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KEK-Studie: Twitter und Facebook haben Meinungsmacht – wir wissen aber nicht welche

von , 5.8.10

Wenn es an einem Phänomen keinen Zweifel geben sollte, dann wohl daran, dass die von Carta so geschätzte digitale Öffentlichkeit die von der Medienpolitik mit so viel Interesse beobachteten “Meinungsbildungsprozesse” ganz erheblich verändert:

  • Blogs veröffentlichen zunehmend wichtige Dokumente, wie etwa iRights.info im Fall des Leistungsschutzrechts.
  • Im Netz laut werdende Kritik am Köhler-Interview half mit, dass Massenmedien das Thema erneut aufgriffen.
  • Entwürfe des Jugendmedienschutz-Staatsvertrags wurden im Netz veröffentlicht und detailreich diskutiert.
  • Wikileaks hat eine neue Infrastruktur für Whistleblower geschaffen.
  • Aggregatoren und soziale Netzwerke verändern die Art, wie Informationen gefiltert und verstärkt werden.

Derartige Verschiebungen sind aber, wenn man einer jüngst vorgestellten Studie glauben würde: marginal. Die großen deutschen Medienkonzerne hätten nämlich auch das Internet meinungstechnisch fest im Griff.

Die “publizistische Vielfalt” des Internets werde, so formuliert die Studie, “maßgeblich durch traditionelle Massenmedien bestimmt”. Viele Inhalte würden mehrfach verwertet und nur selten exklusiv für das Internet produziert. Blogs würden die Themen der Massenmedien lediglich aufgreifen. Der positive Einfluss von Twitter, Facebook und Co. sei nicht bestimmbar. Insgesamt erkennen die Autoren in der Online-Medienwelt vor allem viele “vielfaltsmindernde Faktoren”.

Die dpa fasste die Studie folgendermaßen zusammen:

So vielfältig, wie Informationsangebote im Internet erscheinen, sind sie in Wirklichkeit nicht.

Das Internet sei also vielfältig, möchte uns die Studie nahelegen – aber eben “in Wirklichkeit” nicht “so vielfältig”. Als Ergebnis einer wissenschaftlichen Studie klingt dies zunächst einmal schon recht merkwürdig, um nicht zu sagen: politisch. Man kann sich eigentlich nur wundern, dass da nicht bereits bei Verbreitung der Meldung Mitte Juli mehr nachgehakt wurde.

Dabei ist die Studie reich an weiteren Merkwürdigkeiten, wie sich nun zeigt, da sie – Wochen später – zum Download angeboten wird.

So schreiben die Autoren:

Meinungsbildung vollzieht sich im Internet im Rahmen einer integrierten Netzwerköffentlichkeit, die sich in wesentlichen Punkten von der Öffentlichkeit der traditionellen Medien unterscheidet.

und:

Suchmaschinen wie Google, der “Microblogging”-Dienst Twitter und soziale Netzwerke wie Facebook haben erhebliche Bedeutung für die Lenkung von Nutzern auf journalistische Websites. Auch hieraus ergibt sich Meinungsmacht.

Im Internet gäbe also also eine “integrierte Netzwerköffentlichkeit”. Von Facebook, Twitter und Google gehe irgendwie auch Meinungsmacht aus. All dies aber sei “so vielfältig” nun wieder auch nicht. Eine verminderte “Dominanz” der inländischen Medienkonzerne in Fragen der Meinungsbildung sei trotz “Netzwerköffentlichkeit” nicht erkennbar.

Wie kann das bei einer wissenschaftlichen Studie sein?

vielfalt internet

Neue Meinungsmacht und "vielfaltsmindernde Faktoren": Die Vernetzung von 3.092 Websites mit Spiegel Online. (Quelle: KEK-Studie)

Die Studie “Die Bedeutung des Internets im Rahmen der Vielfaltssicherung” der geschätzten Kollegen Christoph Neuberger (Kommunikationswissenschaft) und Frank Lobigs (Medienökonomie) zeigt zunächst einmal, wie wenig die Kommunikations- und Medienwissenschaft derzeit in der Lage zu sein scheint, die Strukturveränderungen der digitalen Öffentlichkeit empirisch zu messen und produktiv zu thematisieren.

Zur präzisen Messung fehlt der Wissenschaft hierzulande derzeit offenbar sowohl ein ausreichender theoretischer Unterbau für die Analyse post-massenmedialer Strukturen wie auch die empirischen Daten.

Die Meinungsbildung im Internet ist – wie die Autoren wohl zu vorsichtig andeuten – streng genommen also derzeit wissenschaftlich kaum zu erfassen. Unklar ist, welche Prozesse noch zur öffentlichen Meinungsbildung zu zählen wären und wie hoch die jeweilige Nutzung ausfällt.

Schnell kommt man zu Fragen, die die gesamte bisherige Medienregulierung auf den Kopf stellen könnten: Müssten nicht etwa auch Parteiwebsites der Meinungsmacht-Kontrolle unterworfen sein? Müssten nicht längst YouTube-Videos zum relevanten Bewegtbild-Markt gezählt werden? Verändern nicht Aggregatoren die Machtposition der publizistischen Produzenten?

Solche Fragen aber – und dies lässt sich aus der Studie ebenfalls deutlich herauslesen – wollte die Auftraggeberin nicht laut gestellt wissen. Die “Kommission für die Ermittlung der Konzentration im Medienbereich” (KEK) ist eine Art Aufsichtsbehörde für Meinungsmacht im Fernsehen. Sie hat die Studie augenscheinlich so konzipiert, dass vor allem die fortwährende Bedrohung der Meinungsbildung durch inländische Medienkonzerne (ihre Aufsichtskunden) thematisiert wird. Entlastende Faktoren benennen die Autoren zwar fleißig – ins Resümee der Studie und damit in die Berichterstattung der Presse haben sie es aber nicht geschafft.

Axel Springer Verlag

Studien-Highlight: Die crossmedialen Besitzstände des Axel-Springer-Verlags.

Stattdessen ist die Studie nun Zeugnis dafür, wie Aufsichtsinstitutionen an ihren Regulierungsmodellen festhalten – statt sich neutral zu fragen, wie Meinungsbildungsprozesse in der digitalen Öffentlichkeit zukünftig angemessen reguliert werden können.

Neue Chancen wie auch neue Bedrohungen bleiben so unberücksichtigt. Stattdessen werden die alten Bedrohungen durch die üblichen Verdächtigen beschworen. Neuen Erkenntnissen steht strukturkonservatives, im klassischen nationalen Massenmediensystem verhaftetes Denken im Wege.

Nachdem die Studie nun – allerdings erst Wochen nach der offiziellen Präsentation – zum Download bereitsteht, kann sich jedermann ein Bild von ihr machen – auch das eine Veränderung der Meinungsbildungsprozesse.

Die Studie enthält viele gute Ansätze – um am Ende aber letztlich vor allem das Vorverständnis ihrer Auftraggeberin zu bestätigen. Sie ist daher eine vertane Chance – bedauerlich indifferent gegenüber ihren eigenen normativen Vorannahmen und Schlüssen.

Die Stärke der Studie liegt folglich vor allem dort, wo sie deskriptiv bleibt – etwa wenn sie mit Hilfe der Hoppenstedt-Datenbank die crossmedialen Konzernstrukturen inländischer Medienunternehmen visualisiert (siehe Springer-Beispiel in der Abbildung).

Das eigentliche Ergebnis lässt sich wohl so beschreiben: Das Internet wird zwar für die Meinungsbildung immer wichtiger, was Twitter, Facebook, Google und Apple damit zu tun haben, können wir aber nicht so genau sagen. Dafür sind wir uns aber ganz sicher, dass RTL, ProSieben und Axel Springer weiter einer strengen Meinungsmachtaufsicht bedürfen.

Für eine Institution, die die Meinungsbildung in Deutschland im Auge behalten soll, ist das bedenklich wenig.

Disclaimer: Die Studie wurde im vergangenen Jahr von der KEK ausgeschrieben. Auch ich habe mich darum mit einem Autorenteam beworben. Ich habe mich daher entschieden, zu Presse-Präsentation zunächst nichts zur Studie schreiben, sondern nach reiflicher Lektüre erst jetzt, da sie auch zum Download bereitsteht.

Christoph Neuberger und Frank Lobigs: Die Bedeutung des Internets im Rahmen der Vielfaltssicherung, ALM-Schriftenreihe 43, Vistas Verlag, Download (PDF).

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