv vorgetragenen Interventionen für eine zukünftige Ertüchtigung als Kompetenzgesellschaft. Bezeichnend auch, dass diese Vorträge deutlich schlechter besucht waren als alle, die sich mit Fragen vom Knowhow auseinandersetzten. Der allgemeine Netzzugang ist eben nur theoretisch eine politische Forderung, praktisch ist er vor allem eines: die Ermöglichung von Business.

Übrigens finde ich ein solches Begehren nicht etwa unlegitim. Ich glaube nur, dass sich politische Freiheitsgewinne anders darstellen als in dem euphorischen Getwittere der Teilnehmer, ihren fröhlichen tweet ups im Pausenhof und den nützlichen Handreichungen der Sprecher zum Überlebenskampf im Netz.

Um es mit dem Soziologen Dirk Baecker zu sagen: „Eine Kultur stellt Interpretationsspielräume zur Verfügung, ein Gedächtnis der Gesellschaft mit Blick auf eine offene Zukunft.“ Dabei funktioniert sie durchaus gespalten: Sie setzt einerseits alle Praktiken der Gesellschaft kontingent (also relativ) und verwischt gleichzeitig das Angebot durch kontingenzkompensierende Werte.

Wo dieses Gleichgewicht wankt, weil die Insistenz auf den Wertekanon steigt, schwinden die Spielräume, und aus der Kultur einer Gesellschaft wird die Uniformität einer Gemeinschaft. In diesem Sinn darf man sich wünschen, dass die digitale Gesellschaft (oder: Digitale Gesellschaft) und mit ihr die re:publica als wichtiges Organ den Mut finden, die eigenen Voraussetzungen und Fundamentalcodierungen zur Recodierung quelloffen freizuschalten.

Das Netz ist keine Bedingung von Demokratie, wohl aber eine ihrer Möglichkeiten. Und eine Möglichkeit wäre die philosophische „Netz“beschmutzung, die mit jeder Form von Gemeinschaftsbildung aus politischen Gründen nicht einverstanden ist – im Sinn von: mit dem Internet gegen das Internet. Also mehr Mut zur Selbstkritik. Das erst wäre eine Polemik, die man politisch nennen dürfte. Alles andere hat seinen systematischen Ort in den Marketingabteilungen.

Auch in Ordnung, aber zumindest sollte man das dann – bei allem Selbstlobbying – nicht verschweigen.

Ach ja, Markus Beckedahl: Warum eigentlich ein Verein – und keine „Stiftung“? „Stiftung Digitale Gesellschaft“, das hätte zumindest in meinen Ohren schon wesentlich besser geklungen …

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