#Geo

Die Handschrift des Reporters

von , 2.11.10

Christian Jungblut, 67, ist ein erfahrener Autor. Er hat viele packende Reportagen verfasst, darunter so berührende wie die einfühlsame Schilderung des Alltags eines Eskimo-Jungen oder die Enthüllung laxer Sicherheitsvorschriften auf einem Öltanker.

Im Frühjahr 2009 schrieb er eine Geschichte über die zu erwartenden Auswirkungen des Klimawandels – für das Hamburger Reportage-Magazin GEO. Seinen Text („Holland unter Wasser“) sandte er im April 2009 an die Redaktion. Vier Monate später bekam er die Rückmeldung, die Geschichte sei für das Dezemberheft eingeplant, doch es gebe noch einige Einwände und Verbesserungsvorschläge. Der Autor schrieb daraufhin eine zweite Fassung. Bis hierhin ein ganz normaler Ablauf im deutschen Magazin-Journalismus.

Doch als der Autor die Druckfassung seines Textes erhielt, fiel er aus allen Wolken. Die Redaktion hatte seine Geschichte komplett umformuliert, kaum ein Satz blieb so, wie ihn der Autor geschrieben hatte. Jungblut verweigerte seine Zustimmung und verbot der Redaktion, die Geschichte unter seinem Namen zu drucken.

Die Auseinandersetzung eskalierte. Es kam zu einem scharfen Mailwechsel zwischen Autor und Chefredakteur, am Ende druckte das Magazin den Text demonstrativ gegen den Willen des Autors.

Verärgert wandte sich Jungblut an die Hamburger Anwaltskanzlei Nesselhauf und zog gegen GEO und den Verlag Gruner & Jahr vor Gericht. Der zuständige Richter am Hamburger Landgericht, Bolko Rachow, strebte zunächst einen Vergleich an, doch der Verlag lehnte ab, und so erging am 22. Oktober 2010 das Urteil des Volkes. Dieses Urteil der 8. Zivilkammer (Az 308 O 78/10) darf man getrost als Grundsatzurteil bezeichnen.

Geklärt hat das Gericht nämlich – für alle Autoren und Reporter – „die Grenzen des redaktionellen Bearbeitungsrechts“. Dazu heißt es in der Urteilsbegründung: „Aufgrund seiner individuellen Gedankenführung, der individuellen Auswahl und Darstellung seines Inhalts und des individuellen Reportagestils“ ist der Text von Christian Jungblut als Schriftwerk gemäß §2 Abs.1 Nr.1, Abs.2 UrhG urheberrechtlich geschützt. Außerdem habe der Autor laut §14 Urhebergesetz „das Recht, eine Entstellung oder eine andere Beeinträchtigung seines Werkes zu verbieten.“

Selbst wenn der Redaktion durch den vorhandenen Autorenvertrag ein weitgehendes Eingriffsrecht zugebilligt war, sei dies kein Freibrief für Willkür. Redaktionelle Eingriffe müssten sich an den Maßstäben von Treu und Glauben und der Verkehrssitte orientieren.

„Gemessen an diesen Grundsätzen“ habe die GEO-Redaktion „ihr Bearbeitungsrecht überschritten“. §2 Urhebergesetz schützt nämlich „nicht die hinter dem Sprachwerk stehende Idee oder seinen Sinn, sondern vor allem den Sprachstil eines Werkes als Teil der geistigen Leistung des Urhebers. Diesen Sprachstil hat die Beklagte grundlegend und umfassend verändert. Hierdurch hat sie den vertraglich nicht übertragbaren Kern des Urheberrechts des Klägers – sein Urheberpersönlichkeitsrecht – verletzt.“

Die Redaktion könne sich zur Rechtfertigung ihrer Änderungspraxis auch nicht auf das Gewohnheitsrecht berufen. Denn selbst „eine ständige Übung rechtfertigt nicht die Verletzung des Urheberpersönlichkeitsrechts des Urhebers gegen dessen Willen.“

Das ist ein bemerkenswertes Urteil. Es führt die Tätigkeit des Redigierens auf seinen ursprünglichen Zweck zurück: auf den behutsamen Umgang mit fremden Texten. Es fordert die Respektierung des individuellen Stils, die Reduzierung der redaktionellen Eingriffe auf das absolut Notwendige und die prinzipielle Einigung mit dem Autor.

So manche Redaktion hat sich in den letzten Jahren angewöhnt, Texte freier Autoren als bloßes „Materialangebot“ zu betrachten, als „Rohmasse“, die ohne Rücksicht auf Stil und individuelle Herangehensweise eines Autors verformt werden darf. Diese Fehlentwicklung wird im Urteil des Landgerichts deutlich benannt und kritisiert.

Andererseits: Eine starre redaktionelle Bearbeitungsgrenze lässt sich in einem so heterogenen und subjektiven Feld wie dem Erzähl-Journalismus nicht festlegen. Ohne gegenseitiges Verständnis, ohne gegenseitige Wertschätzung kann der Abstimmungsprozess zwischen Autor und Redaktion nicht gelingen. Das Urteil bietet dafür einen rechtlichen Anhaltspunkt. Man kann es als Mahnung und als Appell an die Redaktionen begreifen, innezuhalten und über die eigene Tätigkeit, die doch in erster Linie „Hebammenarbeit“ für gute Texte ist, noch einmal nachzudenken.

Es wird sich nun zeigen, ob die Verlage und Redaktionen den Richterspruch respektieren; ob sie künftig pfleglicher und kooperativer mit den Urhebern umgehen – oder ob sie nur dann auf das Urheberrecht pochen, wenn es (wie beim Leistungsschutzrecht) den ureigenen Interessen zugute kommt.

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Crosspost vom “Magazin der Autoren”

Zum gleichen Thema schreibt Stefan Niggemeier: “Gericht erklärt: Geo-Autoren haben Rechte“.

Ein Interview zwischen Christian Jungblut und Kai Schächtele (Freischreiber e.V.) findet sich hier.

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