#Digitale Öffentlichkeit

Imhof über Online-Journalismus: “Wir haben ein veritables Systemproblem”

von , 7.9.10

Kurt Imhof ist Qualitätsforscher, genauer gesagt: Journalismusqualitäts-Forscher. Er hat mit seinem Forschungsbereich “Öffentlichkeit und Gesellschaft” an der Universität Zürich ein Jahrbuch über die Qualität der Schweizer Medienlandschaft verfasst, das mit viel empirischem Brimborium exakt auf das von ihm taxierte normative Ziel zuläuft: Journalismus ist immer weniger so, wie es Imhof für richtig hält.

Dabei hat Kurt Imhof nicht nur eine sehr klare Meinungen, wie Journalismus funktionieren sollte – er schreckt auch nicht davor zurück, die “Elimination” von Journalismus zu fordern, der ihm nicht gefällt (Medienspiegel.ch).

Ich hielt dies für eine strategische Provokation: Kann es tatsächlich sein, dass Imhof eine derart radikal nach seinen Vorstellungen regulierte digitale Öffentlichkeit fordert?

Im Interview geht er sogar noch weiter: Nur General-Interest-Medien in der Tradition des Informationsjournalismus könnten für die notwenige “permanente Agendabildung” und “Koorientierung auf relevante Themen” sorgen. Blogs und Online-Special-Interest-Medien fehle hingegen die “Forums-, Kritik- und Kontrollfunktion”. Diese Online-Medien würden an Reputationsschwäche und mangelnder Relevanz leiden.

Imhof spricht sich für eine stark geförderte, öffentliche Arena aus großen, ressourcenstarken Informationsjournalismus-Portalen aus. Der Öffentlichkeit des Internets kann Imhof kaum etwas abgewinnen – in seinem Förderkonzept kommt sie nicht vor. Das Netz bleibt für ihn Beiwerk, das die Tendenz zu “Medienpopulismus” eher noch verstärkt.

Imhofs Kritikpunkte sind wichtig – aber sie romantisieren auch die Öffentlichkeit der alten Medien – und übersehen die diskursive Verknüpfung der verschiedenen Öffentlichkeitslayer im Netz. Ob er “hemmungsloser Traditionalist” sei, habe ich Imhof gefragt. “Nein”, sagt Imhof: “Soziologe”.


Herr Prof. Imhof, um die Krise des Informationsjournalismus in der Schweiz zu überwinden, fordern Sie “die Elimination der Gratiskultur auf Holz und Online”. Das klingt wie ein brachialer Scherz.

Warum? Brachiale Probleme benötigen entsprechende Lösungen. Der Informationsjournalismus der Gratisangebote On- und Offline ist deutlich schlechter als bei den Bezahlformaten – und Gratis unterminiert auch noch deren Geschäftsmodelle. Das Resultat ist bedrückend: Sinkende Ressourcen für den Informationsjournalismus, Niedergang der außenpolitischen Berichterstattung, Episodisches statt Einordnung, anschwellende Fluten billiger Softnews und Zunahme des Moralisch-Emotionalen auf Kosten von Sachverhalten und der Darstellung normativer Positionen. Dazu noch Abschichtung und Segmentierung des Medienkonsums und eine Anpassung der Interventionen der politischen Akteure an die gesunkene Vermittlungsqualität der Medien. Der Medienpopulismus befördert den politischen Populismus. Das ist nun gar nicht mehr witzig, das sollten sich Demokratien nicht antun.

Sie scheinen überzeugt, dass sich der “Gratisjournalismus” mit vertretbaren Mitteln unterbinden ließe. Wie soll eine solche “Elimination” durchgesetzt werden? Was soll die Politik nun konkret unternehmen?

Kurt Imhof

Kurt Imhof: "anschwellende Fluten billiger Softnews"

Nein, überzeugt bin ich nicht, aber wir müssen etwas tun. Zunächst ist diese Forderung bloß der logische Schluss der Analysen im Jahrbuch “Qualität der Medien – Schweiz Suisse Svizzera“: Wenn das jüngere Publikum zwischen 15 und 35 über qualitätsschwache Gratismedien On- und Offline für öffentliche Belange sozialisiert wird, an Unterscheidungsfähigkeit zwischen dem klassischen Informationsjournalismus und dem Gratisjournalismus verliert und ersterer nicht mehr ausreichend finanziert werden kann, dann haben wir ein veritables Systemproblem in der Demokratie.

Dem Publikum muss klar werden, dass es ressourcenschwachen und daher schlechten Informationsjournalismus dreifach zahlt – finanziell über die Werbekosten, kulturell über mangelhafte Wissensvermittlung und politisch über die sinkende Rationalität der Auseinandersetzungen. Die Expertenkultur des professionellen Journalismus muss über ausreichende Ressourcen verfügen. Der Entprofessionalisierung und dem Statusverlust des Journalismus ist Einhalt zu gebieten.

Wenn das Volk den alten Journalismusadel abschaffen will und sich anders informieren will – dann nennen sie das „Systemproblem“? Es gehört doch zur Demokratie, dass sich der Bürger so informieren kann, wie er es für richtig hält – oder nicht?

Selbstverständlich. Liberale Demokratien erlauben die Absenz vom Politischen gerade weil es eine freie, medienvermittelte Öffentlichkeit gibt, die genau drei Funktionen erfüllen muss, wenn wird diesen Regulierungsmodus beibehalten wollen: die Öffentlichkeit hat eine Forumsfunktion, d.h. sie fungiert als Entdeckungszusammenhang für die Problematisierung des Bestehenden, sie hat eine Kritik- und Kontrollfunktion und sie hat eine Integrationsfunktion, weil die Demokratie ohne eine Gemeinsamkeitsglauben der Bürgerinnen und Bürger nicht auskommt. Mehrheits-Minderheitentscheide, Umverteilungen und Infrastrukturinvestitionen hätten sonst keine Akzeptanzchance.

Wenn diese Funktionen erfüllt sind, braucht es keine permanent politisierte Bürgerschaft. Sie kann sich dann einschalten, wenn sie es für nötig hält. Zwingend ist aber, dass diese medienvermittelte Öffentlichkeit von einem Informationsjournalismus getragen wird, der eine rationale Meinungs- und Entscheidungsbildung erlaubt. Dies lässt sich nur über eine journalistische Expertenkultur sicherstellen, die über ausreichende Ressourcen verfügt.

Was schlagen Sie konkret vor?

Nötig ist eine Neuverteilung der bisherigen Gebührenmittel – möglichst ergänzt durch zivilgesellschaftliche Gelder aus Stiftungen – primär für den professionellen Informationsjournalismus nach journalistischen Qualitätskriterien und zwar unbesehen vom Anbieter. Allerdings kommen Mischanbieter von Gratis- und Bezahlmedien hierfür nicht in Frage.

Sie fördern das entstandene Zwei-Klassen-System im Journalismus und in der Rezeption. Der “Gratismarkt” via Online, Print, Radio und TV produziert andere Aufmerksamkeitslandschaften auf der Basis eines ressourcenschwachen Journalismus. Diese Abschichtung geht mit eingeschränkten Partizipationsfähigkeiten an der Demokratie und einer sinkenden Integration der Bürgerinnen und Bürger einher.

Dann braucht es keine tiefgreifenden Prognosefähigkeiten um einzusehen, dass der Informationsjournalismus, also Radio, TV und Presse auf Online konvergiert und dass diese Plattform an Bedeutung gewinnen wird. Ausgerechnet der Online-Journalismus hat aber viel zu knappe Ressourcen. Hier müssen die bestehenden Restriktionen für die öffentlich-rechtlichen Anbieter gelockert und Zusammenarbeitsformen zwischen privaten und öffentlich-rechtlichen Anbietern ermöglicht werden.

Schließlich gilt es die Medienkompetenz an den Schulen zu stärken und zwar mit Bezug auf die Angebote des Informationsjournalismus.

Sie sprachen von “Elimination der Gratiskultur”. Jetzt wollen Sie aus der Gratiskultur eine Förderkultur machen. Das ist alles? Damit schaffen Sie eine Parallelstruktur von Gratis- und Förderjournalismus, aber schaffen doch den Gratisjournalismus nicht ab.

Aha, das Haar in der Suppe. Nun, die Gratisangebote zu verbieten geht nicht – immerhin handelten in Deutschland die Verleger rationaler als etwa in der Schweiz oder Österreich, indem sie die Selbstkannibalisierung ihrer Bezahlangebote durch Gratiszeitungen behinderten.

Mein Vorschlag setzt immerhin an den vier wesentlichen Ebenen an: Stärkung der Bezahlangebote durch eine Neuorientierung der unabdingbaren und schon lang praktizierten ‘Förderkultur’, Anreize um Gratisangebote einzustellen, Ermöglichung reputations- und ressourcenreicher Onlineangebote und Stärkung der Medienkompetenz auf Seiten des Publikums.

Welche Angebote sollen den konkret gefördert werden?

General-Interest-Medien mit ausgebauten und in Ressorts strukturierten Redaktionen. Die Förderungskriterien müssen sich – neben strukturellen Indikatoren wie Ausbildungsmöglichkeiten, Ressourcen, Redaktionsstatute, Ressortstrukturen etc. – an den Qualitätskriterien des professionellen Journalismus orientierten, also Universalität bzw. Vielfalt, Relevanz, Aktualität und Professionalität. Diese lassen sich vergleichend messen, die Beachtung dieser Standards sichert den guten Informationsjournalismus.

Damit würden Sie beispielsweise journalistische Blogs, die ohne Bezahlschranke im Netz publizieren, oder Special-Interest-Publikationen nicht fördern. Ihre Vorschläge können verstanden werden als erheblicher Eingriff in die Souveränität von Journalisten und Nutzern darüber, was produziert werden soll. Wo liegt für Sie die Grenze zwischen gebotener Förderung und ungerechter Diskriminierung?

Demokratische Gesellschaften brauchen General-Interest-Medien, die sich wechselseitig beobachten. Ihre Vermittlungsleistungen sorgen für eine permanente Agendabildung der Probleme sozialer Ordnung bzw. gesellschaftsweiter Aufmerksamkeit. Nur dadurch lässt sich Koorientierung auf relevante Themen erzeugen.

Themenzentrierte Blogs und Special-Interest-Publikationen können diese Koorientierung nicht leisten, sie erfüllen weder die demokratienotwenige Forums- noch die Kritik- und Kontrollfunktion und schon gar nicht die Integrationsfunktion. Die Blogs und Special-Interest-Publikationen haben einen ergänzenden und vertiefenden Charakter, sie bilden keine öffentliche Arena wechselseitiger Beobachtung.

Entsprechend orientiert sich das Publikum bei der Newsrezeption an den General-Interest-Medien on- und offline. Die vorgeschlagene Förderungspolitik berücksichtigt einfach diese soziale Tatsache. Etwas anderes ist in demokratietheoretischer Hinsicht nicht sinnvoll.

Das Internet bietet neue Formen der Öffentlichkeit, die zur gesellschaftlichen Informationsverarbeitung (Thematisierung, Problematisierung, Kritikfunktion) teilweise sehr produktiv beitragen. Inwieweit kommen die Chancen des Internets in ihren Förderansätzen vor?

Ich mache überhaupt keine Unterschiede zwischen den Gattungen der Informationsmedien, egal ob Presse, Radio, TV oder Online. Klar ist jedoch, dass der Informationsjournalismus Im Internet konvergiert. Daneben wird es freilich weiter Radio- und TV-Nachrichten und die Presse geben, aber die Konvergenzpotentiale auf Online werden den Trend vorgeben.

Die General-Interest-Medien der Zukunft bestehen also aus Ton, Text und Bild, thematisch verknüpften Blogs und Postings. Wie nirgends sonst wird im Netz das Vertrauen in die professionellen Vermittlungsleistungen über Gedeih und Verderb dieser Portale – und den mit ihnen verknüpften Radio- und TV-Sendern und physischen Zeitungen – entscheiden.

Die Reputation der Offline-Medien entscheidet jetzt schon die Nutzung ihrer Schwestern online. Umgekehrt leiden die zahllosen reputationsschwachen Angebote des Internets unbesehen ihrer Qualität an tiefen Nutzerzahlen und mangelnder Relevanz, weil die Validität der Informationen nicht eingeschätzt werden kann. Im Netz wird also die Orientierungsaufgabe der General-Interest-Medien noch wichtiger, nur die mit ihnen verlinkten Angebote können zu den genannten demokratienotwendigen Funktionen der Öffentlichkeit beitragen.

Was Sie hier darstellen, ist die normative Überhöhung der Öffentlichkeit der analogen Medienordnung. „Vertraut“ würde nur der Vermittlungsleistung von professionellen Journalisten, spezialisierte Online-Publikationen hätten keine „Kritik- und Kontrollfunktion“ und seien von mangelnder Relevanz“. Ein zielführender politischer Diskurs sei nur über zentrale mediale Großarenen zu organisieren. Mal ehrlich: Sie sind ein hemmungsloser Traditionalist und Romantiker.

Nein, Soziologe. Für diese ist die nun 25jährige Fama von den tausenden von blühenden interaktiven Blogblumen im Netz als Basis demokratischer Entscheidungsprozesse in modernen Gesellschaften hoffnungslose Romantik und wie diese selbst elitär.

Es sind die Themen der medienvermittelten Massenkommunikation, die bei genügend Resonanz an die Tore der nationalen und transnationalen Mehrebenenpolitik pochen. Definitionsmacht in der öffentlichen Kommunikation verwandelt sich dann in politische Macht in den Parlamenten auf der Basis des Repräsentationsprinzips und hinten raus steuern sich demokratische Gesellschaften in der Sprache des Rechts und mittels administrativer Macht.

Nicht finanzierbare themenzentrierte Netzangebote mit ihren fluiden Kleinpublika sind schlicht nicht in der Lage den Ordnungsproblemen der nationalen und transnationalen Gesellschaft diejenigen Arenen zu verschaffen, auf denen sie um Definitionsmacht kandidieren können. Das entwertet die tausenden von blühenden Blumen nicht – sie dienen auch der Meinungsbildung – aber es verortet sie als kleine Schleusen im komplexen Netz aller Kommunikationsflüsse, die in den Arenen der öffentlichen Kommunikation zusammenfließen müssen, um Relevanz zu erzeugen.

Das hat mit analoger oder digitaler Technik nichts zu tun, dafür aber umso mehr mit den Legitimitätsansprüchen der Demokratie.

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