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ARD & Co.: Die vorhersehbare Talkshow

von , 6.1.11

Beim deutschen Fernsehen gibt es einen extrem kleinen Adress-Zettelkasten. Ehrlich! Diesen Zettelkasten leihen sich die 25 Talkshow-Redaktionen reihum und ziehen daraus ihre 6 aus 49 Kandidaten. Mehr als 49 Gästenamen passen leider nicht in das Kästchen.

Ausgetauscht werden die 49 Namen nur einmal im Jahrzehnt. 1980, 1990, 2000 und 2010 wurde der Austausch aber versehentlich vergessen. Deshalb dominieren Heiner Geißler und Heinz Olaf Henkel noch immer die Hitlisten der Talkshow-Gäste.

Hergestellt wurde der Zettelkasten nach Auskunft der Landesmedienanstalten vom Bastelkreis des Baden-Badener Seniorenstifts während des Ersten Weltkriegs. Die Karteikärtchen sind deshalb noch alle in Sütterlinschrift gehalten. Und diese Schrift können nur die alten Redakteure lesen.

Junge, unbekannte Leute werden vom deutschen Fernsehen äußerst ungern in Talk-Shows eingeladen. Denn unbekannte junge Leute kennt ja niemand – sonst wären sie nicht so unbekannt. Unbekannte junge Leute, die keinerlei Talkshow-Erfahrung haben, sind außerdem gar nicht talkshow-erfahren…

Da die deutschen Fernsehanstalten (wie der ehemalige Regierungsbunker im Ahrtal) mit allem ausgestattet sind, was Menschen so brauchen, wenn sie ohne Kontakt zur Außenwelt überleben wollen, verlassen auch die Talent-Scouts des deutschen Fernsehens nur in Notfällen das Betriebsgelände, um in den Städten und Dörfern des Landes nach redegewandten Menschen Ausschau zu halten. Sorry, das war natürlich ein Scherz. Das deutsche Fernsehen hat gar keine Talent-Scouts. Wozu auch?

Würde man die 49 Talkshow-Gäste des öffentlich-rechtlichen Fernsehens auf einer Skala von -5 (ganz links) bis +5 (ganz rechts) einordnen, so würden sie (mit Ausnahme Lafontaines) maximal -1 bis +2 erreichen. Denn die deutschen Talkshow-Redaktionen möchten, dass die Menschen, die in aller Herrgottsfrühe aufstehen müssen, nach – und vor allem während! – der Sendung gut schlafen können.

Alle deutschen Talkshows stammen von der gleichen Urmutter ab: vom Internationalen Frühschoppen mit vier Journalisten aus fünf Ländern. Geändert haben sich seit dieser Zeit vor allem die Länder. Manche gibt es gar nicht mehr. Deshalb wird es immer schwieriger, Gäste zu finden.

Beim ARD-Presseclub z.B. mussten die Redakteure 30 Jahre lang nach einem linken Wirtschaftsjournalisten suchen, um wenigstens einen Hauch von Ausgewogenheit anbieten zu können. Da die Redakteure aber trotz des intensiven Studiums aller vier abonnierten Tageszeitungen (FAZ, Welt, Süddeutsche, Handelsblatt) nirgends im Lande fündig wurden, mussten sie 30 Jahre lang auf einen freischaffenden Pulloverträger aus dem Hörfunk und einen linken sozialdemokratischen Wirtschaftsprofessor aus Bremen zurückgreifen.

Bei den amerikanischen Journalisten war es noch schlimmer. Aus Mangel an Deutsch sprechenden Amerikanern mussten die Redakteure seit dem preußisch-deutschen Krieg von 1866 ohne Unterbrechung auf Don F. Jordan zurückgreifen, der es wie kein zweiter verstand (Kunststück, es gab ja keinen zweiten!), die Einschätzungen der US-Botschaft über deutsche Politik(er) ins deutsche Fernsehen zu bringen. Don F. Jordan ist noch immer aktiv. Bei welchen Großbanken Zeitungen er geschrieben hat, entzieht sich dem deutschen Fernsehen allerdings bis heute.

Erwähnt werden soll zum Abschluss noch die äußerst kluge Sandra Maischberger mit ihrer sehenswerten Kalkshow Talkshow „3 nach 90“. Zwar haben ihre Lieblingsgäste Norbert Blüm, Hans-Jochen Vogel, Hans-Dietrich Genscher, Arnulf Baring, Kurt Biedenkopf und Gregor Gysi bei der ARD noch nicht das Bleiberecht als Talkshow-Einrichtungsgegenstand erkämpft, aber sie werden auch im nächsten Jahrhundert ganz sicher wieder dabei sein.

Bis dahin freuen wir uns auf spannende Diskussionen mit Peter Scholl-Latour (86), Richard von Weizsäcker (90), Helmut Schmidt (92) und Joopi Heesters (107). Geplantes Thema: Wo bleibt der Nachwuchs? Schaffen die gesellschaftlichen Institutionen einen Generationenwechsel?

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